Bar

A–Z Ist sie noch der Ort für Einsame, wie in „Lost in Translation“– oder mixen wir Cuba Libre jetzt lieber zu Hause? Unser Lexikon
Ausgabe 38/2021

A

Aperitivo Italiener frühstücken in der Bar,Latte mit Brioche (kein Cappuccino nach zwölf!), spielen Karten. Gehen zum pranzo nach Hause, in der Mittagspause ein schneller Caffè, Zigarette. So machen es die Alten. Viele kommen erst nach Feierabend in die Bar, zum Aperitivo. Birra oder Prosecco am Tresen, Prosciutto, Chips und Käsestücke – und dann wird spekuliert, wie lange die Regierung hält und welche Politiker gerade eine Affäre haben (Renzi und La Meloni, „ist doch offensichtlich“).Die Leute in der Bar (männerdominiert) wissen Bescheid: was Fußballcoaches falsch machen, warum früher alles besser war, wo man abends essen gehen sollte. Essen ist wichtiger als Frauen. Je mehr Alkohol, desto abstruser die Verschwörungstheorien. Diese discorsi del bar sind legendär, und die besten Geschichtenerzähler verströmen Autorität. Beim Aperitivo treffen sich Reich und Arm, Jung und Alt, sie fühlen sich hier a casa (➝ Pub).Die Bar ist eine Bühne, die Italiener treten gerne auf. Maxi Leinkauf

C

Cuba Libre Er ist eine Art Cocktailversöhnung zwischen Kuba (Rum) und den USA (Coca-Cola). Damit’s nicht klebt, gibt’s dazu noch Saures. In weltbekannten Bars wie der Bodeguita del Medio oder El Floridita wird Cuba Libre in Havanna noch geordert. Der große US-Schriftsteller Ernest Hemingway heiligte diese Stätten mit seiner Anwesenheit,obwohl er – so die Überlieferung – auch andere Mixgetränke zu sich nahm. Egal, er war da, und er trank kein Weihwasser. Und so bevölkern Touristen diese Etablissements voller Ehrfurcht und lassen ihr Bares auf der Theke (➝ Querstange). US-Soldaten sollen mit dem Drink Anfang des 20. Jahrhunderts die Befreiung Kubas von spanischer Kolonialherrschaft gefeiert haben, bei der sie mitwirkten und den Preis präsentierten: No Cuba Libre, dafür Gesetzesdiktate und Militärstützpunkte – einer davon heißt Guantanamo. Magda Geisler

D

Detail Manchmal retten einen die Details. Ich saß im legendären Schumann’s am Münchner Hofgarten und wurde an der Bar unfreiwillig von einem betrunkenen Manager in Paarungslaune samt Duplex-Damenbegleitung sowie einem Bekannten mit sexualisiertem Mitteilungsbedürfnis eingerahmt. Was einem an einer Bar immer bleibt, ist die Flucht zu den Barkeepern. Die aber hatten an diesem Abend schon genug Annäherung erfahren und mixten stumm, aber versiert ihre Drinks. Viele denken: Wer nichts wird, wird Wirt, und so wird es meist leider auch. Schlechter Service, wenig Sachkenntnis, kein Gefühl für das, was man da eigentlich betreibt. Gerade in Vorstädten verzweifelt man regelmäßig, weil die Drinks, die man da bekommt, eher „Versuche“ eines Cocktails im Handke’schen Sinn sind. So verstehe ich im Schumann’s plötzlich, warum meine Cola so ausgewogen nach Zitrone schmeckt: Erst kommt ein Eiswürfel ins gekühlte Glas, dann die Zitronenscheibe, dann ein weiterer Eiswürfel, und das Ganze wird schließlich mit einer galanten Zangenbewegung heruntergedrückt. Charles Schumann, mein Held! Jan C. Behmann

E

Einsamkeit Monatelang soll Sofia Coppola für Lost in Translation (2004) Bill Murray verfolgt haben, der dann nur zugesagt haben soll, weil er den Traum der Regisseurin nicht zerstören wollte. In diesem Film, inzwischen ein moderner Klassiker, begegnen sich zwei schlaflose Amerikaner in einer Hotelbar in Tokio. Die platonische Freundschaft des ungleichen Paares, die dann entsteht, diese Atmosphäre, „übersetzt“ sich spielerisch, vielleicht, weil sie nicht nur Rollen spielen? Die damals 17-jährige Scarlett Johansson verzaubert als Charlotte, sie sei während der Dreharbeiten wirklich einsam gewesen, sagte sie einmal, und einmal im Film verfliegt die Einsamkeit in einer Karaoke-Bar. Ein bisschen. Katharina Schmitz

H

Hotelbar Hotelbars haben für mich als einen aus den Erfolgsspuren entgleisten Bohemisten den Reiz des Exotischen bewahrt. Unter den freundlich taxierenden Blicken des Personals vollzieht sich auf dem Weg von der Drehtür durch die Lobby in die Bar noch immer dieselbe Verwandlung wie beim Spät-Teenager 1986: Aus dem selten verreisenden Habenichts wird ein weltläufiger, mit geheimen Operationen oder mindestens profitablen Geschäften betrauter Lebemann. War es früher die schiere Jugend, die das freundlich Taxierende der Blicke schnell ins Skeptische übergehen ließ, sind es heute die in den Jahren nicht eingeübten Insignien der Mondänität. Marc Ottiker

K

Kiezkneipe Wo mich der Wirt mittwochs mit „Die neue Zeitung her!“ begrüßt und andere Stammgäste mit „Lügenpresse, Lügenpresse!“, dort ist wahrhaftig mein zweites Zuhause. Eröffnet zeitgleich zum Einzug in meine erste WG, ihr gegenüber gelegen, das Bier von bayerischer Herkunft wie der Wirt, aber an den Tischen auch Alteingesessene, die schon vorher, in der Ostbar, hier saßen, Quell vieler Freundschaften, Livemusik und Performancekunst, der früher eingeknastete Rocker macht jetzt die Corona-Tests.

Touristen, denen das hier als „Bar“ vorgestellt wird, bestellen schon mal einen Drink, von dem keiner wusste, dass er in der Karte steht, aber das hier ist keine „Bar“ und kein „Café“, obwohl es so heißt, es ist eine Kneipe mit Armen und Reichen, Linken und Rechten, in der dann zu Beginn des Lockdowns ein Ofen stand, an den sich pro Abend einer neben den Wirt setzen durfte. Jeder Kiez, jedes Dorf braucht das. Sebastian Puschner

L

Livemusik Der Niedergang der Tanzkapellen und Barpianisten war ein Prozess in Wellen. Das hat nichts mit den Ansprüchen der Gäste zu tun und viel mit dem Grammofon: Der blecherne, gequetschte Klang, der sich aus den ersten in die Wirtshäuser und Bars ergoss, war mit einer Livedarbietung nicht zu vergleichen. Die Betreiber setzten jedoch unverdrossen auf die Kurbel, bezahlten lieber einmal im Jahr ein neues und besseres Gerät als wöchentlich ihre Musiker.

Diese mussten ungläubig zur Kenntnis nehmen, dass es dem Tanzvolk gleichgültig war, wie sehr die Konserven schepperten, Hauptsache, es ließ sich schwofen. So verschwanden der mittelmäßige, Standards gerade so beherrschende Pianist, die etwas übermotivierte Sängerin, die einen Ton auch mal nicht trifft, der kratzende Tischgeiger und alle anderen aus Leidenschaft dilettierenden Musikanten in die Hausmusik. Nur noch Virtuosen können von der Musik leben. Marc Ottiker

N

Nachtschwärmer Da sitzen sie, die drei Nighthawks, die letzten in der Bar, im kalten Licht. Ein Pärchen, ein Einzelgänger (wer ist er?) und der Barkeeper, der wohl gerne Schluss machen würde. Edward Hopper hat das Bild 1942 gemalt, es hängt heute im Art Institute of Chicago. Als Hopper das Werk schuf, da hatte er bereits eine Ausstellung im New Yorker MoMA, aber niemand ahnte, dass es eine Ikone der amerikanischen Kultur werden würde. Diese nächtliche Diner-Szene hat verschiedene Quellen, Hemingways Kurzgeschichte The Killers, van Goghs Caféterrasse am Abend und eine reale Bar in Greenwich Village, die Hopper gekannt haben soll, die aber nie entdeckt wurde. Die Bar, finaler Ort grenzenloser Einsamkeit. Marc Peschke

O

Ostbars Weiter weg vom Realsozialismus waren die meisten Oststädte nie, und doch scheint in manchem Winkel die DDR noch zu leben. Aber Obacht: „Ostbars“ gibt es in zwei Ausführungen. Kneipen wie die Gaststätte Kollektiv in Leipzig oder die Tagung in Berlin versuchen, die DDR als Kult wiederzubeleben und mit DDR-Möbeln sowie Goldbroiler und „Leninschweiß“ auf der Karte vor allem Touristen und Ostalgierende anzulocken.

Dass man aber in einer „echten“ Ostbar – also einer, welche die DDR nicht mimt, sondern schlicht überdauert hat – gelandet ist, erkennt man meist an den Preisen. Und den Gepflogenheiten. In der Leipziger Pleißenburg ist es etwa kein Problem, um Mitternacht Kartoffeln mit Quark zu speisen und parallel dazu zu rauchen. Konstantin Nowotny

P

Pub Der Run auf die Pubs, wie man die Bars in Großbritannien nennt, war riesig am 12. April dieses Jahres. Nach ewig langem Lockdown (vier Monate!) öffneten sie ihre Tore. Der Durst der Briten war groß, und so kippte der erste von ihnen nur zehn Minuten nach meiner Ankunft im Twelve Pins aus den Latschen – und mir direkt in die Arme. The Twelve Pins, direkt neben dem Finsbury Park, ist nicht die beste Adresse in London. Aber ich war Student. Und der Typ sah aus wie ein Banker, der nirgendwo anders einen Tisch bekommen hatte, an diesem Montag nach dem langen Winterschlaf. Also schüttete er sich hier zu, mit den anderen, die am nächsten Tag die Arbeit würden ruhen lassen. Dorian Baganz

Q

Querstange Das Wort „bar“ ist englisch und bedeutete ursprünglich „Querstange“. Damit ist die Theke gemeint, also das Brett, vor dem man auf Barhockern sitzt oder steht. Sie trennt das Personal und die Gäste räumlich. Gleichzeitig ist sie verbindend, denn hier an der Theke findet Kommunikation statt. Die Gäste sitzen an der Theke und lassen die Füße auf einem Rohr ruhen, das sich unten am Tresen entlangzieht. Auf der tatsächlichen Querstange. Der Barkeeper arbeitet hinter der Theke beziehungsweise „am Brett“ (Detail).

Man reicht in der Bar auch gern eine Stange Bier, mal heißt das Glas so (Kölschstange), mal das Bier (Potsdamer Stange), während in der Schweiz eine Stange ein Biermaß ist. In einigen Regionen wird Meterbier serviert. Dabei wird das Bier in Gläsern gereicht, die auf einem Meterbrett, also einer Längsstange, aufgereiht sind. In manchen Bars findet Stangentanz statt, besser bekannt als Poledance, wofür mancher Gast gern eine Stange Geld hinblättert. Tobias Prüwer

Z

Zu-Hause-Trinken Ein Drittel der Deutschen trinkt seit Ausbruch der Corona-Pandemie mehr Alkohol als zuvor, wie die OECD jüngst mitgeteilt hat. Das ist eine normale Entwicklung, die man aus Krisenzeiten kennt. Alkohol kompensiert, dient Stressabbau und Ablenkung. Allerdings sank die Alkoholmenge in den ersten Corona-Monaten. Das lag daran, dass Rauschtrink-Erlebnisse fehlten, das gemeinsame Feiern, der ungezügelte Alkoholgenuss. Eine gute Nachricht für alle Bars. Denn der zur Geselligkeit neigende Mensch wird mutmaßlich nicht beim Zu-Hause-Trinken bleiben, wenn die Bars offen sind. Außerdem sind Barmenschen Handwerker, und das Mixen eines Pisco Sour oder eines Tabula Rasa ist eine zu große Sauerei, um so was im eigenen Heim anzustellen. Dann lieber in die Bar, um beim Trinken zu sehen und gesehen zu werden (Aperitivo). Tobias Prüwer

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