Barbaren

Linksbündig Höllenmenschen im Lammfell des Guten

Der weiße Mann spürt gerade wieder tief drinnen seine Wesensmitte: Die Bedrohung durch die Barbaren. Es ist nämlich so: Während er gerade mal wieder darüber nachsinnt, wie er die Leiden der Welt mindern könnte, fliegen ihm die Bomben durchs Teegeschirr. Infernalische Urmenschen neiden ihm seine Freiheit, seine Zivilisiertheit, seine Gesittung. Und deshalb muss der weiße Mann tun, was ihm furchtbar widerstrebt: Er muss wieder los, um das Napalm der Freiheit in die Köpfe der Finsternis zu bomben, mit dem Uran der Demokratie die Kinder verstrahlen und mit Dioxin den Ernst seiner Mission segnen. Kurz, der weiße Mann muss tun, was er seit 500 Jahren tun musste: den Rest der Welt verwüsten.

Zu dieser Sorte heulender Angriffskrieger hat sich jetzt auch der österreichische Schriftsteller Robert Menasse bekannt. Seit geraumer Zeit begründen Intellektuelle ihre Existenz damit, dass sie bei Grün über den Zebrastreifen gehen und das dann die Rebellion des Konformismus nennen. Ganz in dieser Manier hat jetzt der bekennende "Pazifist" Menasse um Bomben auf den Libanon gefleht. Denn es ginge ja um die Existenz Israels. Wer hätte das gedacht? Ging es je um etwas anderes? Sollte Menasse und Konsorten wirklich entgangen sein, dass alle Kriege im Dienste heiliger Zeichen geführt werden? Es ist der wahrscheinlich trivialste Topos in der Logik abendländischer Vernichtungskriege, dass sie stets im Namen letzter Werte die Barbaren vernichten muss. Genauere Begründungen spielen da keine Rolle mehr. Wenn uns Saddam Hussein gar nicht angreifen wollte, dann bringen wir eben die Demokratie. Mit dieser Begründung kann man nie etwas falsch machen.

Man muss nicht studiert haben, um von vorneherein zu begreifen, dass die Mittel ihre behaupteten Ziele notwendigerweise verfehlen. Man kann es auch empirisch überprüfen: über 50 Kriege der USA nach dem 2. Weltkrieg im Namen der Freiheit haben in keinem einzigen Fall Demokratie, Frieden, zivilisatorische Fortschritte gebracht, sondern ausschließlich zerstörte Landschaften, verwüstete Verhältnisse, korrupte Regime, viele Millionen Tote und einen Haufen Menschen, die - höflich gesagt - an der Lauterkeit unserer Zivilisation so ihre Zweifel hegen. Und man muss auch kein "Pazifist" sein, um zu wissen, dass Israel mit Sicherheit so seine Existenz nicht sichern kann - wenn es überhaupt darum ginge. Wie verwahrlost müssen Intellektuelle sein, die ihre Stimme dem rohen Walten kalkuliert irrer Macht leihen?

Ich höre den fusionierenden Gesang unserer Leitartikler: Und die Aufdeckung des Komplotts von London? Ist das keine reale Bedrohung? So wenig wie die Leitartikler weiß ich, was da wirklich geschehen ist oder geschehen sollte. Doch auch, wenn sie nichts Genaues wissen, so verstehen sie doch meisterhaft, ein Ereignis in eine Botschaft zu verwandeln. In meinem Frühstücksblatt, dem Kölner Stadtanzeiger, stand, was überall stand: "Doch bange Ratlosigkeit herrscht bei der Vorstellung, dass nicht Meuchelmörder vom Hindukusch und Tigris, sondern britische Staatsbürger aus den Reihenhäusern von High Wycombe und Walthamstow das Blutbad über dem Atlantik anrichten." Kurz, wir erkennen die durchgeknallten Höllenmenschen nicht mehr an ihrem Geruch, sondern sie tragen wie wir das Lammfell der Guten. Das heißt: die Bedrohung ist total. Die Antwort wird es auch sein.

Doch gesetzt der Fall, die große Alarmübung von London wäre ein Ernstfall gewesen, müssten wir dann nicht auf diese Bedrohung so reagieren, wie die politischen Sprachautomaten es gerade wieder ausspucken? Es wäre sehr viel klüger, so zu reagieren wie die Spanier nach den verheerenden Attentaten. Sie haben umgehend ihre Regierung abgewählt. Offenkundig haben die Spanier auf Anhieb einen Wirkungszusammenhang verstanden, der hier kaum einem in den Sinn kommt. Wer Kriege führt, die nicht nur der Rechtsform nach eines der größten Verbrechen des Völkerrechts bedeuten und dabei weithin sichtbar sämtlichen Zielen widersprechen, die sie proklamieren, der darf sich nicht wundern, wenn gelegentlich zurückgeschossen wird. Eine Zivilisation, die es klaglos hinnimmt, dass ein pakistanisches Dorf ausgelöscht wird, weil sich da eventuell ein Taliban verbirgt, darf sich nicht wundern, wenn sie selbst als Zivilisation ins Visier genommen wird. Wir sollten uns vielleicht nicht so sehr mit Mutmaßungen über das angebliche Aggressionspotenzial des Islam beschäftigen, wir sollten vielleicht langsam einmal anfangen, unsere realen Aggressionen wahrzunehmen.


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