Wie heißt es bei Hölderlin: Wo die Gefahr wächst, wächst das Rettende auch. Daran dachte zuerst niemand, als zögerlich bekannt wurde, dass der Aufbau-Verlag seine sechsmal im Jahr erscheinende Zeitschrift Neue deutsche Literatur einzustellen gedenkt. Dass dieses Periodikum zeitgenössischer, junger, avancierter deutschsprachiger Literatur schon lange rote Zahlen schrieb und schreiben musste, war seit Jahren bekannt. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass fast alle der größeren Literaturzeitschriften, sei es Akzente, die horen, Manuskripte, Schreibheft oder die Neue Rundschau von Ihren Hausverlagen subventioniert werden müssen, um am Leben zu bleiben. Wer eine Institution wie die ndl mit fünfjahrzehntelanger Tradition (im Umgang mit ost- und
fjahrzehntelanger Tradition (im Umgang mit ost- und westdeutschen Autoren und Lesern) loswerden will, muss also gewichtigere, ja erdrückende Gründe haben.Ein weiterer Rückgang der Abonnements (auf circa 2000) allein kann kaum ursächlich sein für das plötzliche Aus einer der renommiertesten Literaturzeitschriften im deutschsprachigen Raum, die an zwei Händen abzuzählen sind. Die wahren Gründe hierfür liegen eher darin, das dem ambitionierten Projekt aus Essays, neuer Lyrik, Prosa und Kritik jenseits des landläufigen Feuilletons eine Lobby fehlt und auch im eigenen Hause fehlte. Erfolgreich war es, als es eine Reihe vormals noch unbekannter Autoren mit heraus brachte. Insofern war die ndl in den letzten gut zehn Jahren auch eine Entdeckerzeitschrift, in der manch junger Autor die ersten Schritte in den Literaturbetrieb machen konnte. Doch längst hat der Aufbau-Verlag seine Traditionslinie verlassen und hökert mit im Schmuddelgeschäft. Wer das X-Fache an finanziellem Risiko, das eine Zeitschrift wie die ndl im Jahr mit sich bringt, für die Stinkefinger-Memoiren eines Stefan Effenberg eingeht, und dabei wirtschaftlich gerade mal mit einem blauen Auge davonkommt, muss sich die Frage gefallen lassen, warum diese Risikobereitschaft nicht auch für die diskursive Gegenwartsliteratur gelten soll.Dabei ist die Verflachung der Verlagsprogramme nur ein Indiz. Der Aufbau-Verlag kann sich wenigstens noch in der Backlist auf Weltliteratur berufen. Die aktuelle Produktion indes ist überwiegend ein verkaufsorientierter Gemischthandel, man möchte fast meinen, ein Ramschladen. Statt inhaltlich und formal interessante Texte zu befördern, die Gesellschaft, Gegenwart und Geschichte in einer Zeit sozialer und moralischer Verrohung kritisch befragen, stochert der Betrieb weiter in Pfützen, die man für Meere hält, nach den neuen Judith Hermanns und Zoe Jennys. Nach einem One-Hit-Wonder, getreu dem Motto: Was Erfolg bringt, ist gut. Mit dieser Strategie ist das Buch endgültig bei seinem reinen Warencharakter angekommen und unterscheidet sich kaum mehr von einem beliebigen Artikel, den man in jedem Supermarkt kaufen kann. Nicht nur bei Aufbau verstärkt sich angesichts des zunehmenden Marktdrucks die Tendenz, das künstlerische und intellektuelle Niveau als Tribut an den zahlenden Käufer weiter abzusenken, der eines kaum mehr will: beteiligt werden an einem Diskurs. Eines jedoch muss auch den Machern von Aufbau klar sein:: Wenn man das Andere, wenn man die Ränder nicht mehr beachtet und fördert, gewinnt man auch keine Tradition der Moderne, geschweige denn der Postmoderne.Da mag es eine erfreuliche Nachricht sein, dass es dem Redakteur der Neuen Deutschen Literatur, Jürgen Engler, gelungen ist, einen (hoffentlich) seriösen Interessenten für die Zeitschrift zu finden. Der hamburger Filmproduzent und Verleger Peter Schwartzkopff mit den nach ihm benannten und vor kurzem gegründeten "Buchwerken" will die Zeitschrift ab Mitte 2004 neu beleben, mit welchen Details und Veränderungen ist noch nicht bekannt. Ihm ist vor allem eines zu wünschen: die Kraft subversiven Denkens und die Geduld eines zähen Innovators. Gegen das verbreitete Argument, dass der Markt noch jede Krise selbst bereinigt hat, hilft nur Wagemut. Was den jungen Dichtern bleibt, die mit ihren Texten an eine größere Öffentlichkeit treten wollen, ist ein deutliches Bekenntnis zum Defätismus oder zu einem erfolgreichen Agenten. Denn eine der wenigen Konstanten des Literaturbetriebs ist die Überlebenskraft der Vermittlungsebene, wie sie in dem Glaubenssatz der Literaturagenten und Verlagschefs: "Autoren kommen und gehen, wir bleiben" zum Ausdruck kommt. Insofern dürfte es niemanden verwundern, dass eine Stenotypistin ein höheres Zeilenhonorar erhält als Autoren üblicherweise in Literaturzeitschriften. Ein Werbetexter gilt heute mehr als ein Schriftsteller. Warum auch nicht, er leistet etwas Nützliches, wenn er uns die richtige Marmelade aufs Brot suggeriert und uns sagt, was gut für die Ellbogen ist: nämlich ein Schokoladenaufstrich oder war´s der Abfahrtslauf? Nein, keine Bitterkeit bitte! Es gibt Möglichkeiten. Die Zukunft ist ungeschrieben, und der Herausgeber der mit Abstand erfolgreichsten Lyrikzeitschrift der letzten Jahre Das Gedicht", Anton G. Leitner, empfiehlt: Die aktuelle Ausgabe kann man in Begleitung eines 2002 Burkheimer Schloßgarten (0,75 l, Qualitätswein/Baden) für 16,90 Euro beziehen. Dieser Rotwein imponiert besonders mit seiner jugendlich klaren Frucht. Im Bouquet dominieren Kirsch- und Brombeeraromen.Im Ernst: Der Sumpf der Trivialmedien, deren Sog auch die Verlagslandschaft in den letzten Jahren verändert, zum Teil auch deformiert hat, sollte misstrauisch machen gegen die schnellen Zukunftsstrategien, die überwiegend von zwölf bis Mittag gedacht sind. Wenn der Aufbau-Verlag jetzt davon spricht, die Kräfte zu bündeln, klingt das wie ein Treppenwitz. Es gibt keine richtige Entscheidung in der falschen, der Verlag steht vor einer schweren Zeit, die Konzeptionslosigkeit seines Programms ist der Ausdruck der eigentlichen Krise: Der Verlust eines Denkens in den Maßverhältnissen der Kunst. Man kann hoffen, dass die kleineren Verlage, die seit eh und je mehr Gespür für die gesellschaftspolitischen und kulturellen Erschütterungen bewiesen haben, aus dem Tal der Tränen herausfinden. Autoren gibt es dann immer noch, die jungen sind dann zwar etwas älter, aber was macht das schon. Erst in hundert oder zweihundert Jahren wird sich zeigen, was von dem, was heute geschrieben wird, noch Bestand hat. Wie heißt es so treffend in dem Film Barton Fink der Coen-Brüder: "Wenn Sie nach Autoren suchen, hier wimmelt es nur so von Ihnen. Wenn Sie einen treffen wollen, dann nehmen Sie einen Stein, aber ich rate Ihnen: Werfen Sie hart!"Tom Schulz, Jahrgang 1970, lebt als freier Autor in Berlin. Anfang 2004 erscheint im Krash-Verlag (Köln) der Gedichtband Abends im Lidl.
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