Bauch rein

Der Unterschied Unter Umständen bewerben

Die Tür geht auf, ein Bauch guckt rein. "Diese Frau hier hatte Sex", verkündet er. "Bald wird sie sich um ein Kind kümmern." Die Inhaberin des Bauches hat unterdessen höflich in die Runde gegrüßt, Hände geschüttelt, Platz genommen.

Kindermund tut Wahrheit kund, heißt es. Babybauch auch: Einem Mann sieht man nicht an, ob er Sex hatte. Sein Bauch verrät, dass er zu viel Bier trinkt, Schokolade isst oder zu wenig Sport treibt. Alles reversibel. Wer will, kann den Bauch wieder einziehen. Schwangere können das nicht. Spätestens vom siebten Monat an sieht alle Welt, dass ein Kind unterwegs ist.

Alle Welt? Alle. Nur einer nicht, der potenzielle Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch. Er handelt frei nach dem Motto: Wer gar nicht erst hinguckt, muss nachher nicht weggucken.

Nach der Schwangerschaft zu fragen, wäre diskriminierend. Daher sieht er politisch korrekt darüber hinweg, schaut ihr stattdessen tief in die Augen, studiert die Bewerbungsmappe, setzt die Brille auf Halbmast. Jedes Manöver ist willkommen, das eine Bauchlandung des Blicks verhindert. Sogar Wegsehen durch Hinsehen ist möglich, sofern einer nur geschäftig genug Kurzsichtigkeit mimt.

"Warum denken Sie, dass Sie für die Position in Frage kommen?", fragt der Personalleiter. "Ich bin fachlich qualifiziert, habe einschlägige Erfahrungen und die Arbeit entspricht genau dem, was ich mir in meiner gegenwärtigen Lebenslage als Herausforderung vorgestellt habe", antwortet sie. "Hier drin strampelt auch eine Herausforderung ihrer Lebenslage", feixt der Bauch.

Hinsehen. Wegsehen. Tun, als wenn nichts wäre. Allenfalls heimlich wieder auf den Bauch gucken. Die Schwangere gibt derweil Auskunft über ihr Leben, begründet, warum sie sich für die Stelle begeistert, erzählt von ihrer Berufserfahrung. Ein Zwei-Monats-Praktikum in einer Agentur wird erwähnt. "Dass sie die nächsten 18 Jahre ein Kind zu versorgen hat, kommt nicht zur Sprache", meckert der Bauch und frozzelt: "Frauen werden doch bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt, hieß es in der Ausschreibung. Wann ist eine Frau wohl zweifelsfreier Frau, als wenn sie schwanger ist?"

Unverdrossen ignoriert der Chef die Bauchrede. Er will die "Hoffnungsträgerin" nicht einstellen, aber auch nicht den Eindruck erwecken, das Kind wäre schuld. Routiniert plaudert er hin und her, hakt hier und da ein, bietet Kaffee an. Die "anderen Umstände" werden nicht angesprochen. Auch nicht im Absagebrief.

Bewerbungsratgeber schweigen sich aus über das Thema "Schwanger bewerben". Mütter haben nur dann eine Chance, wenn sie die Geburt ihres Kindes als "non-event" handhaben. Sollte sich dennoch wider Erwarten eine Schwangere bewerben, bitte nur mit der allergrößten Diskretion: Schwul sein, Pickel haben oder Nachwuchs erwarten, all das will clever kaschiert sein.

Schwangere dürfen lügen, auf die Frage nach der Schwangerschaft dürfen sie wider besseren Wissens "nein" sagen. Das ist legal und daraus ist inzwischen fast eine Handlungsanweisung geworden: Schwangere sollten lügen. Als könne es eine selbstbewusst auftretende, offen mit ihrem Zustand umgehende Frau gar nicht geben.

"Ich bin der nicht vorgesehene Fall. Ich möchte Sie davon überzeugen, dass ich - andere Umstände hin oder her - die Richtige für den Job bin", könnte unsere Schwangere jetzt sagen. Prompt jubelte der Bauch: "Endlich Schluss mit dem Bauch-weg-Training." - "Mit Mann, Oma, Opa, Krippenplatz oder Freunden habe ich aber die Freiräume, die ich für die Arbeit brauche", könnte die Frau ihr Konzept erklären.

Vielleicht gelänge es ihr, die Vorbehalte des Arbeitgebers zu entkräften. Vielleicht sollte sie auch rundheraus fragen, welche Nachteile er genau befürchtet, wenn er sie einstellt. Ist es der Kündigungsschutz während der Schwangerschaft und den vier Monaten nach der Geburt? Eine kurze Zeitspanne gemessen an den Jahren, die frau am Arbeitsplatz verbringen würde.

All das könnte angesprochen werden. Ob´s hülfe? Vielleicht stößt die Schwangere, sobald sie ihren Zustand anspricht, auf auffallend viel Verständnis. Dann wird ihr bedeutet, wie schön Muttersein ist. Und dass es sich auf jeden Fall lohnt, dieses Gefühl jahrelang - zu Hause - auszukosten

PS: Der Chef ist hier ein Mann, aber es muss noch gesagt werden, dass es auch unter den Frauen solche Männer gibt.

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