Bedingungslose Kompensation

Antideutsche Moshe Zuckermann attestiert so manchem Deutschen eine Neurose. Als Heilmittel empfielt der israelische Soziologe den Universalismus des Völkerrechts

Dass auch jüngere Deutsche historische Verantwortung gegenüber den Juden und dem von ihnen gegründeten Staat tragen, ist selbstverständlich. Es ist nicht verwunderlich, dass dieses Verhältnis besonders affektgeladen ist. Dass sich das sogar verstärkt, führt der israelische Historiker Moshe Zuckermann auf die Verdrängung aufklärerischer Werte und Denkweisen zurück.

Mit wohlfeiler Israelkritik kann sich durchaus noch traditioneller Judenhass tarnen, dessen sozialpsychologisch-pathologische Seite weitgehend erforscht ist. Das ist weniger der Fall bei der Gegenströmung der „Antideutschen“. Aus deren Selbstbezeichnung geht hervor, dass es sich um einen Ausläufer der alten Ideologie der Völkerpsychologie handelt, wonach Völker vererbbare, historisch kaum oder gar nicht veränderliche Eigenschaften besitzen. Demnach wäre das Verbrechen des Holocaust dem idealtypisch negativ konnotierten Charakter der Deutschen entsprungen. Den Juden und dem Staat Israel wird – ebenfalls idealtypisch – die Rolle des ewigen Opfers zugeschrieben. Dieser von den Antideutschen imaginierte Idealtyp des Juden misst den Differenzen zwischen in und außerhalb Israels lebenden Juden, zwischen der Situation europäischer und orientalischer Juden in Israel, zwischen orthodoxen, nationalreligiösen und säkularen Juden keine tiefere Bedeutung bei und erst recht nicht deren Konflikten. Sie sehen auch nicht, dass sie sich – zwar in mechanischer Umkehr – in den Denkstrukturen der Rassenkunde bewegen und dass das gewünschte Ziel – ein sicheres Leben für Juden – damit nicht erreichbar ist.

Bei den Antideutschen handelt es sich nicht nur um die Fortsetzung des in den ersten Jahrzehnten nach der Shoa entstehenden Philosemitismus. In ihr idealtypisches Bild vom Juden haben sie die bedingungslose Unterstützung der israelischen Politik gegen die Palästinenser integriert. Das wird verbunden mit aggressiven Positionen gegen alle, die letztere kritisieren, was in pauschalisierter Identifizierung der Kritik israelischer Regierungspolitik mit Antisemitismus mündet. Ein Beispiel für die Folgen: Der israelische Regierungskritiker Zuckermann darf nicht mehr in öffentlichen Räumen der Stadt Frankfurt sprechen, wo er zehn Jugendjahre verbrachte.

In Jugoslawien warfen wir Bomben auf unsere eigene Vergangenheit

Der auch psychoanalytisch argumentierende Zuckermann vermutet bei Antideutschen wie Jutta Ditfurth, die sich gelegentlich selbst JuDit nennt, dass aus der Wiedergutmachungsabsicht ein Wunsch nach totaler Identifizierung wurde. Aus dessen Unerfüllbarkeit kann sich Aggressivität ergeben, die sich mit dem Zynismus eines Henryk M. Broder trifft, der aus der Tatsache der Gewaltpolitik gegen die Palästinenser die zynische Schlussfolgerung zieht, dass es „mehr Spaß“ mache, statt Opfer Täter zu sein. Zuckermann meint: „Die Vernichtungsphantasien des deutschen Antisemiten ist der Freude an der von Juden praktizierten Gewalt des deutschen Philosemiten aufs Engste verschwistert.“

In dieser Logik kann der trivialisierte Topos Auschwitz zur Rechtfertigung von Gewalt werden. Zuckermann zitiert zunächst Frank Schirrmacher, der Joschka Fischers Behauptung, die Bombardierung Serbiens sei nötig, um ein weiteres Auschwitz zu verhindern, in der FAZ ironisierte: Die „deutschen Tornados im Himmel über Jugoslawien bombardieren in Wahrheit nicht die Serben, sondern die deutsche Wehrmacht von 1941“. Rache für Auschwitz nimmt in antideutscher Projektion – so Zuckermann – auch die israelische Armee bei ihren Einsätzen in Gaza.

Für ihn ist die Anerkennung des Universalismus des Völkerrechts die einzige humanistische Antwort auf den unsühnbaren Holocaust. Stattdessen findet Kompensation statt, eine „instrumentelle Funktionalisierung der Nachfahren der Opfer für die neurotischen Bedürfnisse der Nachfahren der Täter“. Für letztere vollziehe sich „mit der legitimierten Täterwerdung ´der Opfer`...mutatis mutandi eine Entlastung.

Der Allgegenwärtige Antisemit oder Die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit. Mit einem Beitrag von Susann Witt-Stahl Moshe Zuckermann Westend Verlag 2018, 255 S., 20 €

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