Wer die Aktion Mensch als eine Art graue Eminenz des Fernsehprogramms wahrnimmt, die im Unterhaltungsformat millionenfach Lose für den guten Zweck an die Leute bringt, lernt auf dem Filmfestival „ueber Mut“ eine tief schürfende Seite des Vereins kennen. Ab 4. November touren zeitversetzt neun Dokumentarfilme und ein Spielfilm zwölf Monate lang durch 100 Städte von Aachen bis Zwickau. Engagierte Charaktere stehen im Mittelpunkt der Produktionen. Sie beschäftigen sich mit Obdachlosigkeit und Missbrauch, zeigen den Alltag eines Paares mit Down-Syndrom, folgen Senioren ins Altenheim, dokumentieren den Protest gegen Sperranlagen, porträtieren Greenpeace-Aktivisten der alten Schule und befassen sich mit der NS-Geschichte.
Der Fördereinrichtung, die 1
ung, die 1964 als Aktion Sorgenkind gegründet und vor zehn Jahren in Aktion Mensch umbenannt wurde, gehören das ZDF und einige Wohlfahrtsverbände an. Ziel ist die Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen und sozialen Schwierigkeiten; mit Spenden und den Erlösen aus der Lotterie finanziert der Verein jeden Monat über tausend soziale Projekte. Er startet darüber hinaus Debattenplattformen wie das Portal von dieGesellschafter.de, das seit 2006 das Filmfestival ausrichtet. „In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?“, ist Leitfrage von Initiative und Filmreihe, die von Publikumsgesprächen mit Regisseuren und Experten flankiert wird. Für den barrierefreien Zugang sind alle Kinos rollstuhlgeeignet; Hörgeschädigten und Sehbehinderten stehen Untertitel und Audiodeskription zur Verfügung.Öko-Garde im PflegeheimIn Berlin wird die Reihe mit der Dokumentation Fritz Bauer – Tod auf Raten eröffnet. Bauer war an der Ergreifung Adolf Eichmanns beteiligt. Er rehabilitierte als Staatsanwalt in den fünfziger Jahren die Widerstandskämpfer des 20. Juli und initiierte in den Sechzigern die Auschwitzprozesse. „Er trotzte dem Zeitgeist und musste viel einstecken“, sagt Ralph Giordano. Die Regisseurin Ilona Ziok interviewt Kollegen und Weggefährten des Juristen. Sie erweitert Gespräche um historische Aufnahmen und Ausschnitte einer Fernsehsendung mit Bauer, in der er in einer Runde von Studenten die mangelnde Bereitschaft der Deutschen zur Aufarbeitung der Vergangenheit deutlich macht. 1968 stirbt der Jurist. Sein Tod gibt bis heute Rätsel auf, so vermittelt es zumindest der Film, um an diesem Punkt aber letztlich vage zu bleiben. In der Dramaturgie irritieren bisweilen die Gewichtung von Fragen und Gesprächssituationen. Trotzdem öffnet der Film ein spannendes Zeitfenster und veranschaulicht detailliert, wie die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen von allen Seiten torpediert wurde. Der schiefe Epilog mit dem Sinatra-Song My Way wirkt da als trotzig-optimistischer Kontrapunkt.Sechs Frauen und Männer, die in den siebziger und achtziger Jahren couragiert gegen Wal- und Robbenjäger, Atommüll-Frachter und Nukleartests zu Felde zogen, porträtiert der Film Rainbow Warriors von Suzanne Raes. Die Niederländerin schneidet altes Bildmaterial der Regenbogenkrieger vom gleichnamigen Greenpeace-Schiff („Das war wie Rock’n’Roll“) gegen Aufnahmen der in Würde ergrauten Veteranen. So entsteht eine filmische Dynamik, die einige narrative Längen überspielt. Alle sechs leben in Neuseeland, auf einer Insel im Golf von Auckland, nicht weit vom Hafen entfernt, wo die Rainbow Warrior 1985 durch einen Anschlag versenkt wurde. Das traumatische Ereignis, das ein Menschenleben forderte, beschäftigt sie noch immer. Einer aus der alten Öko-Garde bezeichnet den Alterssitz als „Pflegeheim für ausgebrannte Grüne“. Sie arbeiteten zwar weiterhin für Greenpeace, aber die Dynamik der Organisation habe sich verändert. „Brave Frauen schreiben selten Geschichte“ steht auf dem Aufkleber am Auto einer der neuseeländischen Aktivistinnen.Dem könnte die 15-Jährige Iltezam aus Budrus vielleicht zustimmen. Sie protestierte mehr als zehn Monate gemeinsam mit anderen Frauen und Männern aus ihrem Dorf gegen den Bau israelischer Sperranlagen, die auf ihrem Land errichtet werden und denen mehr als 3.000 Olivenbäume weichen sollten. Regisseurin Julia Bacha bekommt sie in Budrus alle vor die Kamera: den Oberst der israelischen Armee, der die Anlage verteidigt, ebenso wie die Grenzpolizistin, Fatah- und Hamas-Anhänger nebst internationalen und israelischen Unterstützern des Protests. So reich an Nuancen wurde selten über einen mehr oder weniger friedlichen Protest im Westjordanland berichtet.ueber Mut startet am 4.11. in Berlin und Neustrelitz. Weitere Termine unter uebermut.de