Behördliche Fußfesseln

Flüchtlinge Immer wieder werden Flüchtlinge, die ihren Landkreis verlassen haben, zu Gefängnisstrafen verurteilt. Rassismus von Staats wegen sei das, sagen Migrantenorganisationen

Felix Otto aus Kamerun sitzt seit einigen Monaten in Thüringen im Gefängnis, weil er gegen die Residenzpflicht verstoßen hat. Ohne behördliche Erlaubnis hatte er seinen Landkreis verlassen und muss deshalb eine Haftstrafe von acht Monaten verbüßen. Denn Flüchtlinge sind durch die sogenannte Residenzpflicht gesetzlich gezwungen, in den Regionen ihrer Ausländerbehörden zu bleiben. Gegen diese in ihren Augen rassistische Praxis demonstrierten am Donnerstag in Erfurt Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen. Otto war mehrmals ohne genehmigten "Urlaubsschein" gefahren. Der ist aber Vorschrift für Menschen wie ihn, dessen Asylverfahren noch läuft. Die Residenzpflicht bringt viele Probleme für Flüchtlinge mit sich, und es scheint, als erzeugte die Politik, die oftmals vor migrantischen "Parallelgesellschaften" warnt, auf diese Weise selbst welche.

"Felix Otto ist kein Krimineller – er wurde wegen eines rassistischen Gesetzes ins Gefängnis gesteckt," betonen seine Unterstützer. Organisiert wurde die Demonstration von der Flüchtlingsorganisation "The Voice". Deren Sprecher Osaren Igbinoba erklärt: "Die Verwaltung arbeitet zu einem großen Teil daran, Flüchtlinge in Lager zu bannen, wo sie nicht von der Gesellschaft gesehen werden. Die Residenzpflicht trägt zu dieser diskriminierenden Struktur bei, mit der sie ausgegrenzt werden."

Deutscher Sonderfall

Auch die Flüchtlingsrechtsorganisation Pro Asyl sieht in dem fraglichen Paragraphen des Asylgesetzes "eine rassistische Politik" und fordert dessen Abschaffung. Die Auflage mit der offiziellen Begründung, Flüchtlinge müssten zur Bearbeitung des Asylverfahrens erreichbar sein, gibt es EU-weit nur in Deutschland. Ob für einen Familienbesuch oder für ein Bildungsangebot im anderen Landkreis – der "Urlaubsschein" für Migranten ist nicht garantiert. Viele fahren ohne Erlaubnis.

Nach Angaben der Sozialwissenschaftlerin Beate Selders wurden seit 1982 bis heute mehr als 160.000 Strafverfahren gegen Flüchtlinge geführt, die ohne Erlaubnis hinter der Landkreisgrenze angetroffen wurden. Gerichte und Polizei arbeiten auf Hochtouren, um die Bewegung von Flüchtlingen zu kontrollieren. Polizeistreifen an öffentlichen Plätzen suchten oftmals gezielt migrantisch Aussehende und Schwarze aus der Menge heraus, berichten Flüchtlinge.

Wie in der Kolonialzeit

Aktivisten wie Komi E. von der "Initiative Togo Action Plus" sprechen deshalb auch von "Apartheid in Deutschland". Herr E. ist togoischer Flüchtling. Er fühle sich persönlich verletzt von diesem Gesetz, das seine Bewegungsfreiheit einschränke und ihn ins Visier der Polizei bringe, sagt der 30-Jährige: "Wir Flüchtlinge werden stigmatisiert, indem man uns gezielt auf der Straße nach den Papieren fragt." Und: "Auch in der deutschen Kolonialzeit durften die Einwohner Togos ihre Distrikte nur mit einer Sondergenehmigung der Behörden verlassen" – diese historische Erinnerung dränge sich geradezu auf, meint Herr E. Die Initiative von Flüchtlingen aus Togo führt seit dem Mai eine Unterschriftenkampagne gegen die Residenzpflicht im Land Sachsen-Anhalt.

"Orte, die von Staatsbürgern bedenkenlos genutzt werden, können für Flüchtlinge Gefahren darstellen", sagt der Architektur-Diplomand Philipp Kuebart. Er hat sich mit den "unsichtbaren Grenzen" für Flüchtlinge befasst und zeigt derzeit seine grafisch-künstlerische Ausstellung über die Residenzpflicht in Berlin. So hat er Fotografien von Berliner Bahnhöfen mit Berichttexten von Flüchtlingen kombiniert, die an den Orten von Polizisten angehalten wurden. Verblüffende Kniffe machen aus den Fotos halbräumliche Kulissen – "Raum wird subjektiv erlebt, Verschattungen deuten Versteckmöglichkeiten an", so Kuebart. Die Kontrollen, "Schleierfahndung" in der Sprechweise der Polizei, stellten für die betroffenen Migranten eine lästige und erniedrigende Erfahrung dar, so sein Resümee.

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