Bei Null tauchten wir ab

Pennälerphantasien Christoph Simons fulminanter Erstling "Franz oder Warum Antilopen laufen lernen"

Was Christoph Simons Erstling Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen von den finsteren Klassikern des Genres Schülerroman unterscheidet, von Hermann Hesses Unterm Rad über Robert Walsers Jakob von Gunten oder Friedrich Torbergs Schüler Gerber, könnte nicht fundamentaler sein: denn nicht sein Protagonist hasst die Schule, sondern umgekehrt schaut die Sache aus! Da bemüht sich ein genervter Lehrkörper - der Englischlehrer Wullschleger ebenso wie die neue Betriebswirtschaftslehrerin Brunisholz oder auch die geliebt-gehaßte Frau Apfel, ihres Zeichens Prorektorin der Anstalt - allseits und zu jeder Zeit darum, ihr Schulfaktotum (mit diesbezüglichen Ehrenzeichen wie dem Klebengebliebensein auf jeder Stufe) und den Dauerkiffer Franz vom ehrwürdigen Gymnasium zu verbannen. Ihr Erziehungsauftrag ist offensichtlich auf voller Breite gescheitert. Was zunächst auch zu gelingen scheint, dann aber, dank fernwirkender Ermahnungen des inzwischen auf tragische Weise verstorbenen türkischen Hauswarts Hüseyin Erymaz, am Ende doch vereitelt wird: Franz wird nicht nur zur Matura zugelassen, sondern besteht diese auch leidlich, um endlich - leider! - im Ernst des wirklichen Lebens anzukommen. Der Spaß ist zu Ende: there´s danger outside, mit Clint Eastwood zu sprechen, dessen zentnerschwere Lebensweisheit Simons Roman als Motto vorangestellt ist und dessen Konterfei eine Wand im Arbeitszimmer des Verfassers ziert.

Mögen die Geschichten und Kalauer auch zuweilen bekannt vorkommen, mag die zeitliche Nähe zwischen Franz´ Geschichten und dem schreibenden Autoren ein wenig zu aufdringlich sein, eins kann man Christoph Simon gewiss nicht absprechen: dass er erzählen kann. Wo andere Debütanten ins Behaupten abdriften oder aber ins Stochern im Nebel ausweichen, packt Simon Pennälerphantasien an und auf, erzählt putzmunter, was sich die Zöglinge so alles aus ihren Rippen und Lenden schwitzen. Hübsch etwa die Arabeske des vorletzten Kapitels, in der Franz nach bestandenem Abitur und hinter sich gebrachter Feierlichkeiten Frau Apfel, die unter - sagen wir´s geradeheraus - Verstopfung leidet, nicht nur mit vorbeugender wie nachbereitender diesbezüglicher Lektüre versorgt. Sondern zugleich selbst Hand an Frau Apfels Fuß legt, um dort tatsächlich den neuralgischen Punkt zu finden, auf dessen Druck hin und mangels besserer Örtlichkeiten Frau Apfel einen ganzen Nachmittag auf einem Papierkorb hockend und scheißend verbringt.

Gelungen auch die Porträts verschiedener Figuren wie etwa der des türkischen Hausmeisters oder des Mädchens Peggy aus der Mittelstufe, die "einen Setzkasten voll Träume hatte und ihn aus allen möglichen Winkeln betrachtete, während sie nach einem Schwimmbecken voll Parfum duftend durch den Tag strauchelte."

Am Ende steht jedem Leser glasklar vor Augen, dass dieser Text nach einer Fortsetzung giert. Erzählt doch Simon die Geschichte seines Schülers Franz hart bis an die Grenze dahin, wo dessen männliches Leben erst wirklich beginnt: in der Zeit mit der angebeteten Katalanierin Venezuela. Schluss aus, Vorhang zu! "Bei null tauchten wir ab, und als wir wieder auftauchten, war ein neuer, ganz normaler, vielversprechender Tag, und ich wagte wieder zu atmen." Fortsetzung folgt - wie Franz dann doch noch schlussendlich zum Mann wurde: mit 21!

Christoph Simon: Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen. Roman. Bilgerverlag, Zürich 2001, 218 S., 17, 90 EUR

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