Beifall und Skepsis

Soziale Bewegungen Wie in Frankreich das Engagement der deutschen Gewerkschaften wahrgenommen wird

Frank Bsirske, Vorsitzender von ver.di, nimmt in diesen Tagen am "Europäischen Sozialforum" (ESF) in Florenz teil. "Wir wollen den Dialog mit den Nicht-Regierungs-Organisationen führen", lässt ver.di verlauten. Die IG Metall wird unter anderem von Klaus Priegnitz, aus der Internationalen Abteilung vertreten. Christophe Aguiton, Aktivist der ersten Stunde und Internationaler Sprecher von Attac Frankreich, ist erfreut über die Beteiligung der wichtigen Gewerkschaften ver.di und IG Metall am "Europäischen Sozialforum". Sie zeige, dass "sich auch in Deutschland etwas bewegt". Fragen der Globalisierungs- und Kapitalismuskritik werden in Frankreich sehr breit diskutiert. Die Deutschen hält Aguiton in dieser Beziehung für eher passiv. Doch mittlerweile zeige sich, dass sich etwas verändere. Wenn Spitzenleute sich auf den Weg machten, stehe meist die Basis dahinter, vermutet Aguiton.

Weit gefehlt, findet Hardy Krampertz, Mitglied im Rat von Attac Deutschland und in Frankfurt Bezirksvorstand von ver.di. Aguiton habe eine allzu rosige und illusionäre Sichtweise, die wohl daraus entstehe, dass die Gewerkschaften in Frankreich eine kampferprobtere Basis haben. Franzosen können sich den konservativeren Charakter der deutschen Gewerkschaften, die "auf ihre Tarifspielwiese festgelegt" seien, gar nicht vorstellen. Krampertz kritisiert, dass es innerhalb von ver.di keinerlei Diskussion zum Sozialforum gegeben hat und sieht die Beteiligung Bsirskes als Einzelaktion des Vorsitzenden.

Wenn Aguiton in seinem Buch Was bewegt die Kritiker der Globalisierung? schreibt, "Deutschland ist eines der Länder Europas, in denen die Errungenschaften der abhängig Beschäftigten weitgehend bewahrt wurden", ist allerdings die konkrete Planung der Hartz-Kommission noch nicht berücksichtigt. Gerade Aguiton, selbst Mitinitiator der "Europäischen Märsche gegen Arbeitslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung", protestiert seit Jahren heftig gegen den fortgesetzten Sozialabbau besonders bei Arbeitslosen. Und er ist Optimist: In den sozialen Bewegungen der Zukunft werde man die deutsche Gewerkschaftsbewegung ganz oder in Teilen wiederfinden.

Madjiguène Cissé, eine der Wortführerinnen der Sans Papiers, sieht die Zusammenarbeit kritischer. Als die Illegalisierten in Frankreich 1996 Kirchen besetzten und "Papiere für alle" forderten, waren zwar als wichtigste Verbündete die Gewerkschaft CGT und die unabhängige Basisgewerkschaft SUD mit im Boot. Doch sowohl unter linken wie rechten Regierungen habe es in Frankreich stets "gute" Immigranten gegeben, die man integrieren und "böse", die man rausschmeißen wollte. Unter der linken Jospin-Regierung hätten sich viele Gewerkschafter als Bremser der Bewegung erwiesen: "Gewerkschafter haben überall Freunde in der vermeintlich linken Regierung gehabt und wollten sich nicht gegen diese stellen." Gesetze, die man unter der rechten Regierung noch bekämpft habe, seien unter Jospin, teilweise mit Duldung der Gewerkschaften, durchgesetzt worden. Die Sans Papiers hätten sich jedoch niemals das Heft aus der Hand nehmen lassen, stets um die Anerkennung ihrer Interessen in der Bevölkerung geworben. Sozialen Bewegungen in Deutschland rät Cissé, sich unter einer sozialdemokratischen Regierung nicht vereinnahmen zu lassen, sondern radikale Aktionen durchzuführen.

Im Vorfeld des ESF haben die Sans Papiers zur "Legalisierung aller Sans Papiers in Europa" aufgerufen. Sie wollen nicht mehr "abgeschoben, elementarer Grundrechte beraubt und zur Beute von Kriminellen jeglicher Art - illegaler Arbeitgeber, Eigentümer von menschenunwürdigen Wohnungen, Zuhälter, etc. - werden". Europa soll das Recht auf Freizügigkeit für alle, ohne Ansehen der Staatsangehörigkeit, als Grundsatz aufnehmen. Alle Mitgliedstaaten sollen in einer Richtlinie verpflichtet werden, sämtliche derzeitige Sans Papiers zu legalisieren.

Angesichts des Zuwanderungsgesetzes der deutschen Regierung, das alles andere als eine solche Freizügigkeit vorsieht, erwartet man von der Gewerkschaftsbasis, eine breite Diskussion in Gang zu setzen. Das Mäntelchen der Wortradikalität in Gewerkschaftsvorständen helfe da nicht weiter, so Hardy Krampertz. Der Geist von bürgerlichen Freiheiten sei in Deutschland - anders als in Frankreich - nicht tief verankert. Was aktive Demokratie und Zivilcourage angehe, könnten die Deutschen seiner Ansicht nach von ihren westlichen Nachbarn noch einiges lernen.

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