Being Katja Bürkle

Bühne René Pollesch inszeniert an den Münchener Kammerspielen eine Zitatcollage der Filmindustrie. Leider bleibt es bei teils hohlen Phrasen

Mitten auf der Bühne der Münchner Kammerspiele steht ein riesiger Totenschädel. Wuchtig, hoch aufragend, wie ein breites, geschwungenes Ausrufezeichen. Für solche konkreten Ankerpunkte, für solche scheinbar eindeutigen Symbole kann man dankbar sein im Theater von René Pollesch, das wesent­lich eines der Beschleunigung ist, eine Bewegungs- und Beschwatzungsmaschine. Die Textflächen, zu denen die Figuren geworden sind, suchen atemlos nach einem Ausdruck für ihren Verlust, ihre Verlorenheit, ihre Krankheit oder, weil Pollesch marxistische Terminologie als Versatzstück nicht scheut: für ihre Entfremdung.

„Eure ganz großen Themen sind weg!“, behauptet der Abend im Titel, was ein Witz ist. Liebe, Tod, das Ich, das wahre Leben – darunter macht es die Inszenierung nicht. Aber schon wenn Katja Bürkle, Franz Beil und Benny Claessens sich gleich zu Beginn in einer Endlosschleife der hohlen Phrasen verlieren von denen, „die sich nehmen, was sie wollen“, damit sie auf dem Totenbett nichts bereuen müssten und dies wiederkehrend zu einer proto-sexuellen Verknäuelung zu dritt führt, die wiederum zu nichts führt – dann explodiert die Sprache einmal mehr ins Geschwätz, in ein Teil des Problems und nicht der Lösung.

Die Schauspieler nennen einander Maxine, Craig und Lotti, so heißen auch drei der Hauptfiguren in Spike Jonzes Film Being John Malkovich, die einen geheimen Tunnel finden, der direkt ins Hirn des Hollywoodstars führt. So zitiert sich der Abend entlang an einigen Gegenständen dieser Bewusstseinsindustrie: Benny Claessens verwandelt sich in Heath Ledgers Joker, Çigdem Teke, die vierte Darstellerin, beguckt sich die Bühnenwelt mal durch die Brille der jungen Prostituierten Iris aus dem Film Taxi Driver, Bürkle schlüpft auch ins kleine Schwarze von Audrey Hepburns It-Girl Holly Golightly. In den am Fließband produzierten Fantasien der Traumfabrik verliert der Träumer sein eigenes Ich, in den Augenhöhlen des Totenschädels verströmen Dutzende Glühlampen falschen Glamour.

Fenster zur Welt

Das Ding ist eher ein Untotenschädel, in dem sich der Geist des Kulturindustriezombies Katja Bürkle manifestiert. Für „200 Mäuse“ darf jeder mal rein, und Beil nutzt die Gelegenheit, sie als Amazone aus Kill Bill auf einen Herrn in der ersten Reihe zu hetzen, in dem er den „Europachef von McDonald‘s“ erkannt haben will. Eindrücklich gelingt es Pollesch, gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Bert Neumann den theatralen Raum aufzuteilen und neu zu schaffen. Der Live-Video-Feed von Ute Schall hat kein Reservat innerhalb der Bühne zugewiesen bekommen, sondern zeigt häufig direkt auf dem geschlossenen Vorhang, wer gerade in Katja Bürkles Kopf herumturnt, der so als eigener und doch zugänglicher Ort erfahrbar wird. Und als Fenster zur Welt, wenn die Kamera über Bürkles Schulter ins vom Saallicht aus der Anonymität gerissene Publikum schaut und jeder ohne die 200 Euro wissen kann, wie das ist – being Katja Bürkle.

Wenn Bürkle sie selbst sein darf, dann werfen sie und die anderen drei einander Theoriefetzen um die Ohren vom verlorenen Gebrauchswert der Liebe, des Lebens, des Todes. Diese ließen sich weiterdenken, während der Rest des Diskurses an einem vorbeifliegt. Womöglich. Denn die sich verselbstständigende Sprache taugt nicht mehr zur Erklärung, geschweige denn zur Heilung. Sie ist auch eine Pose der Regiehandschrift von Pollesch geworden, Zitat ihrer selbst, das Element eines bisweilen ermüdenden Meta-Meta-Theaters.

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