Bella Donna

Zuviel Pathos Jenny Erpenbecks Geschichten leben von Andeutungen

Die erste Erzählung ist eine sadomasochistisch angehauchte Liebesgeschichte. Die Ich-Erzählerin, deren Geliebter ihr tags zuvor die Fußsohlen mit einer Zigarette verbrannte, liegt nackt auf dem Bett. "Du siehst aus, als wenn der liebe Gott seinen Engeln ein Beispiel hätte geben wollen. Schaut einmal her, hat er zu seinen Engeln gesagt, so muss eine Frau aussehen."

Warum muss es eigentlich derzeit so entsetzlich viele narzisstisch veranlagte Ich-Erzählerinnen geben? Wahrscheinlich soll die Perspektive Komplizenschaft mit dem Leser herstellen. Aber die Rezensentin ist mittlerweile entnervt. Außerdem ist die in der Geschichte angelegte Konstellation: engelgleiche Schönheit plus Unschuld/Wehrlosigkeit plus brennende Zigarette allzu klischiert. Dabei ist der Text insgesamt diszipliniert geschrieben, er arbeitet mit Auslassungen und Andeutungen, und balanciert geschickt zwischen Verhüllen und Enthüllen.

Nach ihrem viel gelobten Debüt, der Geschichte vom alten Kind (Freitag 33/99) hat Jenny Erpenbeck, Jahrgang 1967, jetzt eine Sammlung von Erzählungen veröffentlicht, und man merkt den Texten an, dass die Autorin Opernregie lernte, dass sie Erfahrungen als Theaterregisseurin hat. Sie arbeitet deutlich, manchmal zu deutlich mit Effekten, wie man sie vom Theater her kennt.

Da ist etwa der Text über die Kainbacher Maria, eine alte Frau, die, nachdem sie in einer Kirche Kerzen für ihren Sohn angezündet hat, eine frühere Nachbarin aus dem Krankenhaus sucht und findet. Jahre zuvor lagen beide in einem Krankenhauszimmer, hatten beide gerade entbunden und freuten sich an ihren Säuglingen. Mit Hilfe von Marias Nachfragen bevölkert sich die Küche nun allmählich mit Geschichten, mit Gesichtern, ein Stück Lebenszeit wird wieder lebendig. Als Gertrud schließlich fragt, was denn aus Marias Sohn geworden sei, ist die Antwort ein Donnerschlag, so lakonisch sie auch formuliert wird: "Erschossen hat er sich halt." Dieser Donnerschlag am Ende wäre so nicht nötig gewesen, aber Erpenbeck legt manchmal Wert auf die große Geste - und genau das tut ihren Texten nicht gut.

Atropa bella donna ist die Geschichte einer Eifersucht. "Er" und "ich" wuchsen wie Bruder und Schwester heran. Unversehens merkt das Ich, es hat sich in "ihn" verliebt. Er aber findet eine Geliebte. Zwei sind also miteinander "im Bunde", das Ich steht außen vor, betrachtet die schöne Freundin, zeigt ihr den Garten, gibt ihr Früchte zu essen. Zuletzt könnte das Ich, vergiftet vor Neid, der Geliebten des Freundes auch die Beeren der Bella donna anbieten; diese Beeren würden die Augen der Rivalin für immer weiten. Das ist eigentlich sehr leise, sehr subtil erzählt, aber Erpenbeck lädt ihren Text noch zusätzlich auf. Da muss also, während die "Geschwister" noch miteinander unterwegs auf Reisen sind, "ihr" Blut fließen, da muss eine nicht konkret benannte "Grenzstation" erreicht werden, da findet eine bedeutungsschwere "Grenzüberschreitung" statt - kurz, es ist manchmal zuviel an Pathos, Aufladung und Überhöhung.

Erpenbecks Sprache wiederholt und steigert diesen Gestus noch: Kleider werden "abgelegt", nicht "ausgezogen", eine Tür wird nicht geöffnet, sondern "aufgetan", eine Figur "kann nicht" dasunddas, sondern "vermag es nicht". Solche Schreibweise wirkt entweder gesucht, oder sie wirkt gespreizt und gestylt. Aber soll man Erpenbecks Texten eben das vorhalten, was sie doch vielleicht gerade wollen? Neben dem kann man an den Erzählungen vor allem ihre Konzentration loben: Mit wenigen Sätzen wird ein Raum, eine Figur, eine Stimmung gezeichnet. Die Geschichten leben vom Angedeuteten, vom Ausgelassenen, Verschwiegenen, und das heißt, man muss als Leser selbst mitarbeiten. Die Geschichte Tand erzählt von einer Großmutter, sie war "Sprechmeisterin" und lehrte die Ich-Erzählerin das Sprechen auf der Bühne. Auch hier wieder kleine Momentaufnahmen, präzise Beobachtungen eines Körpers und hier hat man endlich den Eindruck, dass nicht nur sorgfältig kalkuliert wurde, dass es nicht nur um den Leseeffekt geht. Das "Gemachte", die Methode treten zurück; was hervorscheint, sind Neugier, Offenheit, Beteiligung. Das hat nichts mit "aus dem Bauch schreiben" zu tun, mit "Betroffensein" oder ähnlich unseligen Zuständen. Tand wirkt so, als habe die Autorin die Geschichte schreiben müssen, um an etwas heranzukommen und nicht, um etwas zu produzieren.

Jenny Erpenbeck: Tand. Erzählungen. Eichborn-Verlag Berlin 2001, 118 S., 16, 90 EUR

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