Bemal dich golden und warte

Film Einem ägyptischen Ferienort fehlen die Gäste. Animiert wird trotzdem: „Dreamaway“
Ausgabe 06/2019

Ein Trupp junger Frauen und Männer stakst schweigend durch eine Art Mondlandschaft: Ihre Bewegungen muten zombiemäßig an, die bunt-fummelige Kostümierung assoziiert Silvesterparty oder Karneval. Im wolkenlosen Himmel darüber zieht ein Jet seine Bahn. Dann steigt die kleine Gruppe an der Landstraße auf die Ladefläche eines angehaltenen Pick-ups. Schnitt. Und wir sind in einem geschäftigen Hinterhof, durch dessen großes Tor ein mit Pappkartons beladenes Lieferauto einfährt und entladen wird.

Es ist der Betriebshof eines Hotels, das auf der touristischen Seite mit orientalisierenden Fassaden edel glänzt. Die Liegen am Pool werden von roten Baldachinen gegen die arabische Sonne abgeschirmt. Denn das Luxusresort liegt an einem populären Überwinterungsort für sonnenhungrige Europäer am Roten Meer. Doch wenn morgens das Animationsteam zu aufpeitschender Musik das Programm beginnt, sind die Liegen drum herum leer. Denn dem ägyptischen Sharm El Sheikh haben die Folgen des gewaltsamen Regimewechsels 2013 und islamistische Terrorangriffe mitgespielt.

Und so mangelt es (jedenfalls zur Zeit des Drehs) drastisch an Touristen. Doch ein großer Teil der Angestellten ist noch da, wenn auch zu reduzierten Löhnen. Einige dieser DJs, Zimmerfrauen und Masseure waren auch Teilnehmer des anfänglich beschriebenen Zugs, der sie nach einem Club-Besuch durch die Wüste nach Hause führte. Und sie sind die Helden dieses Films, der sie bei Arbeitsroutinen und Freizeitaktivitäten begleitet. Dabei ergänzen sich beobachtende Momente und persönliche Reflexionen der Einzelnen mit einer fast-fellinesken Rahmenhandlung um eine auf der Ladefläche eines Pick-ups durch die Straßen gefahrene große Affenpuppe, die die Protagonisten erst mit süßen Rufen lockt und dann mit intimen Fragen piesackt.

Die Affenfigur bleibt bis zum Ende mysteriös. Klar dagegen die Auskünfte der Angestellten, die ihre Erfahrungen, Sorgen und Träume beschreiben. Viele hatte einst wirtschaftliche Notwendigkeit in die Tourismusgoldgrube am Roten Meer getrieben. Doch auch Nicht-Monetäres lockte: Rami etwa, der im Resort mit Goldhaut als Modell für Fotos posiert, erzählt, dass er einst vor den Strafaktionen seines Vaters nach Sharm El Sheikh floh. Auch für andere scheint die Touristenenklave ein Zufluchtsort vor der Enge und den Anforderungen von Gesellschaft und Familie – wie etwa Heirats- und Gebärdruck – gewesen zu sein. Doch (wenig überraschend) ist das Patriarchat auch hier durchaus präsent, etwa wenn die Männer besitzergreifend und oft abfällig über ihre – abwesenden – Ehefrauen reden. Eine wirkliche Perspektiven gibt es hier aber für niemanden, wenn man einmal von der von manchen Frauen spielerisch angepeilten Heirat mit einem westlichen Gast absieht.

So entsteht eine Atmosphäre melancholisch-geschäftigen Stillstands, die das Regieduo aus dem Kairoer Regisseur Marouan Omara und der KHM-Absolventin Johanna Domke in eine surreal flirrende Atmosphäre taucht. Dabei können die Nebel eines Insektenvernichtungseinsatzes auch mal als malerische Schleier über Büsche und Gebäude herhalten. Überhaupt spielen die Filmemacher lustvoll mit den Grenzen zwischen dokumentarischer Aufzeichnung und fiktionaler Gestaltung und lassen auch bei ihren Helden Momente persönlicher Entblößung und Selbstdarstellung untrennbar ineinanderfließen.

Das passt perfekt zu diesem Ort, der wie die meisten Touristenzentren eine bizarre Mischung aus folkloristischer Kulisse und wirklichem Leben aufweist. Da treffen echte Kamele auf falsche Eisbären und Palmen auf überdimensionierte Dinosaurierfiguren. In der Geschichte des Spielfilms ist das Hotel populäre Metapher für Heimatverlust und existenzielle Unbehaustheit. Diese faszinierende semi-dokumentarische Expedition holt es in die soziale Realität zurück, ohne den symbolischen Mehrwert zu entzaubern.

Info

Dreamaway Johanna Domke, Marouan Omara Deutschland, Ägypten 2018, 86 Minuten

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