Benedikt im Selbstgespräch

Sozialenzyklika In seiner Sozialenzyklika versucht sich der Papst als Krisenanalytiker, verharrt jedoch bei einer ethischen Kapitalismuskritik, die klare Schuldzuweisungen meidet

1891 erließ Papst Leo XIII. das erste päpstliche Lehrschreiben („Enzyklika“) mit dem Titel Über neue Dinge („Rerum novarum“). Die „neuen Dinge“ waren damals gar nicht so neu. Es ging um die sich mit der Industrialisierung verschärfende soziale Frage, um die sozialistische Arbeiterbewegung und die Gewerkschaften. Das Schreiben richtete sich nicht nur an Katholiken und Priester, sondern an „alle Menschen guten Willens“. Die Enzyklika war der Beginn der katholischen Soziallehre. Die bildet bis heute so etwas wie das Scharnier zwischen dem Universum des Katholizismus und den weltlichen Gesellschaften. Insofern nahmen die Päpste mit ihren Enzykliken immer auch einen Dialog auf mit aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen.

Von den Inhalten her gesehen gilt das auch für die nun veröffentlichte Enzyklika Benedikts XVI. mit dem Titel Caritas in veritate („Liebe in der Wahrheit“) – in der deutschen Fassung 57 eng bedruckte Seiten mit 79 Abschnitten und 159 Fußnoten. Bereits diese Fußnoten verraten jedoch, dass der Dialog Benedikts XVI. keiner mit der Welt ist, sondern einer mit der katholischen Tradition. Der Papst zitiert nur Enzykliken seiner Vorgänger und setzt sich mit deren Lehrsätzen auseinander oder legt dar, was sich seither verändert hat oder neuer Antworten bedarf. Benedikt führt insofern keinen Dialog, sondern ein Gespräch unter seinesgleichen und mit sich selbst.

Bei seinem Lieblingsthema – dem Verhältnis von Glauben und Vernunft – verläuft sich der Papst einmal mehr, weit entfernt von Kants Vernunftkritik, ins Fundamentalistische: „Die Vernunft bedarf stets der Reinigung durch den Glauben, und dies gilt auch für die politische Vernunft, die sich nicht für allmächtig halten darf. Die Religion bedarf ihrerseits stets der Reinigung durch die Vernunft, um ihr echtes menschliches Antlitz zu zeigen.“ Das ist fundamentalistischer Autismus, der jedem Dialog mit aufgeklärter Philosophie oder anderen Religionen eine Absage erteilt.

Neben solchen Abstürzen, gibt es klare Sätze. „Die Wirtschaft darf nicht zum Ort der Überwältigung der Schwachen durch den Starken werden.“ Dem Satz fehlt freilich die Präzisierung, wer denn „der“ Starke ist. Wahrscheinlich treten Starke ohnehin nur im Plural auf, da wäre es schon wünschenswert, dass der Papst deutlicher sagen würde, wen er meint. Auch seine Aussagen über „spekulative Finanzaktivitäten“, „ungerechte Verteilung“, „Ethik und Wirtschaft“ schweben in einer gewissen Unter- und Unbestimmtheit. Der katholische Theologe Friedhelm Hengsbach sprach deshalb von einer „blassen Darstellung“ der aktuellen Wirtschaftskrise.

Der größte Mangel der Enzyklika ist jedoch das Schwanken des Papstes zwischen einerseits und andererseits, was den Text zu einem Angebot macht, aus dem jeder nach Gusto das auswählen kann, was ihm gefällt. Die Gewerkschaften werden sich an den Abschnitt 25 halten, in dem Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer in Verbindung gebracht werden mit „einer Reduzierung der sozialen Sicherheit“, die „die Rechte der Arbeiter, die fundamentalen Menschenrechte und die in den traditionellen Formen des Sozialstaats verwirklichte Solidarität in ernste Gefahr bringt.“ Die Arbeitgeberseite, die FDP und Peter Slotderdijk werden den Abschnitt 58 mit der Warnung vor einem „Sozialsystem“ herzitieren, „das den Bedürftigen erniedrigt.“ Auch die Forderung des Papstes nach „echter politischer Weltautorität“, um das Chaos zu bewältigen, das der Kapitalismus und die Interessenpolitik der G8-Staaten angerichtet haben, bleibt nebulös. Zunächst gibt es diese Autorität bereits in Form des Völkerrechts und der Vereinten Nationen. Nur sorgen die starken Staaten und Interessenten dafür, dass beide Papiertiger bleiben.

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