Die Nachrichten über das Versöhnungsabkommen zwischen Fatah und Hamas sind gut für den Frieden. Wenn das ausgehandelte Abkommen von den jeweiligen Führern unterzeichnet ist, wird es für die Palästinenser – und für uns Israelis – ein Riesenschritt nach vorn sein. Es ist sinnlos, nur mit einer Hälfte der Palästinenser Frieden zu schließen – es mit dem ganzen Volk zu tun, mag schwieriger, aber unendlich viel sinnvoller sein. Deshalb: Bravo! Auch Israels Premier sagt Bravo. Da seine Regierung die Hamas zur terroristischen Organisation erklärt hat, mit der es keinerlei Verhandlungen geben wird, kann Benjamin Netanjahu jetzt jedem Gerede über Friedensgespräche mit der Autonomie-Behörde ein Ende setzen. Was? Frieden mit einer palästinensischen Regierung, die Terroristen nicht ausschließt? Niemals!
Die israelische Debatte über die arabische Einheit geht weit zurück. Sie begann schon in den fünfziger Jahren, als die Idee der panarabischen Eintracht ihren Kopf hob. Präsident Gamal Abdel Nasser hisste das Banner in Ägypten, während die panarabische Baath-Bewegung in Ländern wie Syrien und dem Irak zu einer prägenden Kraft aufstieg, bevor sie Machtapparate mafiotischer Prägung erzeugte.
Desaster für Palästina
Nahum Goldmann, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), befand, panarabische Einheit sei gut für Israel, weil nur alle arabischen Staaten zusammen den Mut hätten, mit dem jüdischen Staat Frieden zu schließen. David Ben-Gurion, von 1948 bis 1953 erster Ministerpräsident, meinte hingegen, Frieden für Israel sei schlecht, bis der Zionismus all seine – öffentlich nicht definierten – Ziele erreicht habe. Tatsächlich blieb Einheit unter den Arabern – solange sich Israel im permanenten Kriegszustand wähnte – eine Gefahr und musste unter allen Umständen verhindert werden. Goldmann, der glänzendste Feigling, den ich je kannte, hatte nicht den Mut, seiner Überzeugung zu folgen. Ben-Gurion war weit weniger glänzend, aber viel entschlossener und siegte.
Die Theorie, um so besser für Israel, je gespaltener der Feind ist, sollte einen weiteren Praxistest erfahren, als in den achtziger Jahren Vorläufer von Hamas auftauchten. Die israelischen Besatzungsbehörden ermutigten die islamische Bewegung, aus der bald darauf die Hamas (dt. „Islamische Widerstandsbewegung“) hervorging, und betrachtete sie als Gegengewicht zur säkular-nationalistischen Fatah, die damals als Hauptfeind galt.
Später hat die israelische Regierung bewusst die Teilung zwischen der Westbank und dem Gazastreifen gepflegt, indem sie das Oslo-Abkommen von 1993 verletzte und sich weigerte, die dort vereinbarten vier „sicheren Passagen“ zwischen beiden Territorien einzurichten. Nicht eine einzige wurde für einen einzigen Tag geöffnet. Die geografische Trennung zog die politische nach sich. Als die Hamas im Januar 2006 zur Überraschung aller – inklusive des eigenen Lagers – die palästinensischen Wahlen gewann, erklärte die israelische Regierung, sie wolle keinen Umgang mit einer Regierung, in der die Hamas vertreten sei. Sie befahl – es gibt kein anderes Wort dafür – den USA wie der EU, ihrem Beispiel zu folgen. In der Konsequenz zerbrach die palästinensische Einheitsregierung. Ein Desaster für die Palästinenser, sorgte doch dieser Riss für schwelenden Hass zwischen Menschen, die einst Jahre gemeinsam in israelischen Gefängnissen verbracht hatten. Die Hamas verklagte – nicht immer zu Unrecht – die Behörde in der Westbank, mit der israelischen Regierung gegen sie zu kollaborieren. Auch würden die Israelis wie die Ägypter von der Fatah gedrängt, den Gazastreifen weiter einzuschnüren und jedes Agreement zu verhindern, das als Gegenleistung für die Freiheit des in Gaza gefangenen israelischen Soldaten Gilad Shalit die Entlassung von Hamas-Aktivisten vorsah. Viele dieser Aktivisten leiden in Westbank-Gefängnissen, und einer Menge Fatah-Aktivisten in Gaza-Gefängnissen geht es kaum besser. Doch Fatah und Hamas sind Minderheiten in Palästina – die große Masse der Palästinenser wünscht verzweifelt die Einheit und einen gemeinsamen Kampf, um die Besatzung zu beenden. Ist das endgültige Versöhnungsabkommen erst einmal unterschrieben, werden die Palästinenser überall jubeln.
Rein gar nichts
Benjamin Netanjahu jubelt schon. Die Kairoer Versöhnungsgespräche waren gerade beendet, da hielt er eine feierliche Rede im Fernsehen – eine Art Botschaft an die Nation. „Ihr müsst wählen zwischen uns und der Hamas“, teilte er der Autonomiebehörde mit. Die palästinensische Versöhnung beschert Netanjahu eine große Erleichterung. Er ist von den neuen republikanischen Wortführern des US-Kongresses eingeladen, noch im Mai einen Vortrag zu halten. Doch was hätte er den Amerikanern oder den Vereinten Nationen, die im Begriff sind, auf ihrer Generalversammlung im September den Staat Palästina anzuerkennen, eigentlich sagen sollen? Jetzt hat er etwas: Frieden ist unmöglich, weil bei den Palästinensern Terroristen mitregieren, die uns ins Meer werfen wollen. Also: kein Frieden, keine Anerkennung, rein gar nichts. Wenn jemand Frieden wünscht, sollte es andere Mitteilungen geben.
Die Hamas ist ein Teil der palästinensischen Realität. Gewiss, sie ist extremistisch, aber wie uns die Briten viele Male gelehrt haben, ist es besser, mit Extremisten Frieden zu schließen. Wer mit Moderaten Frieden schließt, muss sich weiter mit den Extremisten herumärgern. Im Übrigen ist die Hamas nicht ganz so extrem, wie sie sich selbst darstellt. Die Organisation hat viele Male erklärt, dass sie ein Friedensabkommen akzeptiert, das sich auf die Grenzen vor dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 gründet, sofern es durch ein Referendum des palästinensischen Volkes bestätigt oder durch das Parlament ratifiziert wird. Und wenn die Hamas die palästinensischen Behörden akzeptiert, dann gilt das auch für das Oslo-Abkommen, auf dem die Autonomiebehörde gründet und das die gegenseitige Anerkennung Israels und der PLO festhält.
Die beiden großen Palästinenser-Fraktionen haben ihre Schirmherren verloren – die Fatah den ägyptischen Beschützer Mubarak, die Hamas ihren syrischen Mäzen Bashar al-Assad, der in schwere Bedrängnis geraten ist. Dies führt dazu, sich flexibler zu verhalten und Realitäten zu respektieren. Israel könnte in dieser Situation eine Menge tun: wenigstens eine exterritoriale Passage zwischen der Westbank und GazaCity öffnen und der Blockade ein Ende bereiten, die nach dem Ausscheiden des ägyptischen Partners sowieso hinfällig wird. Es wird Zeit, zur Kenntnis zu nehmen, dass religiöse Elemente jetzt ein Teil der gewandelten politischen Szenerie in der gesamten arabischen Welt sind. Sie werden institutionalisiert und dadurch wahrscheinlich viel „moderater“.
Die palästinensische Einheit – wenn sie denn Bestand hat – sollten auch die EU-Staaten und die USA willkommen heißen und zum Anlass nehmen, einen Staat Palästina innerhalb der 67er-Grenzen anzuerkennen. Sie sollten zu freien und demokratischen palästinensischen Wahlen ermutigen und deren Resultate annehmen, egal wie sie ausfallen.
Uri Avnery zählt zur israelischen Friedensbewegung, ist Schriftsteller und war Knesset-Abgeordneter
Kommentare 5
Ein Bericht das Hoffnung macht. Ich freue mich vor allem für die palästinensische Zivilbevölkerung. Diese Menschen haben es verdient endlich zur Ruhe zu kommen und in Frieden zu leben. Natürlich genauso wie die israelische Zivilbevölkerung es auch verdient hat einfachmal endlich zur Ruhe kommen. Herr Avnery, ich schätze Sie sehr. Sie sind ein großer Humanist und Menschen wie Sie, sind sehr rar gesät:)
Es wird keinen Frieden geben, bei allem guten Willen von Herrn Avnery!
Wo ist zu suchen, wenn man nach den Ursachen zionistischer Hybris sucht?
Hier: Flavius Josephus, jüdische Altertümer, ISBN: 3-921695-19-8; 3. Buch, Kap. 14 15, 4. Buch, ab Kap. 1, Augenmerk auf Kap. 5 ff. Ein Auszug:
2. Als Moyses die feindliche Gesinnung des Amorrhäers merkte, glaubte er diese verächtliche Handlung nicht leiden zu dürfen, und um die Hebräer aus ihrer Untätigkeit aufzurütteln und sie vor dem Mangel zu bewahren, der sie früher zu dem Aufruhr verleitet hatte, fragte er Gott um Rat, ob er angreifen dürfe. Und da Gott nicht nur den Krieg gestattete, sondern auch einen siegreichen Ausgang versprach, so rüstete er sich vertrauensvoll zum Kampfe und feuerte die Streiter an, indem er sie beschwor, jetzt ihre Kampfbegier zu stillen, da Gott ihnen die Erlaubnis dazu erteilt habe. Diese ergriffen auch zugleich die Waffen und eilten zum Kampf. Als sie nun heftig einherstürmten, war der Amorrhäer seiner selbst nicht mehr mächtig, sondern erschrak beim Anblick der Hebräer, und auch sein Heer, welches vorher Tapferkeit zur Schau getragen, ergriff mächtige Furcht. Daher hielten sie dem ersten Ansturm nicht stand, sondern wandten sich zu Flucht, wodurch sie sich eher als durch den Kampf zu retten können glaubten. Sie vertrauten nämlich ihren festen Städten, die ihnen indes nichts nutzten. Denn als die Hebräer sie weichen sahen, drängten sie unverweilt nach, verwirrten ihre Reihen und verbreiteten Schrecken unter ihnen. Jene zogen sich darauf in ihre Städte zurück. Die Hebräer ließen in der Verfolgung nicht nach und legten statt der früheren Schwäche eine bedeutende Ausdauer an den Tag. Und da sie vortreffliche Schleuderer und im Kampfe mit Wurfgeschossen sehr erfahren waren, auch wegen ihrer leichten Rüstung eine besondere Beweglichkeit besaßen, so holten sie die Feinde bald ein und töteten sie, welche sie wegen weiterer Entfernung nicht gefangen nehmen konnten, mit Schleudern und Wurfspeeren. So richteten sie ein großes Blutbad an. Die Fliehenden aber litten sehr an ihren Wunden, und es peinigte sie der Durst noch mehr als der Feind, da es gerade Sommer war. Und als sie nun nach einem Trank lechzend dem Flusse zueilten, wurden sie haufenweise von den Hebräern umzingelt und mit Wurfspeeren und Pfeilen sämtlich niedergemacht. Der König Sichon fiel ebenfalls. Die Hebräer plünderten die Gefallenen und machten reiche Beute. Dazu gewährte ihnen auch das Land Überfluss an Lebensmitteln, weil noch eine Menge Getreide auf den Äckern stand. Die Soldaten streiften ohne alle Furcht umher und nahmen die, welche sich feindlich verhielten, gefangen, und sammelten Lebensmittel ein. Niemand trat ihnen dabei in den Weg, da alle Tapferen gefallen waren. Diese Niederlage erlitten die Amorrhäer, weil sie weder klug überlegten noch tapfer kämpften. Die Hebräer aber nahmen ihr Land in Besitz. Dieses liegt zwischen drei Flüssen und gleicht einer Insel: denn der Arnon begrenzt es gegen Süden, und gegen Norden der Jabach, der sich in den Jordan ergießt und damit seinen Namen verliert. Die dritte Seite des Landes, gegen Westen, grenzt an den Jordan.
3. Während sich dies ereignete, rüstete Og, der König von Galad und Gaulanitis, sich zu Krieg gegen die Israeliten […] durchzog das Königreich des Og, zerstörte die Städte und tötete die Einwohner, welche alle übrigen Völker jener Gegend wegen der Fruchtbarkeit ihres Bodens und ihrer großen Besitzungen an Reichtum übertrafen … usw. usf.
Somit bildet die religiöse Basis, der Glaube an die Wirklichkeit und Authentizität dieser jahrtausende alten Geschichten und das Einhämmern dieser in religiösen Übungen von Kindesbeinen an selbst die Rechtfertigung für gewalttätige Exzesse, Vertreibungen und rassischer Selbstüberhebung.
Die Infragestellung dieser religiösen Wurzeln und der Versuch, hier Diskussionsbedarf anzudeuten, führt genau wie die Kritik des Koran zu aggressiver Abwehr und zur Stigmatisation der Kritikers als Antisemiten.
Es ist diese Besessenheit, die mich ungeheuerlich anwidert, die aus sich selbst sich rechtfertigende Überlegenheitsideologie, welche aus v.g. Buch heraus den Tatbestand des ausgewählt sein / auserwählt sein durch Gott den Herrn rechtfertigt und jede Infragestellung als Quasimordversuch brandmarkt.
In diesem Spannungsfeld zwischen metaphysischer Hybris und Selbsterhaltungsbestrebungen des palästinensischen Volkes wird es kaum eine Vermittlung geben, wird kaum ein Friede greifen, denn der ultraorthodoxe Komplex in der israelischen Politik wird die Verheißung auf das gelobte Land aus prinzipiellen Erwägungen und infantiler Konditionierung nicht aufgeben.
Nichts gegen Flavius Josephus, aber ich würde die Wurzeln doch eher in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts suchen, als Tausende Palästinenser ihr Land an Juden verkauften.
Ich schließe mich Kunibert Hurtig an - bei aller Hoffnung ist doch starker Zweifel an dieser Einheit der Palästinenser angebracht.
Denn sowohl für Hamas als auch PLO gilt, dass man Unzufriedenheit mit sozialen Bedingungen nach außen kanalisieren kann (wie bisher bes. von Hamas praktiziert).
Nietzsche 2011 schrieb am 06.05.2011 um 12:35
Nichts gegen Flavius Josephus, aber ich würde die Wurzeln doch eher in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts suchen, als Tausende Palästinenser ihr Land an Juden verkauften.
Das ist gut dokumentiert und die Aktivitäten waren als langfristiges Projekt angelegt, dem so mancher (z.B. Moshe Dajan) mit flankierenden Massakern mit dem notwendigen Nachdruck ausstattete.
PS: Sie meinen das 20. Jahrhundert? (~1920?)