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Gastkommentar Das Gespenst der Schmähung verdienter Manager geht um

Ausgerechnet ein konservativer Bundespräsident und eine bekennende Neoliberale im Kanzleramt nehmen Anstoß an der Maßlosigkeit von Vorstandsbezügen. Die Reaktion bedient sich sofort und reflexhaft der bekannten Muster, um die Gesellschaft gegen die Skandalisierung sozialer Missstände zu immunisieren: die "Neid"-Debatte instrumentalisiere auf populistische Art eine "gefühlte Ungerechtigkeit" (FAZ).

Auch wenn es die politische Klasse gern verdrängt: Durch die Gesellschaft geht ein Riss. Die Mehrheit hat in den vergangenen Jahren reale Einkommensverluste hinnehmen müssen. Die Mehrheit wurde Opfer oder Zeuge von Arbeitsplatzvernichtung, nicht selten in florierenden Konzernen. Für die Mehrheit sind die Reformen seit Kohl und Schröder eine Bedrohung. Die Mehrheit erwartet dank wiederholter Systemänderungen eine gesetzliche Rente, die sich vom erarbeiteten Lebensstandard weit entfernt haben wird. Zur gleichen Zeit da - politisch gewollt und gesetzlich verordnet - Armutslöhne um sich greifen, wird privater Reichtum üppig bedient. Die Spitzensteuersätze wurden mehrfach gesenkt, die Einkommenssteuer degeneriert zur Kollekte, die Körperschaftssteuer ist aufs Niveau der Tabaksteuer gesunken. Um spekulatives Finanzkapital ins Land zu locken, hat Rot-Grün die Gewinne aus Anteilsveräußerungen steuerfrei gestellt. Einkünfte aus Kapitalbesitz werden nur noch mit 26 Prozent besteuert, was für die Kreise, die solche Einkünfte beziehen, eine Halbierung der Steuerschuld bewirkt ...

Und da wundert man sich, wenn der demokratische Lümmel Zusammenhänge herstellt? Der mehrheitliche Verdruss über die soziale Ungerechtigkeit hat reale Grundlagen und ist alles andere als imaginiert, wie uns das alberne Wort von der "gefühlten Ungerechtigkeit" glauben machen will. Mit Verlaub, wenn die Mehrheit in einer demokratischen Gesellschaft bestehenden Zustände für ungerecht hält, dann sind sie ungerecht!

In diesem Zusammenhang sind die Vorstandsbezüge von aufreizend symbolischer Bedeutung. Wer sie zum Thema macht, lenkt nicht von anderen Missständen ab - selbst wenn er solches im Schilde führen sollte. Beides - Armut und Reichtum - Selbstbedienung oben und Härte nach unten sind zwei Seiten derselben Medaille. Wer etwa brennende Luxuslimousinen und Gewaltbereitschaft in den unteren Rängen der Gesellschaft beklagt, darf zum Vorbild des obszönen und regelverletzenden, mitunter strafrechtlich relevanten Abgreifens in den oberen Rängen nicht schweigen. Nicht ohne Grund sorgt sich die Kanzlerin, dass uns "der Laden um die Ohren fliegen" könnte. Schwindet die Massenloyalität, wird´s für die Herrschaft eng.

Mit Leistung oder Verantwortung sind Vorstandsbezüge, die Löhne und Gehälter der Beschäftigten im gleichen Unternehmen um das Hundertfache und mehr übersteigen, nicht zu begründen; da muss man weder Aristoteles noch Rawles studiert haben. Und natürlich lassen sich Grenzen setzen, am leichtesten durch eine progressive Einkommenssteuer, die vor Spitzensätzen von 60 oder 70 Prozent nicht zurückschreckt, durch die Nichtanrechnung von Abfindungen und durch das gesellschaftsrechtliche Verbot von Aktienoptionen, dem Bestechungsgeld zur Pflege spekulativer Börsenkurse, auch auf Kosten der Unternehmenssubstanz.

Ach ja, zur Entlastung wird die Mitbestimmung angeführt. Den wenigen Arbeitnehmervertretern in Aufsichtsratspräsidien sei ans Herz gelegt: wenn sie über Managerbezüge und -abfindungen mitzuentscheiden haben, sollten sie die gültige Lohntabelle derer, die sie entsandt haben, und die Abfindungsformel des Paragraph 1a KSchG (ein halbes Monateseinkommen je Beschäftigungsjahr) nicht aus dem Blick verlieren.

Detlef Hensche ist Rechtsanwalt und ehemaliger Vorsitzender der IG Medien

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