Berlin, Berlin

Berlin Bücher Michael Rutschky ist der Pate fast aller der Jüngeren, die Bemerkenswertes über die Stadt zu schreiben haben. Bei ihm kommt ein junger Dichter vor, ...

Michael Rutschky ist der Pate fast aller der Jüngeren, die Bemerkenswertes über die Stadt zu schreiben haben. Bei ihm kommt ein junger Dichter vor, der wie das Sonntagsgesicht zu dem aussieht, das David Wagner auf dem Umschlag seines eigenen Buches macht. Wenn David Wagner gut ist, dann ist er wie Joseph Roth. Seine Texte, zumeist für FAZ und Tagesspiegel geschrieben, sind häufig so gut. Oft sogar besser, weil er nicht so penetrant Sentiment als Gesinnung zeigt. (Nur manchmal legt er etwas zu viel "auch" auf.) Er ist keiner von den in Berlin ständig "vorbeilaufenden Hobbystadtplanern", die einem sofort erklären, was hier alles falsch und besser zu machen sei. Er beobachtet vielmehr geradezu klassische Geschichten, begleitet von ebenso präzisen Fotografien - an den klassischen Orten von Feuilleton und Reportage seit je, vom Tiergarten und der Friedrichstraße, von den Wagenburgen, von der U-Bahn, vom Kranzler, das jetzt Gerry Weber heißt. Auch von den Beamtenschließfächern von Moabit oder wie Christina Rau der Neuanstich der dritten Tunnelröhre gelang. Am besten ist er im Wissensmilieu zwischen Stabi und Urania, Rostlaube ("Die Rostlaube könnte auch ein gesunkener Flugzeugträger sein.") und Adlershof, der Hoffnung auf ein deutsches Stanford. Das kommt, weil er als Aktualhistoriker unterwegs ist, mit dem Blick dessen, für den die Gegenwart sich als das bereits Untergegangene darbietet, das es zu retten gilt. Nicht die Antwort auf die Frage: Wo stand die Mauer? Sondern die Antwort auf das Gefühl bei solcher Frage. Wenn am Checkpoint Charlie zum Beispiel der Kompass Nord-Süd zeigt, aber von Ost und West die Rede ist. Ein ausgezeichneter Einreisebegleiter.

David Wagner: in Berlin. Fotografien von Erik-Jan Ouwerkerk, Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 2001, 14,90 EUR



Weiter als bis Adlershof kann man, aus dem Westen kommend, östlich kaum vordringen. Aber dann ist man doch nur dort, wo Westen werden soll. Hingegen der Moritzplatz! Da ist man so tief, tiefer geht es kaum, in jenem europäischen Osten, der für Adenauer allesamt Asien war. Berlin als Ost-West-Drehscheibe, diese frohgemute Selbstbeglitzerung aus den Zeiten als es in Warschau längst schon drehte, hat sich Uwe Rada angesehen. Und damit Karl Schlögels Arbeiten fortgeschrieben. Dort der Wissenschaftler als Reporter, hier nun der taz-Journalist als Forscher. Einer, der sich nicht mit den polnischen Putzfrauen, russischen Türstehern, ukrainischen Schiebern, vietnamesischen Zigarettendealern, albanischen Zuhältern und rumänischen Dieben begnügt. Zug um Zug entwirft er vielmehr die Stadt, die sich statt im Auf- im Überleben einrichtet. Die Stadt, in der auf die kleine Expedition der rheinischen Zivilisation die ausgedehnten Wanderzüge der Ameisenökonomie antworten. Statt Drehscheibe ein Rieselfeld oder, um Helmut Höge abzuwandeln, Feldversuch optimierten Scheiterns. Hier kehren, wenn Rada die Kataster der russischen oder polnischen Großstadt Berlin, der einst-jugoslawischen Mittelstadt oder auch des adretten ungarischen Dörfchens Berlin aufblättert, die zugigeren Zwanziger wieder. Um so mehr liefert der optimistisch bebilderte (Claudia C. Lorenz) Band beste Einlebenshilfe für die Überlebensstadt.

Uwe Rada: Berliner Barbaren. Wie der Osten in den Westen kommt. BasisDruck, Berlin 2001, 245 S., 19,40 EUR



Wer nun doch noch in den kanonisierten Erzählungen der Offizialgeschichte Trost und Stärkung suchen möchte, dem kommt ein Band unbedingt entgegen, dessen Texte die Anstandsgrenze der Konventionalinformation nicht unterschreiten, mithin auch am Teetisch gut zu überfliegen sind, der vor allem und höchst überzeugend von seinen Bildern getragen wird - ein reichhaltiges Repertoire aus dem Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, darunter viel Seltenes und Unbekanntes, durchweg aber Solides, noch nicht Übergesehenes. Auch hier bleibt die Stadt am Ende in Bewegung - wenngleich durch die Marathonläufer vorm Dom.

Julius H. Schoeps (Hg.): Berlin Geschichte einer Stad., Be.Bra-Verlag, Berlin 2001, 246 S., 301 Abb. 34 EUR


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