Berliner Bumerang

Reformdruck Der schwarz-roten Koalition mangelt es an jeglichem Feingefühl gegenüber Frankreich. Statt sich solidarisch zu zeigen, befeuert man von außen den Front National
Ausgabe 39/2014
Die Politik Berlins gegenüber Frankreich gleicht einer Feuerwehr, die Benzinkanister verteilt, statt Leitungen für Löschwasser zu legen
Die Politik Berlins gegenüber Frankreich gleicht einer Feuerwehr, die Benzinkanister verteilt, statt Leitungen für Löschwasser zu legen

Foto: Odd Andersen / AFP / Getty Images

Der neoliberal imprägnierte Geist, wie er zur alltäglichen Liturgie geworden ist, überrascht niemanden mehr. Zuweilen wundert man sich nur noch über die Plumpheit, mit der er auftritt. Als der französische Premier Manuel Valls zu Wochenbeginn nach Berlin kam, begrüßte ihn der Wirtschaftskommentar der FAZ mit der Aufforderung: „Paris braucht Druck“. Das ist schon erstaunlich, war doch im Zusammenhang mit dem schottischen Referendum überall ein Lob auf die Bürgerbeteiligung zu lesen. Der Lebkuchenvers, dass es in einer Demokratie ohne Volk nicht geht, gilt natürlich auch für Frankreich. Genau diese elementare Einsicht entgeht ganz offensichtlich den Austeritätspredigern in Berlin und Brüssel, die Frankreich zu Reformen nach griechischem Muster zwingen wollen. „Reformdruck ist unverzichtbar“, lautet der Refrain dieser Priesterschaft, die ihre Botschaft gegen und am liebsten ganz ohne das Volk durchsetzen will.

Die einfache Frage, wie Valls – oder wer auch immer – in Paris künftig regieren sollte, käme er aus Berlin mit einem Paket sattsam bekannter Spargebote (die Altersversorgung, das Kranken- und Arbeitslosengeld sowie die Sozialhilfe kürzen, den Beamtenapparat ausdünnen, die Unternehmenssteuern senken, die Arbeitszeit erhöhen, den Mindestlohn abschaffen – die Staatsausgaben insgesamt senken) nach Hause, stellt sich so gut wie niemand. Die Christdemokraten geben herablassend wohlfeile Ratschläge, während sich die Sozialdemokraten schweigend wegducken. Solidarität mit dem Parti Socialiste sieht anders aus. Die Politik der schwarz-roten Koalition gegenüber Frankreich gleicht einer Feuerwehr, die Benzinkanister verteilt, statt Leitungen für Löschwasser zu legen. Sollte Valls ernsthaft erwägen, ein von Arbeitslosigkeit, Stagnation, Schuldenlast, Verarmung und Deindustrialisierung heimgesuchtes Land nach den Berliner Patentrezepten zu sanieren, könnte er gleich einpacken.

Abgesehen von einem erkennbaren Paternalismus, den die Bundesregierung gegenüber einem strategischen Partner in der Europäischen Union zeigt, wird die eigene Verantwortung für die Nöte des Nachbarn ausgeblendet. Jahrelanges Lohndumping und ein vernachlässigter Binnenmarkt gingen auch zu Lasten Frankreichs und seiner Wettbewerbsfähigkeit in der EU und darüber hinaus.

Wer gegenüber Paris jetzt nicht solidarisch ist, befeuert von außen die demagogische Kampagne des rechtsradikalen Front National (FN). Der rechnet sich inzwischen Chancen aus, mit Frontfrau Marine Le Pen 2017 nach der Präsidentschaft zu greifen. Die Berliner Spardogmen könnten so zum politischen Bumerang für die gesamte EU werden und mittelfristig auch Exportweltmeister Deutschland schwer schaden. 2013 exportierte die Bundesrepublik Waren im Wert von rund 100 Milliarden Euro nach Frankreich, das entsprach fast zehn Prozent der Gesamtausfuhren. Ohne einen dort – auch durch staatliche Investitionen – ausgelösten Wachstumsschub wird sich dieses Niveau kaum halten lassen.

Hätte die Politik in Europa nach 1945 wirtschaftspolitisch so doktrinär und borniert agiert wie die deutschen Konservativen heute in der EU – aus dem Wiederaufbau des Kontinents und besonders Deutschlands wäre wohl nichts geworden.

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