A
Architekten „Über Musik schreiben ist wie zu Architektur tanzen“, sang einst die Punkband ...But alive. Spaziert man mit einem Architekten durch eine Stadt, wird diese zum urbanen Tanztheater, so wenig kann der Planer und Gestalter mit Kommentaren an sich halten, jedenfalls nicht, wenn er mehr als nur Lagerhallen entwirft. Von „Fluchten“ ist ganz viel die Rede, von städtebaulicher Einordnung, Bestand und Revitalisierung. „Zuckerbäckerstadt“ hört man da etwa in Dresden, wenn man die wiederaufgebaute Frauenkirche passiert. Über das wellenförmige Dach auf der Elbphilharmonie lacht sich der kundige Begleiter in Hamburg schlapp. Warum er dann ausgerechnet Stuttgarts kastige Innenstadt lobt? Hier habe man wenigstens etwas gewagt, statt im restaurativen Rückblick zu bauen! Städte wie Erfurt oder Rothenburg fallen demnach als langweilig durch – obwohl Stroh mit Lehm heute der heiße Scheiß in puncto Nachhaltigkeit sein müsste. Mehr Fachwerk wagen? Tobias Prüwer
B
Banker Finanzkrise, Bilanzpleiten und die teuren Bankenrettungen haben zu einem denkbar schlechten Ruf der Berufsgruppe geführt: Banker seien gierig, heißt es, und betrügerisch obendrein. Nun haben Schweizer Forscher mit einer Studie belegt, dass Banker tatsächlich auch dann zur Unehrlichkeit neigen, wenn sie ihrem Beruf gerade nicht nachgehen. Allerdings muss man fairerweise dazusagen, dass nicht betrügerische Menschen automatisch zu Banken gehen – sondern dass jenes berufliche Umfeld die Unehrlichkeit fördert. So erklärte ein beteiligter Forscher, dass Bankangestellte nicht per se verschlagener seien als andere Menschen. Wenn ihnen die Unternehmenskultur bewusst sei, handelten sie jedoch unehrlicher. Deshalb schlagen die Forscher einen Berufseid für Banker vor, ähnlich dem hippokratischen Eid für Mediziner. Bis es den gibt, bleibt zu hoffen, dass sich die Macken nicht zu sehr bei den Bankern einschleifen. Benjamin Knödler
C
Chirurgen Sie sind der Deutschen liebste TV-Unterhaltung. Sie sind allwissend, unantastbar und autoritär, das gehört sich für Götter in Weiß. Von allen Ärzten sind die Chirurgen besonders beliebt, denn ihre invasiven Schnitte in fremdes Fleisch provozieren Grusel und Lustangst. Dr. Brinkmann aus der Schwarzwaldklinik hat den Typus modelliert. Er wäre am OP-Tisch nicht auf die Idee gekommen, mit den Hakenhaltern über seine Schnittführung zu diskutieren. Und privatim mit Schwester Christa schon gar nicht. Thomas Rühmann als Dr. Heilmann tritt bei In aller Freundschaft zwar als die etwas demokratischere Version auf. Aber nach Dr. Eckart von Hirschhausen haben es Ärzte mit der Demokratie ohnehin nicht so. Dafür mit dunklem Humor (➝ Zynismus), der besonders in britischen Streifen ins Kraut schießt. Und in Medizinerwitzen. Sagt der Arzt zum Patienten: „In zwei Wochen sind Sie draußen, so oder so.“ Wer täglich Gott spielt und in feuchten Fleischlandschaften wühlt, braucht ein Ventil. Und nicht vergessen: Alle Chirurgen sind Aufschneider. Ulrike Baureithel
D
Deformation Dass Arbeit doch nicht alles sei im Leben, ist ein oft und verzweifelt bemühter Leitsatz unserer Zeit. Trotzdem kommt man nicht umhin festzustellen, dass der Beruf einen beachtlichen Teil der Lebenszeit okkupiert. Überrascht es da, dass der Arbeitsalltag auf die Privatperson abfärbt und er oder sie dann mit berufstypischen Macken durchs Leben geht? Déformation professionelle lautet die wohlklingende quasiwissenschaftliche Bezeichnung dieses Phänomens. Man kann sich fragen, ob der Begriff der Deformation heute noch passend ist – in einer Zeit, in der die Arbeit ja vor allem sinnstiftend sein soll und die Verschmelzung von Beruf und Privatleben nicht nur gewollt, sondern auch weit fortgeschritten ist. Vielleicht ist die déformation professionelle ja längst einfach eine situation normale? Benjamin Knödler
E
Einzelhandel Man darf nicht verallgemeinern, gewiss. Aber als anekdotische Evidenz sollte ausreichen, dass es meinen Kollegen genauso erging. Ich bin gelernter Einzelhandelskaufmann und habe in einem Büro- und Schreibwarenladen gearbeitet, wo es auch Glückwunschkarten und edle Papiere, bunte Bänder und Geschenkvertütungen gab. So weit, so hübsch. Wenn man sich dann aber noch ein halbes Leben später dabei ertappt, in einem anderen Laden plötzlich den Kartenständer zu ordnen oder Papierstöße auf Bund zu schieben, erschrickt man ob der eigenen Macke. Andere Mitarbeiter haben sogar geträumt, wie sie Karten sortieren. So weit reichen meine Albträume glücklicherweise nicht, aber: Den Reflex, ordnend einzugreifen, wenn ich vor einem chaotisch sortierten Warenregal oder einer unübersichtlichen Warenauslage stehe, muss ich mit Mühe unterbinden. In solchen Momenten hätte ich gern kurz mal keine Hände. Tobias Prüwer
F
Fotografen Sie werden dafür bezahlt, das perfekte Bild zu machen – und zum perfekten Bild gehört der perfekte Moment: Die zu fotografierenden Menschen schauen in die exakt richtige Richtung, der Hintergrund stimmt aufs Detail. Einem perfekten Bild sieht man die harte Arbeit nicht an. Die Menschen müssen mit sanfter Gewalt in passende Posen dirigiert, der Lichteinfall muss korrekt berechnet werden. Ja, Fotografen sind Fetischisten des perfekten Moments. Da fangen dann im Privatleben die Probleme an. Auch das familiäre Urlaubsfoto wird nämlich zu harter Arbeit, wenn ein Profi am Drücker ist. Jeder Schnappschuss soll zum perfekten Moment werden – in dem die Beteiligten dann aber oft gequält in die Kamera lächeln. Gesa Steeger
J
Juristen Die ausgereiften Exemplare gelten als wahre „Streithansl“, die bei jeder Kleinigkeit mit irgendeinem Paragrafen drohen. Vielleicht liegt das daran, dass Juristen sich schon im Studium mit dem Vorurteil abfinden müssen, ihre Freizeit streberhaft in der Bibliothek oder am Schreibtisch zu verbringen. Dort sitzen sie, als Sahnehäubchen eines jeden Abiturjahrgangs, und schreiben seitenlange Aufsätze zu Staatsorganisationsrecht und römischer Rechtsgeschichte. Mit der Zeit bilden sich da Cliquen aus – manchmal liebenswerten – Besserwissern. Einmal sind wir mit der Clique beim Einlass in eine Diskothek gescheitert, weil eine Rechtsstudentin mit dem Türsteher über das Gleichbehandlungsgesetz streiten wollte. Faustregel: Wenn deine Freundin einen Herausgabeanspruch geltend machen will, weil du dir eine DVD von ihr geliehen hast, ist es Zeit, die Beziehung zu überdenken. Simon Schaffhöfer
K
Künstler Ihnen eilt der Ruf voraus, weniger einem Beruf als vielmehr einer Berufung nachzugehen. Die Arbeit eines Künstlers besteht vor allem im Ausleben eines kreativen Drangs – und nicht im Erfüllen mühseliger Pflichten. Insofern ist es wenig überraschend, wenn man ausgerechnet unter den Künstlern eine doch recht ausgeprägte déformation professionelle (➝Deformation) feststellen kann.
Bei allen exzentrischen Eigenheiten, die Künstlern gern mal angedichtet werden, lässt sich eine bestimmte Berufsmacke bei fast allen beobachten, quer durch alle Disziplinen: das Notizbuch. Ein Zeichner geht nicht einmal zur privatesten Veranstaltung ohne sein Skizzenbuch. Kaum ein Autor kann aus dem Haus, ohne seine Kladde für mögliche Geistesblitze in der Tasche zu haben; gegebenenfalls führt er auch ein elektronisches Notizbuch bei sich. Besonders Deformierte betonen noch: „Mir begegnen einfach überall Geschichten!“ Das hat sicherlich schon zur Verfestigung einiger Klischees geführt. Aber eine wirklich gute Geschichte, ein gutes Bild ist diese Macke doch wert. Benjamin Knödler
P
Pädagogen Wollen sie sich nicht der Kindesentführung schuldig machen, ist es für Pädagogen schwierig, sich Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Aber viele können auch in den eigenen vier Wänden ihren Kindergarten- und Grundschul-Duktus nicht ganz ablegen. Wo andere Eltern mit rotem Kopf und Speichel in den Mundwinkeln ihrem Nachwuchs harte Strafen androhen, gehen Pädagogen deutlich niedlicher vor. „Ich mach einen Hasen aus dir!“ gehört mit zum Härtesten, was diese Menschen im Schimpfrepertoire haben. Kinder riechen das! Gehen Sie mit einer Erzieherin zu einem Straßen- oder einem Weihnachtsfest, und nach drei Metern werden Sie von Vierjährigen belagert. Das Schönste ist: Pädagogen genießen das. Sehr. Simon Schaffhöfer
Pathologen Sie verbergen sich gut im Suchmaschinendschungel, die anonymen Pathologen. Sucht man nach „Alkohol“ oder „Drogen“ und „Gerichtsmedizinern“, stößt man auf Headlines wie „Robin Williams hatte weder Alkohol noch Drogen im Blut.“ Ihre eigenen dunklen Seiten verschließen die Experten für Todesursachen vor der Welt. Dabei ist doch anzunehmen, dass auch in der Pathologie mal die Schnapsflasche kreist. Es ist ja dermaßen einsam bei einer Obduktion. Und beschweren können sich die Patienten auch nicht mehr. Dem US-Starpathologen Thomas Noguchi wurde der Alkohol fast zum Verhängnis. Mit den Obduktionen von Marilyn Monroe, Robert F. Kennedy und Janis Joplin wer er berühmt geworden. Als er aber behauptete, die Schauspieler William Holden und Natalie Wood seien an Alkohol gestorben, sank sein Stern. Tobias Prüwer
V
Veranlagung Im Idealfall passt es gleich von Anfang an. Wenn man die Wahl hat und es sich aussuchen kann, ergreift man einen Beruf, der den eigenen Fähigkeiten, Vorlieben, Charakteranlagen, kurz: der Veranlagung entspricht. Schließlich verbringen wir einen Großteil unserer Lebenszeit mit der Arbeit. Was ist aber eine Veranlagung? Am Anfang ist noch alles offen. Bis zum zehnten Lebensjahr wird der Berufswunsch immer noch häufig dem Geschlecht, bis zum zwölften dem Bildungsniveau angepasst. Die in der Pubertät erkämpfte Individualität stellt sich dann auf die real gegebenen Ausbildungsmöglichkeiten ein. Sollten bestimmte Eigenschaften sich da bereits zur Macke ausgewachsen haben, trifft man hoffentlich gleich die richtige Wahl. Ansonsten hat man ein ganzes Berufsleben lang Zeit, zu seinem eigenen Klischee zu werden. Ulrike Bewer
Z
Zynismus Es gibt mehrere Berufsgruppen, bei denen Zynismus als déformation professionelle (➝Deformation) beobachtet wird (➝Chirurgen). Als besonders gefährdet stechen die Journalisten heraus. Wer Tag für Tag entscheidet, wie viel Platz der Not von Flüchtlingen und vernachlässigten Kindern eingeräumt wird und wie viel einer launigen Glosse, der neigt dazu, menschliche Schicksale nur als Content zu sehen. Zyniker seien enttäuschte Idealisten, heißt es. Bei vielen Journalisten entspringt ihr Zynismus sicher der Erfahrung, dass ihre Arbeit keine direkten Folgen zeigt. Mit einem Zeitungstext rettet man eben nicht die Welt. Das heißt aber nicht, dass man es nicht immer wieder versuchen sollte. Jan Pfaff
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