Seit Einführung der Hartz-Reformen soll die Jobvermittlung als Service gelten, Erwerbslose werden deshalb als "Kunden" bezeichnet. Ob die erwerbsfähigen Arbeitslosengeld-II-Empfänger davon durch gute Behandlung profitieren, sei dahingestellt. Die jedenfalls, die für den Arbeitsmarkt übergangsweise oder dauerhaft nicht zur Verfügung stehen, scheinen für manche Behörde wie eh und je Bittsteller zu sein, die Anweisungen des Amtes widerspruchslos zu akzeptieren haben. Wer beispielsweise Kontrollbesuche im eigenen Zuhause als demütigend empfindet und nicht zulässt, muss bisweilen für sein Recht umso härter kämpfen - nicht selten vor dem Sozialgericht. Diese Erfahrung hat jedenfalls Jette Rudnick gemacht. Ihr Leben lang war sie ber
berufstätig, zuletzt selbstständige Ernährungsberaterin, Journalistin und Kleinverlegerin. Bis sie nach einem folgenschweren Unfall nicht mehr arbeiten konnte und Arbeitslosengeld-II-Empfängerin wurde. Doch sie musste erst Prozesse führen, um zu ihrem Recht zu kommen.Jette Rudnick erzählt ganz unaufgeregt. Mittlerweile ist sie gelassener, kennt die Methoden der Sozialbehörden. Vor sechs Monaten war das noch anders. Am 28. September 2005 beantragte sie Arbeitslosengeld bei der zuständigen Wiesbadener Behörde. Daraufhin kündigte diese ihr einen Hausbesuch an. Man wolle "klären, ob die Angaben aus dem Antrag korrekt sind", um Betrugsfällen vorzubeugen. Auf ihre Frage nach der rechtlichen Grundlage eines solchen Besuches, bekam die Antragstellerin keine befriedigende Antwort. Die Behörde behauptete, der Besuch sei zumutbar, sie solle ihn erlauben. Doch sie fand die Vorstellung erniedrigend und verweigerte den Besuch. Als ihr Antrag daraufhin Ende Oktober abgelehnt wurde, beschloss die Wiesbadenerin, vor Gericht zu gehen. Sie hatte gründlich recherchiert und sich in die Gesetzeslage eingearbeitet. "Da steht, dass jeder Betroffene die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält", zitiert sie aus dem Sozialgesetzbuch. "Aber bei mir hat es über vier Monate gedauert. Ich musste zwei Mal vor Gericht gehen und alle möglichen Schikanen über mich ergehen lassen."Bei der ersten Verhandlung Mitte Dezember wurde ihr dann zwar der Regelsatz von 345 Euro zugesprochen, nicht aber die üblichen Zusatzleistung für Miete und Heizkosten. Der Richter argumentierte, die Klägerin habe nicht eindeutig nachgewiesen, dass sie über keine Nebeneinkünfte verfüge. Die verweigerten Hausbesuche erwähnte er nicht.Jette Rudnick gab sich damit nicht zufrieden und traf Vorbereitungen für die zweite Instanz. Die sieben Wochen bis zur ersten Zahlung seien für sie eine Durststrecke gewesen. "Ich hatte kein Geld für Obst und andere frische Lebensmittel. Am Ende habe ich nur von Nudeln und Reis gelebt." Aus unerfindlichen Gründen wurden auch noch bei der ersten Zahlung von dem ohnehin geringen Betrag 71 Euro abgezogen. "Ich habe Einspruch erhoben und musste mir anhören: Wenn Sie das so nicht akzeptieren, bekommen Sie eben gar nichts." Eine Woche lang sei sie nur mit dieser Sache beschäftigt gewesen, habe pausenlos telefoniert, Briefe geschrieben und am Ende beim Amtsleiter Druck gemacht, bis sie den Betrag schließlich bekam. "Warum sie mir die 71 Euro zuerst nicht zahlen wollten, weiß ich bis heute nicht."Als Anfang Februar dann der Gerichtsbeschluss in zweiter Instanz ihr rückwirkend sämtliche Leistungen einschließlich Miete und Heizkosten zugestand, ahnte Rudnick bereits, dass eine zügige Auszahlung fraglich sein könnte. So kam es auch. Um zu dem Geld zu kommen, habe sie erst einmal bei der Behörde angerufen. Ein Sachbearbeiter erklärte ihr, es läge noch nichts vom Gericht vor, sie würden dem Urteil aber sowieso widersprechen und deswegen auch nichts zahlen. Völlig erstaunt ging Jette Rudnick dann zur zuständigen Stelle hin und sprach mit dem Sachbearbeiter, der Gruppenleiterin, der Sachgebietsleiterin und dem stellvertretenden Amtsleiter. Nach 20 Minuten seien sie bereit gewesen, Rudnicks persönliches Exemplar des Gerichtsbeschlusses zu prüfen. Mit der Bemerkung: "Sie hören dann von uns", wollte man sie nach Hause schicken. "Ich bin aber geblieben und habe auf sofortige Auszahlung beharrt", erzählt sie. Plötzlich, nach einer weiteren halben Stunde, tauchte der für die Behörde vorgesehene Gerichtsbeschluss dann doch auf. "Er muss die ganze Zeit schon vorgelegen haben", glaubt sie. Nach weiteren anderthalb Stunden Warten habe sie das Geld, das ihr seit vier Monaten zustand, endlich bekommen.Dieser Rechtsstreit ist nicht der einzige Konflikt, den Jette Rudnick mit dem Sozialamt ausgetragen hat. Auch zum Thema Zwangsumzug hat sie etwas beizusteuern. Da sie in einer 80 Quadratmeter großen Wohnung lebt, ihr als ALG-II-Empfängerin aber nur Mietkosten für 50 Quadratmeter zustehen, wird sie bald umziehen müssen. Sie hatte zwar Glück im Unglück, weil sie schnell eine viel kleinere, dafür aber sonnige Wohnung fand. Doch der bevorstehende Umzug hat zu erneuten Querelen mit der Behörde geführt. "Erst hieß es, ich bekäme keine Spedition, sondern nur ein Umzugsfahrzeug bezahlt. Meinen die etwa, ich soll alles alleine schleppen?" Jette Rudnick ist empört. Schließlich sei sie 64 Jahre alt, alleinstehend und seit kurzem auch arbeitsunfähig. Doch um die Speditionskosten musste sie erst kämpfen. Als sie dann doch eine Zusage bekam, schickte ihr das Amt statt einer Geldüberweisung einen Brief, den sie dem Spediteur übergeben sollte mit dem Vermerk, dass sie die Kosten übernähmen. Doch Rudnick findet, dass den Spediteur ihre Lage gar nichts angeht. Sie ist entschlossen, sich nicht alles gefallen zu lassen, auch der Datenschutzbeauftragte hat ihr versichert, dass diese Methode eindeutig gegen die Vorschriften verstößt. Wenn ihre Beschwerde nicht erfolgreich ist, will Rudnick wieder gerichtlich vorgehen. Das Sozialamt ist außerdem trotz richterlicher Anordnung nicht bereit, ihr die außergerichtlichen Kosten der Verhandlung zu erstatten. "Ich habe eine Liste von allem gemacht, also Telefonkosten, Rechtsberatung und so weiter, und sie vorgelegt. Die Antwort war, ich könne ja wieder klagen, wenn ich das Geld wolle. Das tue ich jetzt."Viel Zeit und Kraft hat der Rechtsstreit mit der Behörde die 64-jährige Rudnick gekostet. Existenzängste und Wut über die ungerechte Behandlung haben ihre Nerven zerrüttet und ihren angeschlagenen Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Vor allem fühlt sie sich missachtet. So zermürbend der Kampf auch sein mag - indem sie systematisch ihre Rechte einfordert, verteidigt sie auch ihre Würde. "Ich wehre mich ja und hau´ auch mal auf den Tisch." Nicht jeder steht für seine Rechte so vehement ein. "Auf diese Weise spart das Sozialamt dann jede Menge Geld." Rudnick ist überzeugt, dass es zur Strategie der Behörde gehört, die Leute aufzureiben. Sie meint, dass sich die Verschleppungstaktik am Ende für das Sozialamt lohnt. "Viele haben eben nicht die Energie und verzichten auf ihre rechtmäßigen Ansprüche."
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