A
Altparteien Alt-, System- oder Blockparteien, auch „Etablierte“, sind „die da oben“. Wenn Pegida ankündigt, so lange im Kreis zu spazieren, bis die Regierung ihre Forderungen erfüllt, sagt das zwei Dinge über ihr Weltbild aus: Sie haben nicht begriffen, wie Demokratie funktioniert, und nehmen „die da oben“ als völlig von der eigenen Lebenswelt getrennt wahr. Im Bundestag regiert demnach ein monolithischer Meinungsblock (➝ Mainstream) saturierter Altparteienherrschaften.
Die profitierten vom System, das sie am Leben hielten. Inszeniert sich die AfD als Teil des Volkes, beginnt die Rhetorik um „System“ und „Etablierte“ zu schillern. Wer tut, als wollte er die Politik aufmischen, aber in einer Handvoll Parlamente sitzt, Steuergelder kassiert und bei der Bundespressekonferenz spricht, befindet sich nicht nur in einer Etablierungsspirale, sondern auch im Spagat zwischen „wir“ und „die“. Franziska Reif
C
Cui bono Angesichts von Verbrechen und politischen Geschehnissen ist die Frage „Wem zum Vorteil?“ folgerichtig, um auf eine erste Spur der Verantwortlichkeit zu kommen. Wer wirklich aufklären will, kann beim Suchen nach möglichen Motiven jedoch nicht stehen bleiben. „Wem das Verbrechen nützt, der hat es begangen“, wie es in Senecas Tragödie Medea heißt, ist nämlich nicht die ganze Antwort. Denn die eilig beantwortete Frage verführt oft zum Fehlschluss. In der Verschwörungstheorie-Ecke blüht „Cui bono?“ als Pauschalerklärung. Die Pharmaindustrie habe etwa HIV auf die Menschheit losgelassen, um sich einen Absatzmarkt zu sichern. Dass jemand Nutznießer eines Umstands sein kann, ohne ihn verursacht zu haben, ist nicht mehr vorstellbar. Komplexes lässt sich einfach viel zu hübsch auf simple Antworten reduzieren (➝ Klartext). Pegida geriet denn aber auch selbst unter „Cui bono?“-Beschuss. Bei den Querfront-Friedensmahnwachen wurde gemutmaßt, sie sei amtlich installiert, um den Volkszorn zu kanalisieren. Tobias Prüwer
D
Danke, Merkel! „Besorgt“ kann man oft mit „pauschal“ gleichsetzen, wie sich an der zynischen Formulierung „Danke, Merkel!“ zeigt. Mit der schließen Besorgte gern, nachdem sie auf Missstände hinwiesen. „Wir werden von muslimischen Asylanten überrannt!“, „Bald werden wir kein Weihnachten mehr feiern dürfen!“, „Alles geht den Bach runter, und zwar wegen der Flüchtlingspolitik in diesem Land!“ − „Danke, Merkel!“ Die Kanzlerin fungiert dabei als so etwas wie eine Führerin mit negativem Vorzeichen: eine Person, die alles (hin)richtet. Sie wird zur Personifikation allen Übels (➝ Umvolkung).
Dazu gehört auch der Beiname Erika, den Merkel in Analogie zu Erich Honecker von Besorgten angehängt bekam: besessen von der Idee, sie sei in der DDR als IM Erika für die Stasi tätig gewesen. Im September 2016 liebäugelte die AfD damit, „Danke, Merkel!“-Plakate zu drucken, um sie direkt nach möglichen Terroranschlägen in Deutschland zu verbreiten. Als Pauschalvorwurf an die Bundeskanzlerin und Verhöhnung der Opfer. Eine Facebook-Seite mit ebendiesem Namen ironisiert den Beleidigte-Leberwurst-Ausdruck mittlerweile. Ob kaputte Bierflaschen, leere Klopapierrollen oder selbstverschuldete Fahrradunfälle − immer gilt: „Danke, Merkel!“ Nancy Grochol
F
Flüchtlingswelle Wogende Metaphern wie jene der Flüchtlingswelle (➝ Smartphone) operieren mit tief verwurzelten Bedrohungsbildern. Ströme und Fluten stehen für etwas Gesichtsloses, Massenhaftes. Angelehnt an Naturkatastrophen wird suggeriert, es passiere Ungeheuerliches, dem man mit dem Äußersten begegnen müsse. Klaus Theweleit weist in seiner Studie Männerphantasien darauf hin, wie die Wasser- und Fließmetaphern Vorstellungen von Bedrohung und Entmenschlichung prägen: „Die Niederlage Deutschlands im Krieg unter dem Bild der Flut aufzufassen, scheint also möglich zu werden durch die Vorstellung von äußeren Einbrüchen und inneren Dammbrüchen, als deren Folge freigesetzte Triebe, die ihr von der wilhelminischen Gesellschaft vorgeschriebenes, erzwungenes Bett verlassen, frei fließend über die Ufer treten.“ Als Abwehrmechanismen drängen sich da Dämme und Mauern einfach auf. Tobias Prüwer
Frühsexualisierung Letztes Jahr dachte die Landesregierung Baden-Württembergs in einem neuen Bildungsplan die Beschäftigung mit verschiedenen Formen des Zusammenlebens an. Das reaktionäre Lager wetterte gegen die „Frühsexualisierung“. Wer Sexualität nur im ehelichen Schlafzimmer mit Handtuch darunter, Fahne drüber und Zeugungsabsicht akzeptiert, alles andere für widernatürlich hält, hat keinen Akzeptanzraum für die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen (➝ Genderwahn). Während Besorgte die sexualisierte Gesellschaft mitsamt aufdringlicher Kulturindustrie unangetastet lassen, beschuldigen sie alle anderen der direkten oder indirekten Pädophilie, nur weil sie Kindern die Vielheit der Lebensentwürfe nahebringen. Robert Feustel
G
Genderwahn Der Genderwahn tötet das Dreigestirn aus Mutter, Vater, Kind durch Umerziehung. Männer würden ihrer Privilegien beraubt, Frauen dürften nicht mehr Frau sein, alle würden zur Homosexualität gezwungen – natürlich von Steuergeldern (➝ Frühsexualisierung). Doch Gender heißt nicht, dass man so oft sein Geschlecht wechselt wie die Unterhose, und vor allem nicht, dass alle dazu aufgerufen sind. Kein Mann muss sich dafür entschuldigen, als Alleinverdiener Frau und Kinder zu ernähren. Aber warum kann er anderen nicht zugestehen, so zu leben, wie sie wollen? Der eigentliche Genderwahn ist vielmehr die Sehnsucht nach Eindeutigkeit und dem Korsett einer heilen Storck-Riesen-Onkel-Dittmeyer-Welt, die außerhalb von Werbespots niemals heil war. Franziska Reif
K
Klartext „Endlich Klartext reden“ ist der neueste Schrei der Polit-Rhetorik. Unzählige Kommentare werden entsprechend geadelt. Von „DDR 3.0? Die Partei hat immer recht“ bis zu Gerüchten von Plünderungen und der Behauptung, Pegida repräsentiere die bürgerliche Mitte. Auch Medien nutzen den Begriff gern, um Derbes zu hofieren. Fast immer handelt es sich dabei also um schrille, aggressive Deutungen, die Pauschalisierungen (➝ Danke, Merkel!) als Klartext kaschieren.
Das Wort ist eine reißerische Umschrift dafür, komplizierte Dinge zu trivialisieren und sie dem Stammtisch mundgerecht hinzulegen. Häufig werden Klischees und falsche Vergleiche als angemessene Reduktion verkauft. Wie Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), der geflohene Menschen vom Balkan zu Schmarotzern erklärte und dafür ein Klartextlob von der Bild erntete. Klartext heißt in der Kryptografie eigentlich unverschlüsselt, offen. Wer die Rhetorik der Besorgten als offen deutet, muss sich über Eskalationen nicht erstaunt die Augen reiben. Robert Feustel
M
Mainstream Dem freien Menschen macht es der Mainstream schwer. Immerhin arbeitet ein ganzes journalistisch-politisches Kartell gegen ihn. Der Mainstream bildet ein Netz zwischen den Schlüsselstellen der Gesellschaft, unterdrückt Meinungen, verhindert das Vordringen der Wahrheit, fälscht gar Wahlen. Das Schwanken zwischen Opfermythos und Größenwahn ist ein bei der Mainstreamschelte beliebter Eiertanz.
Einerseits diktiert die Meinungsmacht, was gesagt und gedacht werden darf (➝ Zigeunerschnitzel), besitzt das Wahrheitsmonopol. Andererseits hat das System Angst vor dem „Widerstandsmilieu“, sagt der neurechte Verleger Götz Kubitschek. Der widerständige Geist schwimmt nicht als toter Fisch mit dem Strom. Er hinterfragt und wehrt sich. „Meinungsdissidenten“ (Frauke Petry) wähnen sich in der Diktatur des Mainstreams. Zensur und Abschaffung der Kunstfreiheit, wie sie die AfD in Sachsen-Anhalt de facto fordert, dürften bei Umsetzung in die echte Diktatur münden. Dann also, wenn die Besorgten bestimmen, was Mainstream ist. Franziska Reif
S
Smartphone „Was ist es“, schreiben Markus Metz und Georg Seeßlen in Hass und Hoffnung, „was die Vertreter des braunen Mobs den Flüchtlingen (➝ Flüchtlingswelle) als Erstes missgönnen? Genau, es ist das Smartphone.“ Das signalisiere nämlich die fehlende Bedürftigkeit. Die Kommentarspalten quellen über: „Die ach so armen Asylanten haben alle teure Smartphones. Schon klar, dass sie Hilfe brauchen.“ Das Kontrastbild, das diese Missgunst provoziert, ist stereotyp und korrespondiert mit verbreiteten Bildern afrikanischer Länder: viel Busch, wenig Zivilisation, folglich kein Mobiltelefon.
Es gibt noch einen zweiten Grund, warum Smartphones den Volkszorn besonders kitzeln. „Denn erst durch die Benutzung eines solchen Gerätes ist ein Mensch hier ‚jemand‘, genießt er Freiheit, ist er durch unsichtbare Kontrolle eingeschlossen in den Kreis; wenn der Flüchtling ein Handy hat, dann ist er nicht mehr der nackte und rechtlose Mensch. Und er hat womöglich sogar noch Rechte auf Geheimnisse, da wir nicht wissen, auf welche Art er connected ist“, sagen Metz/Seeßlen. Der Handyhass offenbart das Klischeebild fremder Welten und den Wunsch, die Fremden als Fremde zu belassen, als in Auffanglagern verwaltete Verfügungsmasse staatlicher Gewalt, als die anderen, die nicht mit unserer Welt verknüpft, nicht hier eingewählt sein dürfen. Robert Feustel
U
Umvolkung Bereits in den 1920ern sprachen Deutschtumsverbände von Umvolkung. Spätestens seit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde der Begriff als Eindeutschung oder Regermanisierung verstanden − „Entjudung“ inklusive. Seit den 1990ern taucht das Wort in rechten Kreisen wieder auf. Dahinter steckt die Befürchtung, das deutsche Volk werde durch diffuse Mächte vernichtet (➝ Cui bono). Denn „Gutmenschen“ verachteten ihre Identität und wollten deshalb alles Deutsche abschaffen, indem sie Flüchtlinge zur Masseneinwanderung einlüden.
Deshalb predigten sie Internationalität, Buntheit und Bereicherung durch andere Kulturen. Nichts weniger als ein großes soziales Experiment finde hier statt. Diesen Unsinn glaubt nicht nur die verwirrt-besorgte Seele auf der Straße. Auch Bundestagsabgeordnete wie Bettina Kudla (CDU) sehen einen geplanten Austausch im Gang. Kudla twitterte im Herbst 2016: „Die Umvolkung Deutschlands hat längst begonnen. Handlungsbedarf besteht.“ Franziska Reif
Z
Zigeunerschnitzel Mit hochkochender Wut (➝ Altparteien) wird das kulinarisch Unsagbare wie „Negerkuss“ und „Mohrenkopf“ verteidigt. Auch das Zigeunerschnitzel verdiene diesen Namen, weil es so tief in der deutschen Kultur verankert sei. Paprikasoße komme da nicht in die Tüte. Nur ist die Bezeichnung, hat der Linguist Anatol Stefanowitsch ermittelt, zuerst in einem Kochbuch von 1957 greifbar. Und wie hieß das Rezept zuvor? Richtig: Paprikaschnitzel. Das mildert den Furor sich diskriminiert fühlender Deutschländer aber nicht. Peter Hahne nennt seine Kolumnensammlung Rettet das Zigeuner-Schnitzel! Werte, die wichtig sind. Tobias Prüwer
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