Hans-Christian Ströbele: Fossil
Bei vielen hatte bereits die Ankündigung, dass er mit 74 und überstandener Krebserkrankung noch einmal für den Bundestag kandidierte, für Kopfschütteln gesorgt. In Berlin überklebte ein Spaßvogel seine Plakate mit dem Konterfei von Jopi Heesters. Ausgerechnet Hans-Christian Ströbele, der als RAF-Anwalt, taz-Mitgründer und Fahrradfahrer keine Möglichkeit ausließ, anderen zu erzählen, was richtig und falsch ist, verpasste offenbar den Zeitpunkt, mit Würde aufzuhören.
Dann kam der 31. Oktober, und Ströbele twitterte ein Bild, das um die Welt ging. In Moskau stand er mit seinem roten Schal neben Edward Snowden. CNN erklärte ihn zum deutschen Außenminister. Damit landete der Altgrüne nicht nur den Mediencoup des Jahres, sondern löste auch eine Debatte um ein deutsches Asyl für den Whistleblower aus. Sein Moskau-Besuch erinnert uns daran, dass es eben nicht die Jan Fleischhauers sind, die etwas verändern. Sondern jene, die sich eine bessere Welt vorstellen können. Und handeln. Jan Pfaff
Stefan Raab: Wok-WM-Erfinder
Es klang wie ein Witz: Edmund Stoiber schlägt ihn als Moderator für das Kanzlerduell vor – und Stefan Raab bekommt den Job. Die Satiriker der heute-Show konnten sich im Februar, als die Entscheidung für Raab bekannt gegeben wurde, gar nicht einkriegen und machten aus dem Stoff eine besonders lustige Folge. Als Witznummer ist das Kanzlerduell aber eigentlich nicht gedacht, und darum war die Sorge berechtigt, was Raab daraus machen würde.
Ich sah schon die „Raab Republik“ kommen. Eine hübsche Formulierung, aber ein Irrtum. Ich dachte, man müsse davor warnen, politische Talkshows Leuten wie Raab zu überlassen. Aber das war Unsinn. Raab zeigte sich im Duell am 1. September kenntnisreich und wirkte, als hätte er nie etwas anderes gemacht, als Kanzler und Kandidaten zu befragen. Er hatte die Themen drauf: Steuern, Schulden, Rente mit 67, NSA-Skandal und auch die Frage nach der Großen Koalition.
Die führte ihn schließlich zum Gipfel dieses Duells. „Nehmen wir an, ich finde Sie gut“, sagte er zu Steinbrück. „Ich mag Typen wie Sie.“ In seinem rauen, großstädtischen Rheinisch, das gut zu Steinbrücks zackigem Missingsch passte, hielt Raab ihm vor, sich einer Großen Koalition zu verweigern. Der Vorwurf war nicht so originell – seit wann tritt ein Kandidat mit einem Verliererprogramm an? –, aber Raabs Formulierung machte die Schwäche wett: „Das ist doch keine Haltung, zu sagen, ich will nur gestalten, wenn ich King of Kotelett bin.“ Dafür haben die Leute Raab an diesem Abend geliebt. Zu Recht. Jakob Augstein
Femen: Kamerageil
Sie attackierten im April Wladimir Putin auf der Hannover-Messe, stürmten im Mai Heidi Klums Topmodelbühne, zogen über die Reeperbahn und protestierten zuletzt gegen die Flüchtlingspolitik von Olaf Scholz. Dennoch haben die Femen mehr Kritiker als Freunde. Feministinnen meinten, nackte Brüste sprächen Männer an. Sibylle Berg ätzte, „wenn Femen demnächst auch für Spritpreissenkung und Obstpreise in Island die Brust freilegt, könnte es sein, dass sich der Stauneffekt abnutzt“. Und ein Dokfilm wollte enthüllt haben, dass dahinter den jungen Frauen nur ein männlicher „Chefstratege“ stehen kann.
Natürlich ist Nacktheit im partriarchaleren Osteuropa, die Femen gründeten sich in der Ukraine, eine ungleich größere Provokation. Andererseits hatte sich der Westen mit der Allgegenwart unbekleideter Frauenkörper auch irgendwie arrangiert. Die Femen, im besten Sinne naiv, haben ihn nun wieder in neue politische und gesellschaftliche Zusammenhänge gestellt. Jana Hensel
Jan Fleischhauer: Linkenhasser
Die Differenz von Ideal und Wirklichkeit beschäftigt zwei Typen von Publizisten. Zum einen Satiriker wie Dieter Hildebrandt, der gerne auch über Grüne und Linke spottete, wie man nicht vergessen sollte. Der dabei aber der guten Sache treu geblieben ist. Man nennt das Haltung. Zum anderen die konservativen Berufskolumnisten. Was ist deren Haltung? Haben sie überhaupt eine?
Der von vielen Linken bejubelte Barack Obama ist leider zum Mr. „Yes we scan“ geworden, die taz ist natürlich für den Mindestlohn, kann aber leider nur bescheidene Saläre bezahlen: Jan Fleischhauer, der Spon-Kolumnist, hat da erst einmal Schadenfreude und ruft: ätsch. Nun sollte man diesen Affekt nicht vorschnell verurteilen, er trägt auch das Werk von Wilhelm Busch zu weiten Teilen.
Fleischhauer wühlt auf seinem „Schwarzen Kanal“ in den Wunden des Gegners, und die Linke täte gut, seinen Spott in dosierte Selbstkritik umzumünzen, selbst wenn es bei diesem Ätsch bleiben sollte. Sind Fleischhauers bissigen Anmerkungen über das Wohlfühlprogramm der GroKo, über beängstigende Staatsgläubigkeit und über einen Paternalismus des guten Gewissens denn so verkehrt? Natürlich nicht. Klar, einiges bleibt hoffnungslos infantil, etwa sein Kampf gegen den Scheinriesen Political Correctness, den er mit vielen konservativen Publizisten teilt, aber gerade in den Beschreibungen der Grünen, seinem Hauptgegner, trifft er doch genau (etwa, dass sie heute die Partei mit der größten Zustimmung unter den höheren Beamten sind).
Neulich hat er einen bösen Witz kolportiert: „Sagt ein Grüner zum anderen: ‚Also der Hitler, der war gar nicht so schlimm. Aber das mit den Autobahnen, das hätte er nicht machen sollen.‘“ Der Witz, Fleischhauer hat es nicht unterschlagen, stammt von Dieter Hildebrandt. Michael Angele
Papst Benedikt: Gescheitert
Während alle Welt von Papst Franziskus schwärmt, wird sein Vorgänger von vielen als Versager angesehen. War Benedikt, der frühere Theologieprofessor, als bloßer Intellektueller mit der Führung der Weltkirche überfordert? Ein namhafter Gelehrter warf ihm gar vor, er habe im Amt seine Jesus-Bücher geschrieben, um endlich einmal als wissenschaftlicher Autor weltweite Bedeutung zu erlangen.
Doch wer so spricht, muss sich fragen lassen, ob frühere Päpste denn besser als Benedikt mit dem vatikanischen Staatsapparat klargekommen sind. Das ist nicht der Fall. Gerade weil Joseph Ratzinger einseitig intellektuell war bis dahin, dass er noch als Papst professoral geblieben ist, traten auch seine Grenzen umso klarer hervor und konnte er selbst sie erkennen. Das war seine höchste intellektuelle Leistung. Gerade so einer war zum ungewöhnlichsten praktischen Schritt fähig. Er wusste, dass sein Rücktritt der Kirche radikal neue Perspektiven eröffnen würde. Was wie ein Scheitern aussah, war ein Sieg. Michael Jäger
Oskar Lafontaine: Populist
Er hat im April vorgeschlagen, das System des Euro durch kontrollierte Auf- und Abwertungsmechanismen zu ergänzen. „Neben dem Euro“, sagte Oskar Lafontaine ausdrücklich, weil die einzige Alternative, das, was stattdessen passiert, nicht zumutbar und auch politisch gefährlich sei. Er meinte damit den massiven Abbau des Lebensstandards einfacher Leute in Südeuropa. War das dumm und antieuropäisch?
So wurde es hingestellt. Lafontaine braucht nur den Mund aufzumachen, schon schimpft man ihn einen Populisten. Weil er eine Gefahr ist für die Interessenten einer ungerechten Wirtschaftsordnung. Niemand kann so klar und knapp argumentieren wie er! Aber ihm können die ständigen Angriffe egal sein. Manche glauben zwar, er habe vergeblich Kanzlerkandidat der Linken werden wollen. Innerparteiliche Gegner hätten es verhindert. In Wahrheit wollte er nicht, weil er weiß, dass es in seinem Alter klüger ist, den hoffnungsvollen politischen Nachwuchs, sprich Sahra Wagenknecht, zu unterstützen. Michael Jäger
Sergei Lawrow: Hardliner
Normalerweise müsste sein Ruf im Westen gut sein. Doch was ist im Verhältnis zu Moskau derzeit normal? Gäbe es ein Wunder, und Russland würde mit Respekt statt Argwohn bedacht, gäbe es mit diesem Außenminister einen professionellen Partner. Wie professionell, das wurde im September klar, als Sergei Lawrow jenes verblüffende Manöver gelang, das es den Amerikanern ermöglichte, einem neuen Nahost-Krieg gerade noch von der Schippe zu springen.
Lawrow teilte mit, Syrien sei bereit, seine Chemiewaffen zu vernichten, und fragte: Weshalb noch zum Militärschlag ausholen? Es sei ohnehin nicht mit letzter Gewissheit geklärt, wer am 21. August bei Damaskus wirklich Giftgas eingesetzt habe. Die US-Regierung setzte zur Kehrtwende an und entkam der bellizistischen Falle, die sich Obama mit seiner „roten Linie“ gestellt hatte. Ein Erfolg für Lawrow, der das Junktim Chemiewaffen- gegen Interventionsverzicht zugleich nutzte, um eine russisch-amerikanische Syrien-Diplomatie anzustoßen, die in eine Genfer Friedenskonferenz mündet. Lutz Herden
Kristina Schröder: Die Falsche
Am Anfang wirkte sie in ihrem Job noch fast wie eine Abiturientin. Der strenge Zug um den Mund kam später, nach dem Krach mit Alice Schwarzer, ihren missverständlichen Äußerungen zu Muslimen und dem Betreuungsgelddebakel. Die Herdprämie wollte sie nie. Als sich aber herausstellte, dass auch andere familienpolitische Leistungen nicht so wirkten, fiel das auf sie zurück. Obwohl sie als Familienministerin weder für Ehegattensplittung noch Familienmitversicherung verantwortlich war.
Warum sich die Frau bei der Quote so halsstarrig zeigte, bleibt ihr Geheimnis. Verbissenheit, war in ihrer Amtszeit zu lernen, bekommt Frauen in der Politik nicht. Dabei hatte Schröder doch beweisen wollen, dass man es auch als Ministerin schaffen kann, Kinder zu bekommen und sich um sie zu kümmern. Kinderzimmer statt Hinterzimmer. Das missfiel dem offiziellen Berlin. Und übrigens auch der Kanzlerin. Ulrike Baureithel
Westbam: Bierzelt-Technoist
Kaum jemand mag ihn leiden, weil er, so die Legende, den Berlin-Techno radikal ausverkauft hat. Damals, vor zwei Jahrzehnten. Seine Großkotzerei aber macht einem das Hassen bis heute leicht.
Westbam kann auch anders. Melancholisch. Das hat er im März mit seiner bemerkenswerten Hymne „You Need The Drugs“, die den Kern der Clubkultur besingt, gezeigt: „You need the drugs to make you shine, you need the pills to take you home again.“ So etwas hört man im sich clean gebenden „Ladida“-Pop der Gegenwart nicht mehr so oft. Das Video räumt gleich noch einen alterstrübsinnigen David Bowie ab, dessen Comeback Westberlin kurz zuvor in graue Bilder gesperrt hatte. Westbams Blick zurück hingegen ist glitzernd, fiebrig, nachthungrig. Eigentlich, wie man Berlin heute kennt. Ohne Berghain-Kult und Easy-Jetset. Fast ist es so, als wäre Westbam einer von den Guten. Jörg Augsburg
Katja Riemann: Zicke
Die Empörungswelle, die über sie im März hereingebrochen ist, gehörte zu den verrückteren des Jahres. Katja Riemanns Interview in der NDR-Sendung Das! erzeugte noch mehr Aufregung als das Gespräch, das Marietta Slomka Ende November mit Sigmar Gabriel in den heute-Nachrichten geführt hat.
Riemann saß nachmittags auf einer roten Couch, neben sich einen menschlichen Moderationsroboter, hatte keine Lust, über ihre „blonden Locken“ zu sprechen, fand eine peinliche Homestory peinlich, reagierte auf oberflächliche Fragen genervt. Kurz: Die Schauspielerin war verwundert über dieses als Interview getarnte Nichts. Danach aber erinnerten sich Hunderte von Meinungsinhabern, dass die Riemann ja schon immer, was sonst?, zickig gewesen sei: „Riemann verspeist NDR-Moderator“, „war ja noch nie die Einfachste“, „Zicken-Alarm im TV!“, haufenweise und tagelang solcher Stuss. Die Wahrheit ist, Katja Riemann hat ein ziemlich häufig gespieltes, aber falsches Spiel nicht mitgespielt. Man muss sie eigent-lich feiern dafür. Klaus Raab
Hans Barlach: Heuschrecke
Ein reicher Mann mit Goldkettchen und Sonnenstudiobräune hat im hiesigen Kulturbetrieb nicht viel zu gewinnen, geschweige denn verloren. Die meisten Suhrkamp-Autoren würden ihrer auch nicht unwohlhabenden Verlegerin Ulla Berkéwicz eher einen goldenen Wasserhahn für ihre Riesenvilla stiften, als Hans Barlach ans Ruder zu lassen.
Kaum jemand nahm den Hamburger Unternehmer ernst, der in Interviews seinem Ruf als kulturlose Heuschrecke alle Ehre machte, aber im Laufe des Jahres zum Erstaunen vieler Prozess um Prozess gegen Berkéwicz gewann. Dann meldete Suhrkamp am 27. Mai überraschend Insolvenz an. Aber selbst in diesem trickreich eingefädelten Verfahren gab Barlach nicht klein bei und hätte fast noch Berkéwiczs Plan durchkreuzt. Jetzt wird der Verlag zu einer AG, und der Großaktionär muss paradoxerweise selbst daran interessiert sein, dass die Geschäfte wieder laufen. Und Suhrkamp gesundet. Man darf also nie Leute unterschätzen, die sich selbst überschätzen. Jana Hensel
Johannes Ponader: Schmarotzer
Die Medien nannten ihn „Pöbel-Pirat“, von der Mehrheit der eigenen Parteibasis bekam er eine 6: Am Ende blieb Johannes Ponader nichts anderes übrig, als beim Bundesparteitag im Mai sein Amt als politischer Geschäftsführer der Piraten aufzugeben. Katharina Nocun wurde zu seiner Nachfolgerin gewählt. Die Piraten kamen dann bei der Bundestagswahl nur auf 2,2 Prozent.
Es stimmt, Ponader hat sich nicht immer geschickt verhalten. Er veröffentlichte etwa eine SMS des Berliner Fraktionschefs Christopher Lauer, in der dieser ihn in aggressivem Ton zum Rücktritt aufgefordert hatte.
Trotzdem wurde Ponader von der Öffentlichkeit, den Medien und von den Piraten selbst meist zu Unrecht kritisiert. In Sandalen und ohne Socken kam er in die Talkshow von Günther Jauch. Warum nicht? Es sollten doch die Argumente zählen, und Ponader ist ein kluger Kopf, machte sein Abi mit 1,0 und hat von Mathematik bis Theaterwissenschaft allerhand studiert. Als Piraten-Geschäftsführer lebte der „Gesellschaftskünstler“, wie er sich selbst bezeichnet, dann von Hartz IV und wurde als Schmarotzer angegangen.
Aber was soll man sich in einer Demokratie wünschen, wenn nicht Menschen, die sich mit dem Existenzminimum zufrieden geben, um sich rund um die Uhr für ihre politische Überzeugung einsetzen zu können? Die Diskussion über den Bezug von Arbeitslosengeld hat Ponader auch noch genutzt, um für die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens zu werben. Felix Werdermann
Gérard Depardieu: Steuerhinterzieher
„L’argent, c’est de la merde“: Geld ist Dreck, hat er gesagt. Da war er nicht mehr Gérard national, sondern Weltbürger auf der Suche nach einem Exil. Depardieu fand es im belgischen Dorf Néchin, dann bei Wladimir Putin, der ihm am 6. Januar die russische Staatsbürgerschaft verliehen hat. Nächster Halt: Mordowien. Auf jeden Fall so weit wie möglich von François Hollandes 75-Prozent-Spitzensteuersatz weg. J’accuse!, riefen die Bürger, allen voran Premierminister Jean-Marc Ayrault. Das sei „erbärmlich“ und „unpatriotisch“. Depardieus geschätztes Vermögen: 120 Millionen Dollar.
Gégé erklärte daraufhin in einem offenen Brief: „Ich habe immer meine Steuern bezahlt – in 45 Jahren habe ich 145 Millionen Euro abgegeben. Ich beschäftige 80 Personen. Jetzt gehe ich, nachdem ich 2012 85 Prozent Steuern zahlen musste.“ Das ist Transparenz. Anders als Uli Hoeneß bei uns. Maxi Leinkauf
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Von der FDP
Vor allem im Netz ergoss sich viel Häme, als die FDP am 22. September mit 4,8 Prozent aus dem Bundestag flog und die Partei sich somit das erste Mal seit 1949 auf die außerparlamentarische Opposition vorbereiten durfte. Zu schwach und profillos war die Rolle der Liberalen in der Koalition mit der Union, als dass die Wähler in Gelb mehr als einen Wurmfortsatz von Schwarz hätten sehen können. Ein Rudiment eben, auf das man gut verzichten kann. Und das wollte dann auch mal gesagt werden. Möglichst laut.
Jetzt aber zeichnet sich ab, dass zumindest eine Politikerin der FDP als Repräsentantin des Wählerwillens fehlen wird. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sich vehement gegen die Vorratsdatenspeicherung gestemmt hatte, darf nun zusehen, wie die sich anbahnende Große Koalition plant, die von ihr beharrlich verteidigten Bürgerrechte zu unterlaufen. Das wiederum dürfte auf Dauer nicht nur ihr Kopfschmerzen bereiten. Wir sollten sie vermissen. Möglichst laut. Jan Jasper Kosok
Anne Wizorek: Feministin
Jede Debatte braucht ein Gesicht. Der Feminismus hatte lange Alice Schwarzer. Das Jahr 2013 aber erst einmal nur einen Hashtag: #aufschrei. Was Ende Januar als größte feministische Debatte der letzten Jahrzehnte auf Twitter begann, hatte es von Anfang an nicht leicht. Nicht nur wegen des Gegenwinds. Und weil die Journalistin Laura Himmelreich nach ihrem Brüderle-Text mit der Debatte nichts mehr zu tun haben wollte.
Sondern vor allem, weil die Erfahrungen von Alltagssexismus in 140 Zeichen vielstimmig waren und in den Medien auf eine Person verkürzt wurden: Anne Wizorek. Der Hashtag war ihre Idee. Nun saß die Onlineberaterin fast schüchtern in den Talkshows und verteidigte die neue Bewegung. Die Kraft der Geschichten ging damit leider verloren. Gewonnen wurde durch sie aber ein Schlagwort, eine neue und offenbar überfällige Debatte. Juliane Löffler
Richard David Precht: Schwätzer
2013 war, mal wieder, sein Jahr. Im April stürmte er mit Anna, die Schule und der liebe Gott die Bestsellerliste, zur Bundestagswahl probierte er sich auf allen Kanälen als Parteienkritiker, im Oktober erhielt seine ZDF-Talkshow den Deutschen Fernsehpreis. Teile der Brillennation sind dennoch not amused. Peter Sloterdijks Häme hallt nach: „Seine Klientel gleicht eher der von André Rieu.“
Sicher, Precht mag ein philosophischer Stehgeiger sein. Aber womöglich beherzigt er nur das Motto von Richard Strauss: „Was ein richtiger Musiker sein will, der muss auch eine Speisekarte komponieren können.“ Zudem ergibt sich RDPs Bedeutung ex negativo: Wo dieser den Charme des Volkshochschullehrers ausstrahlt, geht, statistisch gesehen, kein Arnulf Baring oder Peter Scholl-Latour auf Sendung. Herren über 50 in spätreaktionärer Stimmung gucken dann in die Röhre. Und: Jenen Vorwurf, den Fritz J. Raddatz einst an Sloterdijk richtete, dieser vernachlässige ein wenig seine Frisur, kann man Precht nun wirklich nicht machen. Nils Markwardt
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