Vergangenen Freitag sind im Bundestag "Nachbesserungen" bei Arbeitslosengeld-II-Leistungen beschlossen worden. Zum Besseren verändert hat die große Koalition allerdings lediglich die Anhebung der Regelsätze im Osten. Und dies auch erst ab Juni 2006, statt rückwirkend zum 1. Januar 2005, wie dies für einen nachträglich eingeräumten Fehler zu erwarten gewesen wäre. Die Anhebung des Regelsatzes Ost wurde teuer erkauft: Junge Arbeitslose unter 25 haben künftig erhebliche finanzielle Nachteile. Nicht nur müssen sie bei ihren Eltern wohnen bleiben, es wird ihnen auch noch das Geld wesentlich gekürzt. Es sei nicht zu vermitteln, warum junge Erwachsene auf Kosten der Allgemeinheit eine eigene Wohnung beziehen, lautet die Begründung für die gravierenden Einschnitte.
Die Grundlage für diese Argumentation legte bereits 2005 das unter der rot-grünen Bundesregierung veröffentlichte umstrittene Papier Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, "Abzocke" und Selbstbedienung im Sozialstaat. Dort wurde unter anderem die Gründung eines eigenen Haushalts durch junge Arbeitslose als Sozialleistungsmissbrauch diffamiert. Die große Koalition erntet jetzt die Früchte dieses Parasiten-Diskurses und schränkt das Recht auf eine selbstbestimmte Lebensgestaltung junger Menschen in Zukunft stark ein.
Ost-West-Unterschied nicht haltbar
Die Anhebung der Regelsätze im Osten um 14 Euro auf das Westniveau von 345 Euro war überfällig. Das im Osten niedriger angesetzte Existenzminimum litt von Anfang an unter mangelnder Legitimität und stellte im Grunde nur eine Sparmaßnahme auf Kosten der ostdeutschen Langzeitarbeitslosen dar. Als selbst der unkritische Ombudsrat für das ALG II empfahl, die Regelsätze im Osten anzuheben, war der Unterschied politisch nicht mehr haltbar. Gleichzeitig mit der Anhebung, ab Juni 2006, soll aber an anderen Stellen gespart werden.
Die Einsparmodelle haben ein klares Ziel: Die Einstandspflichten in der Bedarfsgemeinschaft werden verschärft. Unverheiratete Arbeitslose unter 25 Jahren, die noch im Haushalt der Eltern leben, bilden in Zukunft mit ihnen eine Bedarfsgemeinschaft. Das hat weit reichende Folgen. In der Debatte wurde der Eindruck erweckt, Eltern müssten für ihre volljährigen Kinder nicht mehr zahlen, sobald diese von Zuhause ausgezogen sind. Das ist falsch: Bisher mussten Eltern auch für ihre Kinder einstehen, wenn diese unter 25 Jahre alt waren und die Erstausbildung noch nicht abgeschlossen hatten. Denn dann konnten die Jobcenter die an das Kind geleisteten Zahlungen später von den unterhaltspflichtigen Eltern zurückfordern. Jetzt sind alle unverheirateten Menschen unter 25 Jahren auf die Bedarfsgemeinschaft der Eltern verwiesen, auch wenn sie bereits eine Erstausbildung abgeschlossen und danach keinen Job gefunden haben. Im Unterschied zur bisherigen Lösung bedeutet die Neuregelung auch, dass die jungen Menschen keinen eigenen Anspruch auf ALG II mehr haben, wenn die Eltern für sie einstehen können. Vielleicht ist das auch der wahre Grund für die Reform: Wer keinen ALG II-Anspruch hat muss von den Jobcentern auch nicht betreut werden, so können junge Arbeitslose aus dem Blickfeld der Arbeitsmarktpolitik genommen werden.
Bisher waren volljährige Arbeitslose (auch im Haushalt der Eltern) eine eigene Bedarfsgemeinschaft und erhielten den vollen Regelsatz. Nach neuem Recht wird dieser für unter 25-Jährige auf 276 Euro gekürzt. Dies wird damit gerechtfertigt, dass sie sofort in eine Arbeit oder Ausbildung vermittelt werden sollen. In der Realität funktioniert das aber nicht. Lediglich die Pflichten der Eltern dehnen sich aus, denn bereits bei einem geringeren Einkommen kann dieses ausreichen, um den gesetzlichen Bedarf des Kindes zu decken. Außerdem wird die Möglichkeit für Arbeitslose unter 25 Jahren, in eine eigene Wohnung zu ziehen, faktisch abgeschafft. Die Kosten für einen Umzug sowie die Unterkunfts- und Heizkosten in der neuen Wohnung werden erwerbslosen jungen Erwachsenen von den Jobcentern nur gewährt, wenn schwerwiegende Gründe ein Verbleiben in der elterlichen Wohnung unzumutbar machen oder der Umzug für die Integration in den Arbeitsmarkt nötig ist. Welche Gründe "schwerwiegend" genug sind, um die Jobcenter zu einer Zustimmung zum Umzug zu verpflichten, wird der Auslegung durch die Sozialgerichte überlassen bleiben, denn das neue Gesetz nennt keine Beispiele. Schon die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass die Jobcenter wenig Rücksicht auf die Betroffenen nehmen und viele ihr Recht erst vor Gericht einklagen müssen.
Gleichzeitig wird der Umzug ohne eine Genehmigung sanktioniert, indem auch in der eigenen Wohnung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres der Regelsatz von 276 Euro gilt. Dadurch wird der unerlaubte Auszug aus dem elterlichen Haushalt unmöglich gemacht, denn selbst bei sparsamer Lebensführung können Unterkunfts- und Lebenshaltungskosten üblicher Weise nicht von 276 Euro bestritten werden. Einziger Lichtblick: Die "Rückführung" in das elterliche Heim ist im bisherigen Gesetzentwurf nicht geregelt. Wer einmal genug verdient hat, um ohne Zustimmung des Jobcenters bei den Eltern auszuziehen, kann daher später nicht gezwungen werden, wieder zurückzuziehen. Es ist jungen Menschen daher anzuraten, sofort auszuziehen, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt das eigene Einkommen zur Bestreitung der Lebenserhaltungskosten ausreicht.
Auch 24-Jährige gelten als "Jugendliche"
Die faktische Ausweglosigkeit der Situation, in die junge Menschen durch die Neuregelungen geraten können, ist bedenklich. Entweder sie verbleiben im Haushalt der Eltern oder erhalten vom Staat nicht genug Geld, um zu überleben. Die Politik bezeichnet die Betroffenen als "Jugendliche" und erweckt damit den Eindruck, es handle sich um Minderjährige und nicht um erwachsene Menschen. Auch junge Erwachsene benötigen einen individuellen Anspruch auf Sozialleistungen, selbst wenn das Einkommen der Eltern ausreicht, sie zu ernähren. Das schließt den Rückgriff auf vermögende Eltern nicht aus, ermöglicht aber eigenverantwortliche Entscheidungen über Wohnort und Beruf. Es ist ein Widerspruch, wenn der Gesetzgeber arbeitsmarktpolitisch Mobilität und Eigenverantwortung fordert, aber andererseits junge Menschen zwingt, in Abhängigkeit von Eltern beziehungsweise dem Gutdünken der Jobcenter zu leben. Schließlich wird so der selbstbestimmte Start ins Leben auf den 25. Geburtstag verlagert.
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