Kaminfeuer auch für Kassenpatienten

Dokumentarfilm „Vier Sterne plus“ porträtiert Waldkliniken-Chef David-Ruben Thies und seine Ideen zur Reform des Gesundheitssystems
Ausgabe 15/2022

Seine Idee, im Erdgeschoss auch einen Humidor zur Rum- und Zigarrenverkostung einzurichten, geht vielleicht doch etwas weit. Immerhin handelt es sich um einen Ort der Gesundheit. Doch sein Haus sei ja keine Lungenklinik. Und bei einer Fachklinik für Orthopädie sei das schon in Ordnung, meint David-Ruben Thies. Der Geschäftsführer der thüringischen Waldklinik ist selber Kettenraucher. Doch neben der Schnapsidee hat er auch viele gute sinnvolle Vorschläge, um den Aufenthalt in deutschen Krankenhäusern für Patienten, Personal und Besucher angenehmer und gesundheitsförderlicher zu gestalten.

Thies träumt von Häusern mit einladender Architektur, wo es im Foyer nach Kaminfeuer duftet – auch für gewöhnliche Kassenpatienten. Von Essen, das nicht fade schmeckt. Er träumt von einem generell revolutionierten Gesundheitswesen. Und er tut etwas dafür. Dafür hat sich Thies mit dem Mailänder Architekten Matteo Thun (einem Spezialisten für Luxushotels) zusammengetan und für seine Waldklinik ein neues zylinderförmiges Bettenhaus entwerfen lassen, bei dem alle Zimmer durch große Fenster und Wintergärten Blick in die wohltuende umgebende Natur haben.

Hinter Thies’ Plänen stehe die Tatsache, dass Krankenhäuser in Deutschland immer stärker um Patientinnen und Patienten konkurrieren, sagt er. Und das Wissen, dass bei der Entscheidung der Einzelnen für ein Haus weniger die schwer einzuschätzende medizinische Qualität, sondern Faktoren wie Lage, Essensqualität oder Ausstattung der Zimmer eine Rolle spielten. Doch neben einer optimierten Akquise soll auch der Klinikbetrieb selbst mit kleinteiligen sogenannten Units statt der Stationen und gekappten Chefarzt-Privilegien patientenorientierter laufen, wie Thies erklärt. Dabei wird im Film schnell deutlich, dass der ehemalige Krankenpfleger nicht beim Träumen bleibt, sondern mit unternehmerischem Ehrgeiz gezielt das doppelte Ziel verfolgt, kurzfristig das existierende Gesundheitssystem zu unterlaufen, um es auf lange Sicht grundlegend zu verändern.

Nach eigener Auskunft hat er es bisher geschafft, die Waldklinik mit ihren vier dem Film ihren Titel gebenden Hotellerie-Sternen und einem exklusiven Arzt-Patienten-Schlüssel von 1:8 im Bau und Betrieb kostenmäßig sogar unter dem Level anderer Krankenhäuser zu halten. Mit welchen Mitteln genau, wird im Film leider nicht klar. Zwar erklärt Thies bei einer Präsentation für den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn etwa, dass das Bauen im Luxushotelsegment wegen weniger normativer Vorgaben sogar günstiger als das im medizinischen Bereich sei. Eine interessante Behauptung mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen. Doch die durch sie geweckte Neugier auf konkrete Details wird im Weiteren leider nicht gestillt.

Vier Sterne plus begleitet den begnadeten Strippenzieher Thies bei diversen solcher Meetings, der Kontrolle der Bauarbeiten oder dem Besuch von Best-Practice-Projekten in den Niederlanden und der Schweiz. Zu einem offiziellen Besuch in Vietnam führt der Versuch, den Mangel an Gesundheitspersonal in Thüringen mit dortiger Unterstützung zu entschärfen. Doch auch in Hanoi sind AnästhesistInnen knapp. So entsteht die breit angelegte Würdigung der wirkungsmächtigen Arbeit eines engagierten Arbeitstiers mit wichtigen Hinweisen zum möglichen Umbau des Gesundheitssystems. Leider bietet der Film – auch weil er direkt nach Eröffnung des Hauses endet – wenig sinnliche Anschauung der geänderten Praxis. So ist von der verbal gepriesenen Vier-Sterne-Bio-Verköstigung ebenso wenig konkret zu sehen wie von den neuen kooperativen Arbeitsabläufen im Hause. Das liegt wohl auch an Corona. Doch vielleicht hätte Regisseurin Antje Schneider noch ein paar Drehtage im laufenden Betrieb drauflegen sollen.

Info

Vier Sterne plus Antje Schneider Deutschland 2022, 94 Minuten

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