Bestsellerautorin Sara Paretsky über politische Krimis und das raue Klima in den USA
Interview In den USA sind Sara Paretskys feministische Kriminalromane rund um die Ermittlerin V. I. Warshawski Bestseller. Und doch erhält sie immer öfter Hassmails von ihren Leserinnen und Lesern
Bestsellerautorin Sara Paretsky: „Eine Donna Quijote“
Foto: Imago/Zuma Wire
Sara Paretsky ist eine Pionierin und Ikone des feministischen Kriminalromans. Im Mittelpunkt ihrer Romane steht die toughe Privatdetektivin V.I. Warshawski, die in Chicago lebt und ermittelt. Schiebung (Ariadne Verlag) erschien in den USA bereits 2018 und erzählt wieder einmal von Menschen, die das kapitalistische System in Not und Gefahr gebracht hat – Geflüchtete, die verfolgt und ausgebeutet werden.
der Freitag: Frau Paretsky, 2022 ist ein Jubiläumsjahr für Sie – vor 40 Jahren erschien in den USA der erste Roman mit Ihrer Detektivin V.I. Warshawski. Haben Sie groß gefeiert?
Sara Paretsky: Ach nein, wir hatten zwar eigentlich eine große Party geplant, aber irgendwie kam es nie dazu. Zum 20. Jubiläum hatten mein inzwischen verstorbener Mann und
r irgendwie kam es nie dazu. Zum 20. Jubiläum hatten mein inzwischen verstorbener Mann und ich 100 Gäste da und jede Menge Champagner.Grund zum Feiern hätten Sie, in den USA landen Ihre Romane regelmäßig auf der Bestsellerliste.Regelmäßig schon, aber nicht immer. Das kommt darauf an, wer zeitgleich neue Titel draußen hat. Wenn Autoren wie Danielle Steele und James Patterson neue Bücher haben, sinken meine Chancen. In Deutschland weiß ich nicht genau, wie gut es läuft, aber bevor mich Else Laudan von Ariadne verlegt hat, hatte ich lange Jahre keinen deutschen Verlag mehr.Hätten Sie sich vor 20 Jahren vorstellen können, dass Sie im Jahr 2022 immer noch Geschichten über Warshawski erzählen?Nein, darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Was ich mir damals auch nicht hätte vorstellen können, ist, wie erschöpft ich 20 Jahre später sein würde. In den USA werde ich heute heftig für die politischen Inhalte meiner Romane angegriffen – und das trifft mich. 2002 war natürlich auch nicht alles okay. Die USA machten sich bereit, den Irak anzugreifen, und ich gehörte zu den wenigen, die dagegen protestiert haben. Aber inzwischen ist die Situation hier so angsterregend, das Wahlsystem ebenso bedroht wie die Frauenrechte. Diese Entwicklung erschöpft mich total, und das hat nicht mit meinem Alter zu tun. Die Energie von früher, die habe ich einfach nicht mehr.Wer sind die Menschen, die Sie angreifen?Ich bekomme erstaunlich viel „hate mail“ von Lesern und Leserinnen. Das Buch, das dieses Jahr in den USA erschienen ist, Overboard, ist wirklich nicht besonders politisch, außer, dass es sich mit dem Gesundheitssystem der USA auseinandersetzt und wie Menschen nicht nur finanziell zugrunde gehen, weil es so miserabel ist. Im Buch zwingt V.I. ihre Klienten dazu, eine Maske zu tragen, wenn sie in ihr Büro kommen – und allein das hat mir wahnsinnig viel hasserfüllte Reaktionen eingebracht, ich sei antiamerikanisch, eine die Freiheit hassende liberale Idiotin; eine Frau schrieb sogar, sie hoffe, ich werde überfallen und die Polizei komme mir nicht zu Hilfe. Für mich war das fast schon eine Todesdrohung, die Polizei nahm das aber nicht allzu ernst.Machen solche Reaktionen Sie wütend?Ehrlich gesagt, macht es mich eher depressiv. Diesen Hass gab es früher so nicht. In ein paar Tagen werde ich in Kansas eine Rede zum Erhalt von öffentlichen Büchereien halten, die in weiten Teilen des Landes unter Beschuss sind. Mitarbeiter werden gestalkt und beschimpft, sogar das Leben ihrer Kinder wird bedroht. Und das alles hat damit zu tun, dass die radikale Rechte den Hass gegen Andersdenkende schürt. In Texas gibt es eine Liste mit rund 800 Büchern, die nicht mehr in den Regalen der Büchereien stehen dürfen. Darunter viele Bücher zum Thema „race“, zum Beispiel sollen die Romane von Toni Morrison …… die afroamerikanische Autorin, die 1993 den Friedensnobelpreis erhielt …… nicht mehr sichtbar sein. Das gilt auch für alle Bücher für Heranwachsende, die sich mit Homosexualität oder anderem von der Norm abweichenden Sexualverhalten auseinandersetzen.Was passiert, wenn die Büchereien sich weigern?Das ist schon vorgekommen – der Staat Texas hat die Bücherei dann dichtgemacht. Mir kommt es manchmal so vor, als verwandelten sich Teile der USA in das Deutschland der 30er Jahre. Und das Schlimmste liegt noch vor uns.Aber Ihre Bücher stehen nicht auf einer Schwarzen Liste, hoffe ich?Nein, leider nicht (lacht). Das ist doch gemein, als wäre ich nicht wichtig genug dafür.Vielleicht bleiben Sie unbehelligt, weil die Leute denken: Es ist doch nur ein Krimi?Unbedingt. Das ist wie in einigen Ländern Lateinamerikas, wo politische Literatur zensiert wird, Krimis aber dürfen die sozialen Ungerechtigkeiten thematisieren. Der Kriminalroman ist von seinem Wesen her das Genre, in dem es um Gesetze, Gesellschaft und Gerechtigkeit geht. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, ich lese und schreibe Romane, um mich unterhalten zu lassen, es geht mir nicht um sozialistischen Realismus. Letztlich ist fast alle Literatur politisch, selbst die scheinbar unpolitischen Romane des „Golden Age“ im Großbritannien der 1920er und 1930er zeigen und zementieren die Klassenhierarchie. Natürlich wird solche Literatur nicht als politisch gelesen – erst wenn du den Status quo angreifst, ist das so.„Schiebung“ reflektiert für mich das sich verändernde politische Klima nach der Wahl Trumps.So ist es. Ich glaube nicht, dass ich mich in meinem Leben jemals so am Boden zerstört gefühlt habe wie 2016, nachdem das Wahlergebnis bekannt wurde. Und dann wurde es noch viel schlimmer, als ich mir das je hätte vorstellen können. Eine Woche nach seinem Amtsantritt habe ich eine Facebook-Seite gestartet, mit Namen „Sara Paretsky and Friends“, wo wir Vorschläge gemacht haben, was Leute jetzt gegen Trump und seine unfähigen und gierigen Helfer tun können.Was war der konkrete Anlass für „Schiebung“?Unter den ersten großen Themen Trumps war eines die Einwanderung – und wie er sie stoppen würde. Wir haben mit den Angriffen auf Syrien und den Irak eine enorme humanitäre Krise geschaffen – aber Trump wollte nicht helfen, weil er keine Muslime im Land haben wollte. Parallel dazu häuften sich Angriffe auf Andersfarbige auf offener Straße. Es gibt auch ein konkretes Beispiel: In meiner Heimatstadt sollte ein Professor abgeschoben werden, der mit seinen Eltern aus Bangladesch kam, als er ein Jahr alt war – er kennt nichts anderes als die USA. Die Eltern sind illegal eingewandert, sodass er keine US-Staatsbürgerschaft hat. Eines Morgens wurde er verhaftet, vor den Augen seiner Kinder im Auto. Wir haben dagegen gekämpft, aber es ist fast unmöglich. Solche Geschichten gab es hundert- oder tausendfach – das war der Ausgangspunkt des Romans.Sie mischen noch Raubkunst als Thema hinein – und einen ausgeklügelten Finanzbetrug. Warum sind Ihre Romane oft so komplex, fast schon labyrinthisch?Gute Frage – warum muss ich bloß immer so komplizierte Geschichten erzählen? Vielleicht weil es einfach zu viele Dinge gibt da draußen, die mich irritieren und ärgern. Und die müssen dann eben auch noch in meine Bücher.Fühlen Sie sich manchmal wie Don Quijote, nur dass Ihre Windmühlen reale Gegner sind?Ich vielleicht nicht, aber V.I unbedingt – sie wurde sogar gelegentlich schon Donna Quijote genannt.Don Winslow steckt ähnlich wie Sie viel Energie in den Kampf gegen Ungerechtigkeit. Er hat seine Karriere als Schriftsteller beendet, um sich ganz dem politischen Engagement zu widmen. Sehen Sie wie Don Winslow die US-Demokratie in Gefahr?Winslow hat absolut recht, das System ist fragil und könnte zusammenbrechen. Auch deshalb habe ich in den letzten zwei Monaten die meiste Zeit damit verbracht, in meinem Heimatstaat Geld für eine Organisation zu sammeln, die progressive Kandidaten fördert. Hier in Illinois ist die Wahl am 8. November entscheidend, auch was Abtreibungen angeht. Ich würde aber nie wie Winslow aufhören zu schreiben. Denn ich glaube, dass Worte und Bücher große Macht haben. Wer diese Macht abgibt, der leugnet seine Verantwortung.Das klingt jetzt etwas pathetisch.Mag sein, vielleicht haben meine Bücher nicht so viel Einfluss, wie ich es hoffe und glaube. Aber solange ich Geschichten zu erzählen habe und genügend Kraft, das auch zu tun, mache ich weiter.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1
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