Beton gegen Beton

Ukraine Die proeuropäische Protestbewegung zersplittert sich und verliert ihre Protagonisten. Es fehlt eine opportunistische Führungsperson
Ausgabe 04/2014
Verhärtete Fronten: Demonstrant in Kiew
Verhärtete Fronten: Demonstrant in Kiew

Foto: Genya Savilov/AFP

Das Volk der Ukraine, das seit zweieinhalb Monaten als Träger der ursprünglich pro-europäischen Proteste beschworen wird, ist nicht wieder zu erkennen. Verkohlte Busse, Tausende ausgebrochene, winterlich vereiste Pflastersteine. Hunderte Verletzte, ein lichterloh brennender Polizist der Spezialeinheit Berkut, in der Nacht auf Mittwoch der erste Tote, ein aus unbekannter Richtung erschossener Demonstrant. Seit der Unabhängigkeit 1991 hat es solche Szenen nicht gegeben.

Es begann mit der inzwischen achten sonntäglichen „Volksversammlung“ auf dem Kiewer Majdan. Nachdem das Parlament drakonische Demonstrationsverbote beschlossen hatte, fand die verbitterte Bewegung wieder Zulauf. Die Oppositionspolitiker Arsenij Jazenjuk und Vitalij Klitschko verkündeten den Plan, parallele Machtstrukturen zu bilden – ein „Volks-Parlament“ der Opposition, eine „Volks-Regierung“, „Volks-Abstimmungen“ etwa über den Kiewer Stadtrat. Da antworteten die 100.000 Demonstranten noch mit einem rhythmisch wiederholten „Ja“. Als sich Klitschko kurz darauf Demonstranten in den Weg stellte, die den Polizeikordon attackierten, richtete sich „das Volk“ aber auch gegen ihn. Er bekam den Inhalt eines Feuerlöschers ab und musste öffentlich eingestehen, dass die Opposition „die Bewegung nicht mehr unter Kontrolle“ habe.

Revolutionsführer von Merkels Gnaden

Einen Bürgerkrieg fürchtend, fuhr er zur Privatresidenz von Präsident Janukowitsch, wartete eine halbe Stunde vor der Absperrung der Berkut-Einheiten und bekam ein Vieraugengespräch mit dem Präsidenten, den er gerade noch zu ignorieren gelobt hatte. Am Tag darauf die nächste Kehrtwende: Klitschko erschien nicht zur beschlossenen Krisen-Kommission, da er mit niemandem außer Janukowitsch selbst verhandeln will. So endet ein Revolutionsführer von Merkels Gnaden. Unter den Demonstranten des „Euromajdan“ vertrauen nur noch zehn Prozent Oppositionspolitikern wie Klitschko.

Wer aber ist dieses Volk der Ukraine? Wird es repräsentiert von bulligen Männern in Camouflage-Hosen, jungen Kiewern und Westukrainern, die neuerdings auch die rot-schwarzen Fahnen des rechtsextremen Rechten Spektrums schwenken? Oder findet sich „die ganze Ukraine“, wie Premier Nikolaj Asarow behauptet, auf dem „Antimajdan“ hinter dem Parlament, während auf dem Majdan „nur drei“ von 27 Verwaltungsgebieten sind?

Letzte Umfragen helfen beim Identifizieren des Volkes nicht weiter. Ein Institut erhob, dass 50 Prozent den „Euromajdan“ ablehnen und 45 Prozent ihn unterstützen. Ein anderes sah die Unterstützer bei 50 Prozent und die Gegner bei 42. Den rettenden 15-Milliarden-Kredit aus Russland und den um ein Drittel gesenkten Gaspreis sahen 47 Prozent positiv – es ist nicht das erste ukrainische Patt, das auf dem Majdan ausgetragen wird. Und es steht nicht zum ersten Mal 45:50 oder 50:42. Nur eines ist anders als bei der Orangenen Revolution von 2004: In der Vergangenheit traten stets Politiker, Oligarchen und Dealmaker auf, die mit feinem Sensorium die mehrheitsfähige Strömung aufspürten und in das schließlich siegreiche Lager wechselten. Das war Korruption, aber es bedeutete auch Frieden. Das eigentlich beunruhigende dieser Krise ist das Fehlen solcher geschmeidiger Überläufer. Diesmal geht es Beton gegen Beton.



AUSGABE

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden