Bevölkerung wird zum Sicherheitsrisiko

Fußball-WM Einen Monat vor der Fußball-WM in Brasilien spaltet die Fifa und die dortige Regierung das Land. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung findet, dass die WM dem Land schade
Ausgabe 18/2014
Ein Polizist der Spezialeinheit CORE
Ein Polizist der Spezialeinheit CORE

Bild: Mario Tama/Getty Images

Aus der Perspektive eines Favela-Bewohners sieht das so aus: „Unser Problem sind nicht die Drogenhändler,“ hat einer den Reportern des Blogs Rio on Watch erzählt. „Die Drogenhändler haben Respekt vor den Leuten im Viertel. Die Polizei nicht – die halten dir sofort eine Knarre ins Gesicht. Deshalb gibt es hier auch keinen Respekt vor der Polizei.“ Der junge Mann lebt in Pavão-Pavãozinho, also genau jener Favela, die ihren Protest gegen Polizeigewalt gerade medienwirksam auf die Straßen von Rio de Janeiro trägt.

Natürlich ist das, was er sagt, eine Provokation und blendet die Probleme aus, die von den Drogengangs ausgehen. Doch seit Militär und Polizei im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft in einige Favelas einmarschiert sind, haben die Leute genau diese Erfahrung gemacht: Je länger die sogenannte Befriedung der Armenviertel fortschreitet, desto weniger ist zu unterscheiden, wer die Guten und wer die Bösen sind. Ist das ein Polizist, der sich an Recht und Ordnung hält? Oder einer, der Verdächtige einfach erschießt und so einen faschistoiden Traum auslebt, Brasilien von „bandidos“ und „marginais“ zu säubern? Oder gehört er zu einer der Milizen, die jenen Drogenhandel übernehmen wollen, dessen alte Mächte geschwächt sind?

So oder so, die Leute müssen sich nun mit beidem rumschlagen, der Polizei und den Drogengangs, die ja aus den Favelas keinesfalls verschwunden sind. Es hieß im Vorfeld, man wolle die Befriedung mit Sozialprogrammen flankieren. Stattdessen gab es steigende Immobilienpreise, Seilbahnen, die Touristen über die bunt bebauten Hügel gondeln und eben das „Comando Azul“. Also das blaue Kommando, wie die neue Friedenspolizei UPP bei der Bevölkerung heißt – eine Anspielung auf die Drogenbande „Comando Vermelho“. Das rote Kommando.

Es ist noch rund ein Monat bis zur WM, dann wird wieder überall von Sambafußball und brasilianischer Lebensfreude die Rede sein. Lauter Klischees. Tatsächlich haben die Fifa und die Regierung das Land gespalten: Einige Wenige haben sich am Bau der neuen Stadien und den begleitenden Infrastrukturmaßnahmen eine goldene Nase verdient. Den anderen vergeht gerade zunehmend die Lust am Spektakel. Nach der Privatisierung des Maracanã gibt es keine günstigen Stehplätze mehr, die Straßenverkäufer hat man aus der Bannmeile rund um das ehemalige Volksstadion vertrieben. Wer wenig Geld hat, bleibt außen vor. Damit alles im Sinne der Fifa und ihrer Sponsoren abläuft, werden 170.000 Polizisten, Soldaten und Security-Mitarbeiter die Spiele bewachen, das sind 22 Prozent mehr als in Südafrika 2010. Die Bevölkerung als Sicherheitsrisiko.

Auch der untere Mittelstand ist zunehmend genervt, darunter Millionen von Brasilianern, die während der Lula-Ära den Aufstieg aus dem Favela-Prekariat geschafft haben. In den Massenprotesten zum Confed-Cup im Juni 2013 brach sich der Unmut Bahn, dass das Land Milliarden in das „megaevento“ pumpt, statt sich Schulen, Krankenhäusern, der Abwasserversorgung oder dem lähmenden Verkehrschaos zu widmen. Die Brasilianer sind offensichtlich nicht gewillt, bloß die hüftwackelnde Staffage für den Fifa-Fußballvermarktungs-Zirkus abzugeben. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung findet inzwischen, dass die WM dem Land schade.

Man nutzt die globale Aufmerksamkeit, um Druck auf die Regierung auszuüben. Es wird den TV-Kameras nichts anderes übrigbleiben, als ab und an mal von der Fan- in die Protestkurve herüberzuschwenken.

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