Bewaffnen oder auswandern?

Südafrika Nach den Unruhen bewegt sich das Land zwischen Anspannung und Hoffnungslosigkeit
Ausgabe 39/2021
Nachwirkungen der Unruhen: Nur noch wenige Läden in Südafrika sind geöffnet – oder intakt
Nachwirkungen der Unruhen: Nur noch wenige Läden in Südafrika sind geöffnet – oder intakt

Foto: Guillem Sartorio/AFP/Getty Images

Das Einkaufszentrum im Süden von Durban ist bis zum Bersten voll, die Schlangen vor den Geldautomaten sind lang. Menschen mit Einkaufswagen drängen sich durch die Flure. Der Ansturm ist größer als normalerweise zum Monatsbeginn, wenn viele Südafrikaner ihren Lohn oder ihre Sozialleistungen ausgezahlt bekommen. „Hierher kommen jetzt auch all jene, in deren Vierteln Geschäfte und Geldautomaten zerstört wurden“, sagt Aidan David, als ich ihn im Gedränge zufällig treffe.

Mit Waffen, Stöcken, Macheten hatten Bürger wie David versucht, ihre Viertel im Juli vor den Massenplünderungen zu schützen. Inmitten der Unruhen, die die Regierung später als Umsturzversuch bezeichnete, waren wir uns zum ersten Mal begegnet. Ein zunächst überschaubarer Protest gegen die Inhaftierung von Ex-Präsident Zuma war völlig ausgeufert. Die Polizei schaute hilflos zu, wie Tausende Läden, Einkaufszentren und Fabriken stürmten, plünderten und in Brand steckten. Um Politik ging es da schon lange nicht mehr.

Mittlerweile sind Schutt und Scherben weggeräumt, einige Gebäude wurden abgerissen, andere werden renoviert. Längst nicht alle haben wieder eröffnet. Angesichts der Wirtschaftskrise in Südafrika liefen viele Geschäfte ohnehin eher schlecht, dazu kamen Schließungen infolge des Corona-Lockdowns. Zwar hat sich die Pandemie-Lage in Südafrika dank der steigenden Impfquote mittlerweile etwas entspannt, aber für viele ist es zu spät. „Für kleinere und mittlere Unternehmen waren diese Unruhen der Sargnagel“, sagt David, der selbst eine Metallbau-Firma leitet.

Die Arbeitslosigkeit hat landesweit einen neuen historischen Höchstwert erreicht. Besonders betroffen: junge Südafrikaner. Dadurch wächst auch die Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit. In fast jedem Gespräch in den vergangenen Monaten höre ich von jemandem, der aus Angst vor weiteren Unruhen seine Koffer gepackt hat. Bürger „semigrieren“, ziehen also innerhalb Südafrikas um, an Orte, die als sicherer gelten. Oder wandern ganz aus.

Südafrika erlebe eine Auswanderungswelle vor allem gut ausgebildeter Bürger, bestätigt der Politikwissenschaftler William Gumede. „Das sind nicht nur weiße, sondern auch zunehmend schwarze Südafrikaner. Dem Land gehen noch mehr Fachkräfte verloren.“ Für viele, die trotz Wirtschaftskrise und täglich neuer Enthüllungen über Korruptionsskandale noch mit der Entscheidung haderten, geben die Unruhen den Ausschlag.

Zurück bleiben verängstigte Bürger. „Was, wenn beim nächsten Mal unsere Häuser das Ziel sind, fragen sich viele meiner Nachbarn“, erzählt Aidan David. „Die einen plündern von oben, die anderen von unten, und wir in der Mitte werden zu Opfern.“ Da auf die Polizei kein Verlass ist, ziehen sie Konsequenzen.

Waffenverkäufe haben nach den Unruhen so stark zugenommen wie seit 1994 nicht mehr. Damals fürchteten vor allem weiße Südafrikaner einen Bürgerkrieg. Nun wächst das gesellschaftliche Misstrauen gegenüber „den anderen“ wieder, nicht nur zwischen Schwarz und Weiß. Dieses Problem ist schwerer zu beheben als die Sachschäden.

Unsere Kolumne „Zwischen Durban und Dakar“ ist wieder da! Diesmal mit Leonie March, freier Korrespondentin in Südafrika

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