Am 7. Juli 1880, also vor 125 Jahren, erschien das "Vollständige orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache" - der "Urduden", der sofort zum Bestseller wurde. Er umfasste ganze 187, die letzte Ausgabe enthält 1152 Seiten. Ab der 7. Auflage von 1902 war der Duden zwar nicht rechtlich verbindlich, aber faktisch das für die Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum verbindliche Wörterbuch. Nach 1945 gab es einen Duden-Ost und einen Duden-West, aber die Differenzen zwischen den beiden Versionen blieben minimal. Seit 1991 erscheint wieder ein einheitlicher Duden, der parallel von Redaktionen in Mannheim und Leipzig erarbeitet wird.
Mit dem zwischenstaatlichen Abkommen zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibreform vom Juli 1996 sollten die irrwitzigsten Rechtschr
Rechtschreibregelungen ("Auto fahren", aber "radfahren", "bankrott gehen") endlich bereinigt werden. Sie beruhen restlos auf fragwürdigen Analogieschlüssen, Geschmackurteilen und der Orientierung am sogenannten Sprachgebrauch. Seither tobt eine aufgeregte Reformdebatte mit stürmischen Attacken in den Feuilletons. Dabei ging es den Reformern um Kleinigkeiten und keineswegs um die grundsätzliche Änderungen von spezifisch deutschen Marotten wie der Großschreibung von Nomen. Nicht einmal Jacob und Wilhelm Grimm setzten sich mit der Kleinschreibung durch.Natürlich enthielt die erste Version der neuen Rechtschreibung Fehler und Schwächen. Aber welche Reform hat die nicht? Dirigiert wird die Kampagne gegen die Reform von der FAZ-Redakteurin Heike Schmoll, die vor jeder Sitzung der Kultusminister oder des "Rates für deutsche Rechtschreibung" mit Artikeln ohne neue Argumente nachlegt. Seit nunmehr fast zehn Jahren herrscht ein verbissener Grabenkrieg, in dem die Reformgegner immer die gleichen Ladenhüter zu den Problemen der Zusammen- und Getrenntschreibung sowie zur Groß- und Kleinschreibung vortragen. Unterstützt werden sie dabei von ein paar größeren und vielen kleineren Schriftstellern. Die stockreaktionäre Schweizer "Stiftung für abendländische Gesinnung" mit ihrem Präsidenten Robert Nef (den Heike Schmoll den deutschen Lesern in neuester Schreibweise als Robert "Nefin" vorstellt) verlieh Reiner Kunze für seinen Heldenmut im Kampf gegen den Untergang des Abendlandes im Zuge der Rechtschreibreform sogar einen Preis.Im Jahr 2000 legte der Sprachwissenschaftler Theodor Ickler in einem Esoterikverlag ein Rechtschreibwörterbuch vor, das er mehrmals überarbeitete und dessen Titel nun lautet Normale deutsche Rechtschreibung. "Normal" ist der neue Ausdruck für "bewährte Schreibung", und woraus Ickler die Normen für seine 29 Paragraphen der "normalen Rechtschreibung" destilliert, bleibt ebenso dunkel wie früher der Appell ans "Bewährte" oder das "Einheitliche". Immerhin argumentiert Ickler meistens als Sprachwissenschaftler und nicht wie seine Mitstreiter als eifernde Agitatoren. Bei einer denkwürdigen Pressekonferenz auf der Buchmesse vor einem Jahr tat sich ein meinungsstarker Mainzer Professor mit der Bemerkung hervor: "Duden existiert nicht". Er gleicht in punkto Realitätsverweigerung ganz dem neuesten Grabenkrieger der FAZ. Stefan Stirnemann, ein Gymnasiallehrer und Mitstreiter Robert Nefs für "abendländische Gesinnung", antwortete auf den Hinweis, in der Schweiz sei das überflüssige Eszett abgeschafft worden mit dem klassischen Radio-Eriwan-Satz: "Dass die Schweiz das Eszett abgeschafft hat, ist nicht wahr. Es wird in der Schule nicht unterrichtet und in der Presse nicht verwendet." Faktum ist: Schüler und ungeübte Schweizer Leser kennen den Buchstaben ß gar nicht oder halten ihn schlicht für eine Kurzschreibweise von ss - so wie man früher für nn ein n mit einem Strich darüber schrieb.Heike Schmoll und ihre Orthographietruppe scheiterten mit dem Versuch, die Rechtschreibreform als späte Realisierung eines nationalsozialistischen Sprachbereinigungsvorhabens hinzustellen. Deshalb wurde eine neue Front aufgemacht. Ein Berner Lehrer kritisierte 1947 den Duden und empfahl neue Schreibweisen, wie sie auch die jetzige Rechtschreibreform vorschlägt. Er setzte sich damit nicht durch, und deshalb fragen die FAZ und Stirnemann: "Soll heute gelten, was 1947 als Rückschritt verworfen wurde?" (23. 6. 2005). Als Fachmann für "abendländische Gesinnung" und "gerechte Noten" stellt sich Stirnemann nun an die Spitze des Fortschritts gegen die Rückschrittler der Rechtschreibreform. Ausgesprochen fortschrittlich gibt sich die FAZ bereits bei der Silbentrennung. Neulich wurde so getrennt: "radika-lislamisch" (FAZ 28. 6. 2005). Das ist eminent fortschrittlich, ja revolutionär - fast wie die jüngst vollzogene, auflagensteigernde Verabschiedung des "langen s" in den allerliebsten Frakturüberschriften der FAZ.Nach den ebenso "bewährten" wie "normalen" und "einheitlichen" Regeln des medialen Betriebs und dem darin mittlerweile erreichten Grad von Vernagelung und Verbiesterung wird die Debatte weitergehen. Eine Sondersitzung der Kultusministerkonferenz findet Mitte Juli statt. Wetten, dass Schmolls Helden schon beim Messerschleifen sind?Normale deutsche Rechtschreibung. Sinnvoll schreiben, trennen, Zeichen setzen. Von Theodor Ickler. Vierte, erw. Auflage, Recil-Verlah. St. Goar 2004, 579 S., 18 EUR