Sie haben ihre Wahlkampfbude abgebaut, die Konservativen, am vergangenen Montagmorgen auf dem Syntagma im Zentrum Athens. Wieder stehen Bilder vom „Platz der Verfassung“ vor dem griechischen Parlament symbolisch: Die Anhänger der Nea Dimokratia ziehen von dannen, geschlagen bei der Parlamentswahl vom Sonntag. Syriza hat gewonnen, etwas Neues beginnt.
Vieles von diesem Neuen wurzelt auf dem Syntagma: Im Frühsommer 2011 wurde der Platz zum Symbol des griechischen Widerstands gegen die Krisenpolitik. Protestcamps, die Bewegung der Empörten, Demonstrationen und Streiks erreichten ganz Griechenland; es gab Besetzungen in Dutzenden Städten, und Hunderttausende Menschen, die zuvor noch nie demonstriert hatten, gingen gegen die herrschende Politik auf die Straße.
Mehr als ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung hat Griechenland seit 2008 verloren. 25 Prozent der Bevölkerung und mehr als die Hälfte der Jugendlichen sind arbeitslos, Hunderttausende haben in den letzten Jahren das Land verlassen. Berücksichtigt man die Inflation, so sind die Löhne heute um ein Viertel niedriger als vor fünf Jahren. 36 Prozent leben in Armut oder sind von ihr bedroht – das sind Hunderttausende Familien ohne Heizung, Strom und oft auch Essen.
Ein Experiment
Unter dem Vorwand der Budgetsanierung wurde aus Griechenland ein neoliberales Experimentierfeld: ein neuer Typ Staat, der noch besser die Interessen der Eliten vertritt und ein neues Wirtschaftsmodell, das auf gesteigerter Ausbeutung basiert. Hierzu dienten der Troika die Zerschlagung des Arbeitsrechts und des Sozialstaats, die Senkung der Löhne und die Entrechtung weiter Teile der Bevölkerung. Die nun abgewählte Regierung hat sie gefügig umgesetzt.
Doch trotz – oder gerade wegen – der Misere entfaltete sich in Griechenland eine politische Dynamik, aufgrund derer das Land nun plötzlich Linken in ganz Europa als ein Ort der Hoffnung gilt. Das liegt an Syrizas Wahlsieg, aber den hätte es nicht gegeben ohne das Fundament sich organisierender sozialer Bewegungen. Viele in Griechenland sagen, Syriza ist zur parlamentarischen Vertreterin des Widerstands geworden, weil die Bewegungen die Partei „adoptierten“ und nicht andersherum.
Derweil verließen viele Menschen 2011 die Plätze wieder und kümmerten sich um ihre Nachbarschaften. Das Land erlebte die Gründung Tausender selbstverwalteter Projekte und Solidaritätsinitiativen. Sie arbeiten seitdem daran, von unten etwas Neues aufzubauen.
Dutzende Solidaritätskliniken und -apotheken nahmen sich dem einen Drittel der Bevölkerung an, das nicht mehr krankenversichert ist. Ehrenamtliche Ärzte und Pfleger versuchten das aufzufangen, was das amputierte Gesundheitssystem nicht mehr leisten konnte. Soziale Küchen und Essensspenden halfen denen, die von Hunger bedroht waren. Aber all diese Ansätze entwickelten sich zu mehr als klassischer Wohltätigkeit, sie funktionieren heute tatsächlich nach den Prinzipien der Solidarität: gemeinsames Handeln im Bewusstsein, auf derselben Seite zu stehen.
Besonders deutlich wird dies bei den neuen Gemeinschaftsgärten: Sie helfen bei der Versorgung mit Lebensmitteln, aber Nachbarn lernen dort eben auch Techniken landwirtschaftlichen Arbeitens. Die Initiative „Märkte ohne Mittelsmann“ wickelt den Verkauf von Lebensmitteln direkt zwischen Bauern und Konsumenten ab. Sie umgehen so den Einzelhandel, durch dessen hohe Margen die Preise in griechischen Supermärkten ähnlich teuer sind wie in deutschen. Tauschkreise und Zeitbanken setzen Menschen wirtschaftlich direkt zueinander in Beziehung und hinterfragen, wie Wert durch Preise ausgedrückt wird. Schenkläden, -märkte und -plattformen vermitteln die kostenlose Weitergabe von Dingen. Auch in der Krise gibt es noch Überfluss – wer überflüssige Kleidung oder Geräte hat, verschenkt sie; wer sie braucht, holt sie sich ohne Gegenleistung ab.
Selbstverwaltete soziale Zentren, sogenannte Stekia, entstanden – sie wurden meist besetzt oder günstig gemietet und fortan kollektiv als Nachbarschaftszentrum geführt. Stekias dienen als Cafés, es gibt dort etwa Kulturveranstaltungen, Kinderbetreuung oder Sprachkurse. Für die zahlreichen neuen Kooperativen und selbstverwalteten Betriebe ist die von Arbeitern und Arbeiterinnen übernommene Fabrik von Viome das bekannteste Beispiel. Sie produzieren heute ökologische Reinigungsmittel und brechen mit der Logik konventionellen Unternehmertums: Das Eigentum kollektivieren und die Geschäftsführung demokratisieren lautet die Devise.
Im heutigen Griechenland bilden all diese solidarischen Projekte eine oftmals überlebenswichtige Infrastruktur der Alternativen. Sie helfen den Menschen, die Krise zu bewältigen – und zwar nicht alleine, sondern gemeinsam mit Nachbarn. Wirtschaft ist dabei nicht mehr ein Verhältnis zwischen einem machtlosen Individuum und einem abstrakten, allmächtigen System. Sondern etwas Lokales, Alltägliches, eingebettet in soziale Beziehungen.
Natürlich verstehen sich die meisten dieser solidarischen Projekte in Griechenland als politisch, und Solidaritätskliniken betreiben nicht nur Notversorgung, sondern auch Kampagnen für kostenlose Gesundheitsvorsorge. Aber die Gruppen an sich sind parteiunabhängig. Viele der Mitglieder sind bei Syriza und anderen linken Organisationen aktiv. Doch die Vereinnahmung lokaler Gruppen von oben gibt es bisher nicht. Syriza-Abgeordnete finanzieren aus ihren Diäten die Plattform Solidarity4All, welche solidarische Initiativen im ganzen Land unterstützt, doch die Empfänger bleiben autonom, Einmischung oder Koordination durch Funktionäre schließt das Selbstverständnis von Solidarity4All kategorisch aus. Eine der Herausforderungen für die Regierungspartei Syriza wird sein, dieses sehr spezielle Verhältnis zu den sozialen Bewegungen zu bewahren.
Das hat viel mit der Geschichte der Partei zu tun. Ohne soziale Bewegungen hätten die vielen verschiedenen Parteien und Gruppen der griechischen Linken 2004 nicht zum damaligen Wahlbündnis Syriza zusammengefunden. Die gemeinsamen Erfahrungen in nationalen und internationalen Bewegungen, wie etwa den Sozialforen, schufen ein gemeinsames Politikverständnis und das nötige Vertrauen zwischen den Aktivisten. Während der ersten Jahre blieb Syriza eine Kleinpartei, immer aber virulent bei den Gruppen, die 2011 die Massenproteste initiierten. Das Wechselspiel zwischen Bewegungs- und Parteiaktivisten, diese organische Art der Partizipation, verschaffte Syriza die Glaubwürdigkeit, als Partei neuen Typs und Gegnerin des etablierten Klientelismus von Konservativen und Sozialdemokraten aufzutreten. Als die Kleinpartei Syriza vor den Wahlen 2012 ankündigte, die nächste Regierung stellen zu wollen, da hievte sie die gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Zukunft der Krisenpolitik von der Straße auf die Ebene des Staates.
Knapp drei Jahre später stellt Syriza die Regierung. Damit bewegen sich Alexis Tsipras und seine Parteifreunde in einem enormen Spannungsfeld – nicht nur, weil sie auf die Kooperation mit den rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“ angewiesen sind. Das Programm von Syriza hat die Bewältigung der unmittelbaren Krise und zugleich eine langfristige Transformation zum Sozialismus im Blick.
Strom für 300.000
Um Ersteres drehte sich der Wahlkampf: Ein entsprechendes Sofortprogramm ohne Konsultation der Troika soll die von ihr verursachten Schäden beseitigen: 300.000 Menschen will Syriza wieder an das Stromnetz anschließen, Lebensmittelgutscheine an Hunderttausende Familien ausgeben, Niedrigstrenten erhöhen, eine vorläufige Wohnbeihilfe starten, den Mindestlohn wieder auf Vorkrisenniveau anheben und mit der dadurch steigenden Kaufkraft die Wirtschaft ankurbeln. Die Last überschuldeter Privathaushalte soll lindern, dass Rückzahlungsraten bei einem Drittel des Haushaltseinkommens gedeckelt werden. Dann bleibt nur noch die Reorganisation des Staates – allem voran die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Korruption.
Allein dieses Sofortprogramm stellt nach jahrelanger Austeritätspolitik in Europa einen massiven Bruch dar. Gelingt er, dann entsteht Raum für eine grundlegende gesellschaftliche Transformation. Die kann Syriza nicht von oben verordnen, sondern nur den Rahmen für die Entfaltung neuer Lebens- und Arbeitsformen aus den sozialen Bewegungen von unten bereitstellen. Das Selbstverständnis dafür hat die Partei: Syrizas längerfristige Regierungspläne basieren auf der Vorstellung, dass der Staat nur eines unter vielen politischen Kampffeldern ist. Regierungsmacht reicht nicht, um gesellschaftliche Machtverhältnisse aufzubrechen.
Es braucht dazu die Infrastruktur der Alternativen und den Druck der solidarischen Aktivisten auf die neue Regierung. Was es heißt, den Sozialstaat abseits von neoliberaler Deregulierung und paternalistischer Wohlfahrt zu organisieren, das müssen die beantworten, die eine kostenlose Gesundheitsversorgung fordern und praktische Erfahrungen in ihren selbstverwalteten Projekten gemacht haben. So können selbstverwaltete Betriebe und Kooperativen wertvolles Wissen zur längst überfälligen Neugestaltung des griechischen Genossenschaftsgesetzes bereitstellen.
Eine linke Regierung muss aus ihren Erfahrungen lernen und bessere Rahmenbedingungen für solidarisches Produzieren schaffen – die dann von den Bewegungen wieder mit Leben gefüllt und weitergeführt werden können. Aus den Erfahrungen der landwirtschaftlichen Kooperativen, urbanen Gärten und der Bewegungen ohne Mittelsmann kann sie Richtlinien für eine neue Agrarpolitik ableiten und Räume für weiteres Experimentieren schaffen.
Doch auch unter einer Syriza-Regierung sind die Perspektiven für eine grundlegende gesellschaftliche Transformation alles andere als einfach. Angesichts der herrschenden Kräfteverhältnisse, insbesondere in der Europäischen Union, erscheint die Aufgabe, vor der die griechische Linke, Syriza als Partei, die Bewegungen und die Menschen in Griechenland stehen, beinahe unmöglich. Ihr Erfolg mag sehr unwahrscheinlich sein. Doch dass sie überhaupt in der Lage sind, den Versuch zu wagen, gibt mehr Hoffnung, als die Linke in Europa seit Jahrzehnten hatte.
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Hier der Artikel vom Spiegel Nr.33 1952: Mehr ist nicht zu sagen!
AUSLANDSSCHULDEN
Jeden Tag ein paar Millionen
Ziemlich abgekämpft kehrte Hermann Abs, Direktor der Kreditanstalt für Wiederaufbau, vergangene Woche mit seiner Delegation von der Schuldenkonferenz aus London zurück. Von den Verpflichtungen, die er an der Themse 27 fordernden Gläubigerstaaten gegenüber eingegangen ist, weiß er selbst: "Sie werden auf Jahre hinaus für die Bundesrepublik eine schwere Bürde sein."
Der hochgewachsene Abs (dunkelblonder Schnurrbart) stand als Leiter der deutschen Schuldendelegation seit Monaten unter doppeltem Argumentendruck. Deutschlands Vorkriegsgläubiger berannten ihn in London mit ihren Ansprüchen, und aus Bonn drängte ihn die außenpolitisch motivierte Bitte seines Freundes Konrad Adenauer, die Frage der deutschen Schulden elegant zu lösen. Eingepaßt in des Kanzlers Vorleistungspolitik von Schuld und Sühne.
Hauptsächlichstes Handikap für die Abssche Verhandlungsführung aber war die Tatsache, daß die Amerikaner ihre zugesagte Herabsetzung der deutschen Nachkriegsschulden aus ERP- und Garioaleistungen von
* 3,5 Milliarden Dollar auf
* 1,2 Milliarden Dollar
"von einer Regelung der deutschen Vorkriegsschulden" abhängig gemacht hatten. Die Konferenz durfte also unter keinen Umständen platzen.
Schon an den Kurstabellen der Londoner Börse ließ sich ablesen, daß die Aussichten für die ausländischen Besitzer deutscher Papiere von Woche zu Woche günstiger beurteilt wurden. Nach Kriegsende 1945 war ein Bündel Dawes- oder Young-Anleihen *) nicht viel mehr wert als einen überhöhten Altpapierpreis. Noch vor einem Jahr kostete dann ein deutsches 100-Pfund-Papier etwa zehn Pfund. Heute aber notieren die deutschen Anleihen an der Londoner Börse mit runden 75 Pfund Sterling.
Denn im Laufe der Konferenz sickerten immer größere Zugeständnisse durch. Fast jeden Tag waren es ein paar Millionen, Am 23. Mai hatte der international anerkannte Bankier Abs das Fundament des deutschen Schuldenturms so skizziert, wie es die Experten der Frankfurter Notenbank errechnet hatten. Danach sah die Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik zur Bezahlung ihrer Schulden so aus:
* 170 Mill. DM jährlich an die Vorkriegsgläubiger,
* 310 Mill. DM, wie schon zugesagt, an die Nachkriegsgläubiger (ERP-Hilfe usw.),
* 12 Mill. DM an die Schweiz (Clearing-Forderungen aus dem Außenhandel während Weltkrieg II),
* 8 Mill. DM an Dänemark (Flüchtlingskosten).
Dazu war geplant: Kürzung der gesamten deutschen Reichsanleihen entsprechend der alliierten Teilung Deutschlands um 40 bis 50 Prozent der Nennwerte. Den Rest sollten sich die Gläubiger in Pankow und Warschau holen.
Für die in London versammelten Vorkriegsgläubiger standen also nach Herman Abs'' erstem Vorschlag 170 Mill. DM von den insgesamt jährlich aufzubringenden
500 Mill. DM zur Verfügung. Das wurde nach deutschen Berechnungen als "äußerstes Angebot" bezeichnet. Denn gleichzeitig hatte im Haag Professor Franz Boehm dem Staate Israel auf seine Reparationsforderungen jährliche Abschlagszahlungen von 100 Mill. DM angeboten.
Der Entrüstungssturm, der auf diese beiden deutschen Angebote hin im Gläubigerlager ausbrach, fegte in London sofort die Verstrebungen hinweg, mit denen Hermann Abs sein Angebot wetterfest machen wollte. Die Zahlungen könnten nur garantiert werden, so hatte er eingeschränkt, wenn einmal keine weiteren Reparationen verlangt werden, und zum anderen die Gläubigerstaaten handelspolitische Sicherungsklauseln zugestehen, um die deutsche Ausfuhr so auf der Höhe zu halten, daß aus den Exporterlösen Zinsen und Tilgung bezahlt werden können.
Aber die Deutschen kamen aus ihrer Verhandlungs-Zwangsjacke nicht heraus. Ihre Gesprächspartner zeigten sich überaus optimistisch über die Wirtschaftslage der Bundesrepublik informiert und bombardierten sie mit den Rosinen, die sie sich aus Statistiken und Zeitungen herausgesucht hatten. Gegen deutsche Einwände blätterten sie Zahlenmaterial über die vielen 1:1-Umstellungen des Kapitals deutscher Aktiengesellschaften auf den Tisch im Lancaster-House.
Zu Hermann Abs'' Unglück ergaben sich außerdem gerade während der Verhandlungsmonate im deutschen Außenhandel mit den Ländern der Europäischen Zahlungsunion laufend Überschüsse:
* Monat Mai 68 Millionen Dollar,
* Monat Juni 75,5 Millionen Dollar.
In Londons Lancaster-House interessierte es wenig, daß dieses günstige Bild auf schrumpfenden Einfuhren und abnehmenden Lagerbeständen basiert, die schließlich einmal wieder aufgefüllt werden müssen. Einstimmiger Chor der Gläubiger in London war: "Ihr könnt zahlen!"
Auf diese Weise ist das ursprüngliche deutsche Angebot systematisch am Boden zerstört worden. Der Druck der Gläubiger und der Wille Konrad Adenauers, international wieder salon- und der Wunsch des Hermann Abs, wieder kreditfähig zu werden, waren so stark, daß die Rechnung nach dem Abschlußkommunique vom vergangenen Freitag so aussieht:
* 340 Mill. DM (statt der ursprünglichen 170) jährlich an die Vorkriegsgläubiger,
* keine Kürzung der Reichsanleihen auf Grund der Ost-West-Teilung Deutschlands,
* kein Verzicht auf die rückständigen Zinsen, nur Erleichterungen durch Verlängerung der Rückzahlungsfrist und Zinsermäßigungen,
* Anerkennung auch bisher von der deutschen Delegation abgelehnter Forderungen, wie etwa die der Bank für internationalen Zahlungsausgleich.
Davon war die praktische Nichtanerkennung der Ost-West-Teilung Deutschlands der härteste Schlag. Aber auch in dieser Frage marschierten die Deutschen mit fester Route. Konrad Adenauer hatte ihnen eingeimpft: Die Bundesrepublik ist in vollem Umfange als Nachfolger des Reiches anzusehen, und daraus müssen alle Konsequenzen gezogen werden.
Hermann Abs hat diese Zugeständnisse nicht völlig ohne Gegenleistungen gemacht. Nach Einschaltung des amerikanischen Außenminister Dean Acheson erreichte er für die Young-Anleihe, daß sie nicht nach dem Goldgehalt, sondern auf Dollarbasis berechnet wird. Das sagt dem Laien nichts, bedeutet aber praktisch eine Abwertung der Young-Ansprüche um 40 Prozent, denn
* nach Goldgehalt müßten 7,11 DM,
* auf Dollarbasis aber nur 4,20 DM berechnet werden.
Außerdem gewährten die Amerikaner der Bundesrepublik für die Bezahlung der Nachkriegsschulden ein fünfjähriges Moratorium: erst ab 1958 soll mit den Rückzahlungen des amerikanischen Anteils an der gesamten Nachkriegshilfe der drei Westmächte begonnen werden.
Fazit der Londoner Konferenz ist also, daß neben fast voller Übernahme der alten Reichsschulden durch die Bundesrepublik, ohne Berücksichtigung der Ost-West-Teilung, die Jahreszahlungen allein an die Vorkriegsgläubiger von den ursprünglich 170 auf 340 Mill. DM jährlich verdoppelt wurden. Für Vor- und Nachkriegsschulden insgesamt müssen mindestens 600 Millionen aufgewendet werden (höchstes tragbares Angebot vom Mai waren 500 Mill. DM).
Und auch das nur in den ersten fünf Jahren, während des amerikanischen Moratoriums. Dann nämlich kommt das dicke Ende mit jährlich insgesamt etwa 750 Mill. DM, in Devisen zahlbar, die Westdeutschlands Handelsbilanz mit einer schweren Hypothek belasten.
Während unter den Londoner Gläubigerdelegierten manche Flasche Sekt auf das Ergebnis der Konferenz geleert wurde, versuchte Hermann Abs jetzt wenigstens alle weiteren Ansprüche des Auslandes aus der Zeit der beiden Weltkriege oder etwaige weitere Reparationen *) abzubiegen: "Ich möchte nochmals eindringlich darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik nicht in der Lage sein wird, den auf der Londoner Konferenz empfohlenen Schuldendienst durchzuführen, wenn sie auch noch solche Ansprüche des Auslandes erfüllen müßte."
Besonders ungünstig wirkten sich Hermann Absens Konferenz-Zugeständnisse
für die Deutsche Kalisyndikat GmbH. aus, die Träger der sogenannten Kali-Pfund-Anleihe aus den Jahren 1925, 1926 und 1929 ist. Diese Anleihen gingen damals an das Deutsche Kalisyndikat Berlin und wurden quotenmäßig auf die deutschen Firmen aufgeteilt. Bis 1939 flossen Zinsen und Tilgungen von den deutschen Unternehmen immer pünktlich an das Bankhaus Schröder, London.
Nach der Kapitulation aber verlor die deutsche Kaliindustrie einen großen Teil ihrer Gruben in Sachsen und Thüringen an die Sowjets. Insgesamt gingen 60 Prozent ihrer Förderkapazität verloren.
Deutschlands Kalimänner konnten ihren englischen Gläubigern klarmachen, daß ihre Zahlungsfähigkeit unter diesen Umständen ziemlich eingeschränkt ist. Die Briten zeigten sich verständig: Sie erklärten sich in den privaten Verhandlungen den deutschen Kali-Schuldnern gegenüber bereit, auf die Hälfte der rückständigen Zinsen zu verzichten und außerdem quasi als Anerkennung der deutschen Ost-West-Teilung die Dollarklausel zu annulieren, also statt des alten Kurses von 4,86 Dollar je Pfund, den heutigen von 2,80 Dollar anzuwenden.
Als aber in der letzten Verhandlungswoche das großzügige deutsche Angebot Hermann Abs'' im Lancaster-House bekannt und am vergangenen Freitag bestätigt wurde, da machten die Kali-Gläubiger, in der Angst, zuviel zugestanden zu haben, sofort einen Rückzieher.
Schleunigst zogen sie ihr Angebot, das bereits der Dreierkommission (USA, England, Frankreich) der Londoner Konferenz unterbreitet war, zurück. Jetzt verlangen sie ebenfalls eine hundertprozentige Erfüllung ihrer Kapitalforderungen. Londons Börsenkurse der Kali-Anleihe quittierten den für Deutschlands Kalifirmen schwarzen Freitag der vergangenen Woche mit Kurssprüngen von 98 auf 112 Punkte.
*) Hauptposten der Vorkriegsforderungen gegen das Deutsche Reich waren in London die 475 Mill. DM Dawes-Anleihe und die 780 Mill. DM Young-Anleihe, die Deutschland in den zwanziger Jahren zur Erfüllung seiner Reparationspflichten gegeben wurden. Hinzu kommen 501 Mill. DM Kreuger-Anleihe, sowie Schulden der Länder und Kommunen, Warenschulden und 2750 Mill. DM Privatschulden.*) In den Verhandlungen zum Generalvertrag hat Frankreich sich geweigert darauf zu verzichten, von einem wiedervereinten Deutschland Reparationen zu fordern.
DER SPIEGEL 33/1952
Es tut mir leid, dass mir nicht die Tränen kommen. Sicher gibt es, wie in jedem Land, Menschen, die wenig haben.Aber dass nun flächendeckend der Hunger ausgebrochen wäre, ist glatt gelogen.Ich kenne etliche Griechen, die hier studieren und das gemalte Szenario nicht bestätigen. Die meisten Griechen besitzen Immobilien, wer im Ausland gearbeitet hat, mindestens 2. Ausserdem werden auf dem Land nach wie vor billige Arbeiter beschäftigt, aus Bulgarien und den gängigen Fluchtländern. Im Palavern um Runkrakeelen sind die Griechen sehr gut. Wenn endlich flächendeckend Steuern eingeführt würden, könnte man anfangen zu verhandeln.
Dass die Reichen ihr Geld wegbringen, ist EU weit möglich, seit mit Unterstützung der Sozialdemokraten die entsprechenden Gesetze gestrichen wurden.