Biblisch begründetes Selbstbewusstsein

Dokumentiert Die Amerika-Debatte - "Freitag", Nummer 5 bis 13/1997

Als "beinahe komischen Vorwurf" empfindet der Sozialwissenschaftler Frank Unger den "Antiamerikanismus": "Wir haben immer gewusst, dass es mindestens zwei Amerikas gab, das der Herrschenden und das der überwiegenden Mehrheit". Mit "wir" meint Unger die Achtundsechziger. Auch der Politologe Jackson Janes aus Washington findet den "stereotypen Ausdruck ›antiamerikanisch‹" nicht sinnvoll: Kritik an den USA sei in der BRD eher Chiffre in der innenpolitischen Auseinandersetzung. Eigentlich scheint es dem Amerikaner gleichgültig zu sein, was die Deutschen über die USA denken. Ganz anders argumentiert der Publizist Rolf Winter, der das System der USA eine von "keiner Opposition gefährdete Plutokratie" nennt und als einziger an Indianervernichtung, Slums, an das Prinzip "hire and fire" gegenüber der arbeitenden Bevölkerung erinnert. Manche Autoren beschäftigen sich mit besonderen amerikanischen Erscheinungen: Konrad Ege weist auf das "biblisch begründete amerikanische Selbstbewusstsein" hin. Niels Boeing sieht im Erfolg des Hip Hop - dem Sound des Aufruhrs - die USA vielleicht noch ein letztes Mal als einen Prototyp, diesmal als "freudlose Schnittstelle zwischen der Ersten und der Dritten Welt". Die Lust, eine Lanze für New York zu brechen, haben Wolfgang Sabath und Irene Runge: ihnen geht es um die Menschen jenseits von Klischees. Nur der Ökonom Hans Thie erwähnt überhaupt den "Dollar als Weltgeld". Für ihn ist "der Geist des Kapitalismus in seiner Einheit von Selbstorganisation und Wolfsgesetz nicht nur zur Kultur, sondern zur Natur" geworden. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation stellen Torsten Wöhlert aus seinen eigenen Erfahrungen und Michael Jäger aus der Literatur und dem Vergleich heraus. Welche Perspektive die USA hätten, fragen beide rhetorisch, ohne eine Antwort zu wagen.

Das Motiv "Weltmacht" taucht zweimal auf. Horst Grunert, einst DDR-Botschafter in Washington, wundert sich, dass fast alle Staaten mit dem Anspruch der USA auf eine Führungsrolle in der Welt zufrieden scheinen. Seine ahnungsvolle, aber mild formulierte Skepsis: "Es besteht eine Situation, die nicht dauerhaft funktionieren kann. Politisch und militärisch auf ewig verbündet. Und zugleich auf dem Gebiet der Wirtschaft ein Kampf bis aufs Messer ... Die Aussichten sind nicht gut." Günter Verheugen, heute EU-Kommissar, bescheinigt den USA das Potential, an jedem Ort der Welt ihre Macht einzusetzen und ihren Willen durchzusetzen. Doch zum Glück, so schreibt er 1997, seien die USA "dadurch entscheidend begrenzt, dass Amerika eine Demokratie ist und keine Weltherrschaft anstrebt".

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