Big Deal

Karstadt/Quelle Ein sozialverträglicher Umbau wäre möglich

"Allen, die bis heute daran mitgearbeitet haben, das Fundament für eine lebendige Kultur der Nachhaltigkeit bei KarstadtQuelle zu legen", dankt Vorstandsmitglied Professor Dr. Helmut Merkel auf den Webseiten des Unternehmens. An anderer Stelle heißt es: "Nur gemeinsam mit unseren Mitarbeitern erreichen wir unsere Ziele." Derzeit dürften die meisten im Konzern beschäftigten Menschen kaum mehr als ein sarkastisches Lachen für solche Leitbilder übrig haben, denn die Ende September von "Europas größtem Warenhaus- und Versandhandelskonzern" vorgestellten Restrukturierungspläne betreffen nach Angaben der Gewerkschaft Verdi etwa ein Drittel der knapp 96.000 Beschäftigten.

KarstadtQuelle will sich auf den Kernbereich konzentrieren und Randaktivitäten abstoßen. Darunter versteht das Unternehmen beispielsweise seine Textilketten, Sportmärkte, Fitnesscenter oder die Logistikabteilung. Die Immobilien sollen in eine eigene Gesellschaft ausgelagert werden, die an die Börse gebracht oder anderweitig verkauft werden könnte. Außerdem waren 77 von gut 180 Warenhäusern zum Verkauf vorgesehen - hier ruderte der Konzern aber am vergangenen Wochenende bereits zurück. Im Versandhandel sollen die beiden Marken Quelle und Neckermann besser voneinander abgegrenzt und die Hauptkataloge zugunsten stärkerer Spezialisierung eingespart werden. Alles in allem erhofft sich KarstadtQuelle von diesen Maßnahmen einen "positiven Liquiditätseffekt von 1,1 Milliarden Euro in den Jahren 2004 und 2005". Allerdings werde die Restrukturierung das "Ergebnis des laufenden Geschäftsjahres einmalig mit bis zu 1,4 Milliarden Euro belasten". Zeitgleich wurde eine Kapitalerhöhung angekündigt, um die Schulden (3,3 Milliarden Euro zum 31. Dezember 2003) zu senken und die Eigenkapitalbasis zu stärken. Großaktionäre wie die Allianz sowie die Schickedanz-Familie wollen die Kapitalerhöhung wohl mittragen. Was die Gewerkschaft Verdi mittragen wird, ist bislang offen. Sie befürchtet bis zu 10.000 Kündigungen, weitere 20.000 Angestellte könnten von Umstrukturierungen betroffen werden.

Angesichts der Situation im Einzelhandel kann es nicht völlig überraschen, dass auch KarstadtQuelle Probleme hat. Deutschland verfügt über mehr Verkaufsfläche pro Kopf der Bevölkerung als jedes andere europäische Land - etwa doppelt so viel wie in Frankreich und das Dreifache der in Großbritannien verfügbaren Fläche. Ein beträchtlicher Teil der Verkaufsstätten ist spätestens dann nicht mehr rentabel, wenn die Einkommen der Kunden und der Absatz stagnieren. Und das ist schon seit längerer Zeit der Fall. Der Umsatz im Einzelhandel betrug 1992 (ohne Tankstellen und Apotheken) 362 Milliarden und elf Jahre später 372 Milliarden Euro. Der Anteil des Einzelhandels an den privaten Konsumausgaben ist seit 1991 kontinuierlich von damals 42,2 Prozent auf knapp 30 Prozent im vergangenen Jahr gesunken. Dieser Prozess hatte bereits Folgen, die weit über das hinausgehen, was nun bei KarstadtQuelle zu befürchten ist. Nach Angaben des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE) sind seit 1999 rund eine Million Stellen gestrichen worden.

Bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit und zunehmend prekärer Lebenssituation für immer mehr Menschen wird der Einzelhandel auch künftig unter Druck bleiben. Der Handlungsspielraum wird allerdings noch enger, wenn man merkwürdige Entscheidungen trifft. Der von Karstadt selbst als strategisch und erfolgreich qualifizierte Bereich "Online-Handel" soll 1.000 Mitarbeiter abbauen und weitere 1.000 ausgliedern. Dem halten die Betriebsräte entgegen: "Wenn die Marken Quelle und Neckermann auch durch Neuausrichtung wieder Umsatzanteile gewinnen sollen, ... dann erfordert das qualifiziertes und engagiertes Personal. Diese Neuausrichtung kann nicht mit Kahlschlagpolitik beim Personal begleitet werden." Außerdem darf die verbreitete These vom schwer angeschlagenen Konzern bezweifelt werden. Schließlich hatte KarstadtQuelle im Geschäftsjahr 2003 noch einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von 886 Millionen Euro, aus dem dann erst durch Abschreibungen ein Jahresfehlbetrag von 1,4 Milliarden wurde. Und zum Stichtag 31. Dezember 2003 waren in der Bilanz noch Finanzanlagen in Höhe von 4,9 Milliarden Euro ausgewiesen. Ein Big Deal mit den Beschäftigten, ein sozialverträglicher Umbau des Konzerns, wäre also möglich.


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