Es ist ein gutes Jahrzehnt her, dass der Skandal um das katholische Canisius-Kolleg in Berlin losbrach. Jahrzehntelang waren dort Schüler der sexualisierten Gewalt von Padres ausliefert. Zwar waren schon vorher solche Fälle aufgekommen, dieser aber brach ein Siegel: Immer mehr Opfer solcher Taten im Kontext kirchlicher Institutionen wagten sich an die Öffentlichkeit. Die Kirche aber versagte oft. Nun steht gar der emeritierte Papst Benedikt XVI. im Fokus, der wenig Einsicht zeigt.
Infolge dieser Skandalkette gerieten konfessionelle, speziell katholische Schulen ins Zwielicht. Wäre es nicht Zeit, unter den vielen Privilegien der Kirchen besonders das der Schulträgerschaft zu überdenken? Höchste Zeit für die Trennung von Staat und Kirche im Bildungsbereich?
Die Forderung wirkt folgerichtig, aber nur auf den ersten Blick. Man kann sein Urteil dabei getrost auf die Empirie der Anmeldeformulare bauen. Allgemein sinkt das Vertrauen in die christlichen Religionsgemeinschaften zwar rapide: Laut einer Forsa-Umfrage vertrauten 2019 nur noch 14 Prozent der katholischen Kirche – sicher auch wegen der Missbrauchsproblematik. Doch obwohl Eltern hierfür hoch sensibel sind, unterrichten Schulen in christlicher Trägerschaft weiterhin Hunderttausende Kinder und Jugendliche.
Abzüglich der berufsbildenden und der sogenannten Bekenntnisschulen – konfessionelle Bindung bei staatlicher Trägerschaft – unterhalten die Evangelischen Kirchen etwa 630 allgemeinbildende Schulen, die laut EKD die Nachfrage nicht bedienen können. Und auch die 690 allgemeinbildenden katholischen Schulen haben keinen Nachwuchsmangel. Ihre Anzahl ist seit Jahren konstant, während die Zahl der staatlichen Schulen sinkt.
Warum wählen Eltern Konfessionsschulen?
Dass Eltern Konfessionsschulen wählen, hat verschiedene Gründe. Eine religiöse Bindung ist oft nachrangig. Sicher spielt auch ein Wunsch nach sozialer Abgrenzung eine Rolle. Doch jenseits dessen sind diese Schulen oft einfach gut. Manchmal haben sie ein besonderes pädagogisches Profil. In einschlägigen Foren finden sich viele Berichte über ein engagiertes, humanistisches Schulklima, während Klagen über konfessionelle Hartleibigkeit alter Sorte selten geworden sind.
Die anhaltende Beliebtheit dieser Schulen zeigt auch die Defizite des unterfinanzierten öffentlichen Schulsystems. Allen Sonntagsreden zum Hohn sind staatliche deutsche Schulen im europäischen Vergleich schlecht ausgestattet. Zumal in Ostdeutschland ziehen sich die staatlichen Schulen geradezu aus der Fläche zurück. So beträgt der Anteil der Schulen in freier Trägerschaft in Sachsen mittlerweile rund ein Viertel, bundesweit sind es elf Prozent. Und beim Schulgeld sind die oft stiftungsfinanzierten konfessionellen unter den privaten Schulen nicht selten die zugänglichsten.
Kirche und Staat sind im Grundgesetz nicht völlig getrennt. So bezieht sich das „Sonderungsverbot“ für freie Schulen nicht etwa auf die Religion. Es soll nur sicherstellen, dass die Schulwahl nicht von Besitzverhältnissen abhängt. Ist das untolerierbar anachronistisch? Viele konfessionelle Schulen nehmen inzwischen Nichtgetaufte auf, längst nicht alle veranstalten verpflichtende Andachten. Zudem stimmt es zwar, dass auch andere Glaubensgemeinschaften das in Artikel 7, Absatz 4 des Grundgesetzes verankerte „Recht zur Errichtung von privaten Schulen“ nutzen können. Das wäre ein Argument gegen Konfessionsschulen, wenn ein Zerfall der Bildungslandschaft nach Religionszugehörigkeit drohte. Doch bundesweit gibt es neben den christlichen nur 16 jüdische und einzelne islamische Schulen.
Die Kirchen gehören zu dieser Gesellschaft. Man mag der Meinung sein, sie müssten vom Staat sauberer unterschieden werden. Es ist aber keine gute Idee, so große Fragen zuerst im Schulsystem lösen zu wollen. Wer Konfessionsschulen fürchtet, soll die staatlichen attraktiver machen. Und Kindesmissbrauch droht überall, wo Strukturen es Pädokriminellen leicht machen.
Kirchlich ist oft besser
Kommentare 5
Die Kirchen haben es schon immer verstanden, mit ihrer Gewalt gut dazustehen.
Die Kirche, mit ihren ganzen Problemen und Pannen, bietet trotzdem etwas was man nicht an jeder Ecke findet, Ethik. Natürlich gibt es auch andere Quellen für Werte und ethisches Handeln. Dennoch, vielleicht sind ja diese nicht so einfach aufzutun und wohl oft genug philosophisch unscharf und somit schwer erkennbar. Oder z.B. die Esoterischen, bemühen die Weiten des Universums, welches eh kaum einer so richtig versteht und eher Ratlosigkeit wie denn Konzepte hinterlässt. Da ist so eine Sache mit den 10 Geboten, flankiert von einer Reihe von Gleichnissen, schon sehr klare Kannte, gut verständlich.Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Quelle No. 1 für Menschlichkeit immer noch die Familie ist. Der Grad des Mitgefühls, Hilfsbereitschaft und sozialer Kompetenz wird da bestimmt. In welcher Schule auch immer ein Kind geht, Defizite Zuhause tun trotzdem ein ganzes Leben weh.
Der Artikel beschreibt ein Problem, das mich seit Jahren umtreibt. Ich habe neun Jahre an einem staatlichen Gymnasium in NRW gearbeitet und musste zu Abiturprüfungen ein- bis zweimal pro Jahr in eine Waldorfschule und habe auf diese Weise mehrere kennengelernt. Schon beim Hineingehen umweht einen eine andere Atmosphäre. Allein das auf Funktionalität und auf Sparsamkeit getrimmte äußere Erscheinungsbild vieler staatlicher Schulen (Grünanlagen mit Kunstrasen oder Schottersteinen, aus denen zwei bis drei Gräser rausgucken; die städtischen Grünanlagenpfleger wüten zum Teil wie die Berserker, ohne vorherige Rücksprache mit der Schulleitung) wirkt sich auf jeden Fall auf Einstellungen, Motivationen und Befindlichkeiten der sich dort, teilweise 8 Zeitstunden pro Tag, aufhaltenden Menschen. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen müssten in jedem Klassenzimmer mindestens drei große Grünpflanzen stehen, die auch in den Ferien regelmäßig gepflegt werden. Das hat natürlich was mit den Verantwortlichkeiten der Verwaltungsebenen zu tun, aber es ist mega traurig, dass sich daran seit Jahrzehnten nichts ändert. Mal ganz abgesehen von der technischen Ausstattung. In einem 800-Schüler-Gymnasium sind vor ein paar Jahren nach einer technischen Kontrolle ganze ZWEI Overheadprojektoren für die ganze Schule übrig geblieben (ich finde OHP total gut). Eltern streichen die Wänder in der Grundschule ihrer Kinder neu. Den Schülertoiletten wird das Toilettenpapier vorenthalten, weil sonst Verstopfungen drohen. Wahnsinn und Kopfschütteln in diesem reichen Land, das den Schulen in privater Trägerschaft das Geld hinterherwirft.
Herr Amendt legt den Finger in die richtige Wunde.
Allen Sonntagsreden zum Trotz werden die staatlichen Schulen nicht besser ausgestattet. Weder mit Lehrern, noch mit technischem Gerät oder - wie oben bemerkt - mit lernfördernder Atmosphäre.
Sicher gibt es auch lobenswerte Ausnahmen, aber oft stehen hinter ihnen Förderkreise aus ehemaligen Schülern, also auch wieder Privatinitiative, die oft schneller und unbürokratischer entstehender Not abhelfen kann.
Dahinter steht ein ähnliches System wie hinter den Krankenhäusern und ihren Fallpauschalen: messbare Ergebnisse, Schülerzahlen und erreichte Noten, bzw. Qualifikationen bestimmen über Fördersummen - ganz im Sinne der von den Machern der Bolognareform gewollten Nivellierung von Bildung.
Die zunehmende Privatisierung von Bildung wird hierbei angestrebt. Die Zertifizierer sind ohnehin schon privat. Für Menschen, die weiterhin nichts für die Bildung ihrer Kinder ausgeben wollen oder es nicht können, wird im Laufe der Zeit eben nur noch das Mindestmaß an notwendiger Schulbildung zugemessen werden. Bildung war vor langer Zeit einmal ein Begriff, der etwas umfassendes meinte. Reisen bildet, hieß es. Heute ist Bildung in Credits aufgeteilt und erschöpft sich meist darin.
"In einschlägigen Foren finden sich viele Berichte über ein engagiertes, humanistisches Schulklima, während Klagen über konfessionelle Hartleibigkeit alter Sorte selten geworden sind."
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https://www.youtube.com/watch?v=hx4AVlq5yvo
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!
https://www.caritas.org/
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