A–Z Wie sieht die Doppelhelix bei Zoom aus? Früher sollte der Stoff möglichst schnell in die Köpfe gehämmert werden, in Corona-Zeiten ist das schwierig. Unser Wochenlexikon
Asterix Dass es Latein als Sprache überhaupt gibt, habe ich durch Asterix-Alben erfahren. Cäsars Sentenzen über gefallene Würfel und das Kommen, Sehen und Siegen bekamen erst durch das Latein die nötige Gravitas, ob nun wegen der Sternchen, die zur Übersetzung am unteren Seitenrand führten, oder wegen der auf Nachfrage von der Elternschaft phonetisch korrekten Deklamation. Mit den Sinnsprüchen von Dreifuß, dem offenbar in Altphilologie firmen Piraten, der zu jedem Untergang des Schiffes einen passenden Kommentar in Latein parat hat, schien die Sprache dann auch für philosophische Fragen über Sinn und Unsinn des Daseins das geeignete Werkzeug zu sein. Später fiel mir auf, dass gewisse Redenschwinger, Lehrer wie Politiker, ihren Vo
gewisse Redenschwinger, Lehrer wie Politiker, ihren Vorträgen gerne auch Latein beimischten, wohl um Eindruck zu schinden. Die regelmäßige Asterix-Lektüre hatte mich jedoch bereits verdorben. Mit René Goscinnys Universum vor Augen erschienen diese Manöver nur lachhaft. Marc OttikerBBocksprung Meinen ersten Hexenschuss hatte ich mit acht. Es passierte beim Bockspringen, genauer gesagt beim T-Bock. Ich strandete mit Iliosakralgelenk-Blockade neben der Matte. „Aufstehen und lächeln“, sagte die Lehrerin, Spitzname: „Eiserne Lady“. Sie hatte ihr Hobby zum Beruf gemacht. In der Freizeit trainierte sie die Leistungsturnerinnen des örtlichen Sportvereins, vermutlich war sie nur im Schulbetrieb, um Nachwuchs für die Wettkampfriege zu rekrutieren. Aber wir blieben Laiendarstellerinnen beim demütigenden Schauspiel zwischen Schwebebalken und Reck. „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“, gemeint ist: die Arbeitswelt. Da wimmelt es von Sportmetaphern, nach dem Sprung ins kalte Wasser boxt man sich durch, um die „Karriereleiter“ zu erklimmen. Vom T-Bock-Bezwingen bleibt man selbst dort verschont. Martina Mescher CChromatische Tonleiter In der Grundschule begann unser Tag mit Rechenexerzitien: Im Eiltempo multiplizierten oder dividierten wir endlose Zahlenreihen, bis das so ins Hirn Gebläute noch im Schlaf repetiert werden konnte. Allgemeines Aufatmen, wenn wir zum Morgensingen übergingen, ebenso unerbittlich streng überwacht. In den unruhigen Gewässern der folgenden Bildungsexperimente rückte das Musische zugunsten unserer verwertbaren Zurichtung immer mehr in den Hintergrund. Dass Musik ein Kind der Mathematik ist, lernten wir nicht über Anschauung oder Ausübung, sondern indem wir die Klaviatur der chromatischen Tonleiter hoch- und runterleierten, in jeder Tonart von Halbton zu Halbton stolpernd. Was plagten wir uns mit den kreuz- und b-bewehrten Noten und Fähnchen, mit dem Quintenzirkel und den Merksätzen für die Zahl der Vorzeichen: „Geh du alter Esel hol Fisch“, ist von diesem Steinbruch bei mir übriggeblieben. Aus der musikalischen Karriere wäre aber sowieso nichts geworden, denn mein Gitarrenlehrer interessierte sich mehr für meine Freundin als für meine Fortschritte. Ulrike Baureithel DDesoxyribonukleinsäure, also DNS beziehungsweise DNA (für „acid“) ist ein Wort, das ich im Schulunterricht gelernt habe und nicht vergessen kann. Ähnlich verhält es sich mit Adenosintriphosphat (ATP). Das ist, glaube ich, eine Art Energie, die mystisch durch Muskeln und Pflanzen fließt. Sie sehen: Ich habe keinen Schimmer, aber die Wörter klingen sehr schlau. Ein Running Gag im Netz ist, dass mancher Jahre nach dem Abschluss Sätze wie „Die Mitochondrien sind das Kraftwerk der Zelle“ nachbeten kann, aber lebenspraktisch wenig gelernt hat. So ging es mir auch. Ich war nie schlecht in Biologie, weil ich mit Wörtern umgehen konnte (➝ If-Clauses). Bestanden, nicht verstanden. So wollte es das System. Konstantin NowotnyEEinholen Schulkarrieren hatten sich in den Kurzschuljahren 1966/67 beschleunigt. Der Abstand zur Oberstufe (auch zu den beiden älteren Brüdern) verkürzte sich. Hatte da heimlich Walter Ulbricht („Überholen ohne einzuholen“) seine Hand im Spiel? Mein Lateinlehrer stöhnte mehr als wir (➝ Asterix). Wie sollte er den „Stoff“ in kürzerer Zeit in unsere Köpfe kriegen? Hätten wir gewusst, dass er über bukolische Dichtung zu Kaiser Neros Zeiten promoviert hatte, wir hätten von ihm auch für erste Schäferstündchen gelernt. In 18 Monaten stemmten wir den „Stoff“ von zwei Jahren. Ein halbes Jahr weniger bot für alle etwas mehr. Wir haben nicht gestöhnt. Hans HüttIIf-Clauses Kürzlich habe ich versucht, eine neue Sprache zu lernen, und mich nach Möglichkeiten umgeschaut. Auf dem Youtube-Kanal eines Sprachlern-Experten, der sechs Sprachen spricht, wurde mir Erstaunliches geraten: „Lernen Sie die Grammatik frühestens, wenn Sie die Sprache schon einigermaßen fließend beherrschen.“ Davor bringe sie einen nur durcheinander. Man soll die Sprache „erwerben“, nicht lernen. Wofür habe ich mich dann zwölf Jahre lang im Englischunterricht mit If-Clauses und Past Participles gequält? Und was kann ich davon noch? Mir schwant, der Polyglotte könnte recht haben. Ich spreche fließend gutes Englisch, die Grammatik habe ich allerdings fast vollständig vergessen. Meine Mutter hingegen, Englischlehrerin, spricht ungern, kennt aber alle Regeln. Und mal ehrlich: Wie viele deutsche Muttersprachler können erklären, was ein Plusquamperfekt ist? Oder diesen Begriff überhaupt schreiben? Na also. Konstantin NowotnyNNS-Zeit Wir hörten in der 4. Klasse das erste Mal von der Zeit des Nationalsozialismus. Es ging um Widerstand, nur den der Kommunisten, die in ehemaligen Konzentrationslagern gesessen hatten. Wir sahen Aufnahmen aus Buchenwald oder Sachsenhausen. Ich erinnere mich an Leichenhaufen, Skelette. Bilder, die mich erschlagen haben. Es war anonym, abstrakt, dieses Grauen. Erst viele Jahre später habe ich erfahren, dass der Vater meines Opas Jude war, seine „arische“ Mutter hielt ihren Mann eine Weile im Keller versteckt. Ich wollte mehr wissen, mein Opa erzählte von seiner Schulzeit, als ihn der Nazi-Lehrer fragte: „Leinkauf, Ihr Vater ist doch Jude, oder?“ Hinterher wollten ihn Mitschüler verprügeln, aber er war der schnellere Läufer. Beiläufig sagte er, dass seine Mutter eine der Frauen der Rosenstraße war, die Ende Februar 1943 vor Gebäude Nr. 2 – 4 protestierten, um ihre Ehemänner, Juden aus den sogenannten „Mischehen“, zu befreien. Ausnahmsweise klappte das. Maxi LeinkaufOOxidieren Chemie ist das, was knallt und stinkt: Oxidation ist eine chemische Reaktion, die besonders gern im Unterricht demonstriert wird. Denn das ist in unkomplizierten Experimenten möglich. Dabei gibt der oxidierende Stoff Elektronen an das Oxidationsmittel ab. Historisch zuerst wurde die Oxidation durch die Reaktion mit Sauerstoff entdeckt und so auch gezeigt: Man zündet etwas an. Schüler halten ein mit Zucker und Asche gefülltes Reagenzglas über den Brenner. Dabei beobachten sie, wie sich der weiße Süßstoff in eine schwarze Masse verwandelt. Er oxidiert – und ruiniert das Reagenzglas. Einen Aha-Effekt erzeugen Lehrer durch das Verbrennen von Magnesium, bei dem ein gleißendes Licht entsteht. Tobias PrüwerPProduktion Schon Kinder sollten in der DDR ein Verständnis von Arbeit und Produktion entwickeln. Daher waren die Schulen für den sogenannten polytechnischen Unterricht ausgelegt. In unteren Klassenstufen vermittelten Werken und Schulgarten den Sinn von Handarbeit. Ab der 7. Klasse wurden drei weitere entsprechende Fächer gelehrt. Das Technische Zeichnen war ebendiesem gewidmet. Für das Fach Produktive Arbeit gingen wir Schüler direkt in die Betriebe, lernten zum Beispiel Feilen, oder wurden in der Landwirtschaft eingesetzt. Dieser praktische Unterricht diente auch der Nachwuchsgewinnung. Den Theorieteil bildete schließlich die Einführung in die sozialistische Produktion. Man lernte diverse Prozesse kennen und hörte von Automatisierung und Informatisierung. Tobias PrüwerSStoff Hätte ich damals je Zum Blauen Bock gesehen, hätte ich mit dem hessischen „Stöffsche“ geliebäugelt, auch wenn ich dem Geschmack von Apfelwein nie etwas abgewinnen konnte. Für das Lehrpersonal war der Stoff eine noch weitgehend unregulierte Möglichkeitsmenge, an der wir zusammen wuchsen oder scheiterten: Die Lehrpläne ließen in den 1960ern viel mehr Freiheiten. Ein Zentralabitur mit landesweit gleichen Aufgaben gab es nicht. Oberstudienrat K., der Mathematik, Physik und Sport unterrichtete, kochte für uns in der ersten Physikstunde auf dem Bunsenbrenner etwas Wasser auf und fasste den Wechsel des Aggregatzustands in dem Satz zusammen: „Die Brühe südet.“ Hans HüttWWeltanschauung Mein Staatsbürgerkunde-Lehrer hatte ein kantiges Gesicht, gekrönt von einem zackigen Bürstenschnitt, einen weißen Kittel, in dessen Brusttasche immer ein Kugelschreiber seine Tinte verlor. Er brachte uns Sätze bei wie: „Ernst Thälmann war die Vorhut der Arbeiterklasse.“ Daraus wurde unter verdruckstem Gekicher eine Vorhaut. Als obligatorisches Schulfach wurde Staatsbürgerkunde – kurz Stabü – 1957 in der DDR eingeführt. Ab der 7. Klasse sollten wir, im Sinne der SED, ideologisch erzogen werden. Marxistisch-leninistische Auffassungen bestimmten die Inhalte des Fachs; als zentrale Inhalte sollten Kenntnisse über ökonomische und gesellschaftspolitische Vorgänge in der DDR vermittelt werden. Die Jugend sollte zu sozialistischen Staatsbürger*innen mit einer tiefen Liebe zu ihrem Staat und leidenschaftlichem Hass gegen die sogenannten imperialistischen Feinde erzogen werden. Dann kam der November 89, und die Lehrpläne wurden außer Kraft gesetzt. Elke AllensteinZZwitschern In einer Zeit, als das Zwitschern den Vögeln zugeordnet war und nicht für das Verteilen von Kurznachrichten unfähiger Wichtigtuer stand, streiften noch ganze Schulklassen durch die Haine, um die Vogelwelt in der realen Welt zu studieren. Auch ich gehöre zu dieser glücklichen Generation. Die Eichelhäher, Stieglitze, Dompfaffen, das Rotkehlchen, der Kuckuck, Amseln, Drosseln, Finken und Stare wurden einerseits im Klassenzimmer halbherzig besungen, andererseits im freien Feld beobachtet, bestimmt und – wenn auch sehr unbeholfen – sogar gezeichnet. In welchen Farben leuchtet der Federschmuck? Wie unterscheiden sich Männchen und Weibchen? Welche Klangbilder schallen von wem durch die Flure? Erstaunliche Lehrstunden fürs Leben, kaum etwas ist lebendiger und deutlicher aus der Schulzeit in Erinnerung geblieben. Marc Ottiker
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