Billig-Kaufhäuser unter freiem Himmel

Privatisierung In Berlin sollen die Wochenmärkte privatisiert werden. Hässliche Ramschbuden werden Einzug erhalten und man wird sich fragen: Wann kommt Grillo?
Ausgabe 23/2013

Vor 30, 40 Jahren gab es manch spöttisches Geplauder über den imaginären Stadtrat, der angeblich plane, die zentral gelegene große Kirche in ein Parkhaus umzuwandeln. Zumal unter der Woche werde dann das Gotteshaus mit Autos besser gefüllt sein als mit Christen. Sofern der Spott einen realen Kern enthalten haben sollte, eine düstere Prophezeiung, so hat sich die Befürchtung längst erledigt. Zwar sind die Kirchen seither noch leerer geworden, aber der Respekt vor den alten Gebäuden ist derweil in strenge Vorschriften eingegangen. Der Schutz von Sachen hat zugenommen.

Älter als die Kirchen sind vielerorts die Märkte. Um die Märkte herum entwickelten sich die Städte. Die Städte bauten sich Kirchen, behielten aber die Oberaufsicht über das, was in den Mauern geschah. Die Wendung „Stadtluft macht frei“ bezog seinen Wahrheitsgehalt sicherlich eher von den Märkten als von den Kirchen her. Wenn man in aktuellen Stadtplänen vom „Buttermarkt“ oder vom „Fischmarkt“ liest, erhält man einen Hinweis auf das Alter und den Rang des Gemeinwesens.

Rot-Grün dafür, CDU dagegen

In Berlin, im wohlhabenden Westen der Stadt, sollen jetzt die Wochenmärkte privatisiert werden. SPD und Grüne wollen das unbedingt. Das bedeutet, bei den Marktgeschäften wird eine neue Ebene eingezogen: der Inverstor, der die Kaufkraft der Bevölkerung abschöpfen will. Die Stadt muss natürlich weiter verdienen, der Händler muss weiter verdienen, zusätzlich soll der Investor verdienen. Zahlen tut derjenige, der in den Augen der Verwaltung vom Bürger zum Konsumenten degradiert ist.

Damit der Investor verdienen kann, hat er weitgehend die Kontrolle darüber, was auf dem Markt angeboten wird – schon aus Platzgründen. Dort, wo die Privatisierung schon erfolgt ist, haben bereits hässliche Ramschbuden Einzug gehalten. Der Bauer, der im Herbst mit vier Körben Pilzen anrückt, die seine Familie erst am Morgen gesammelt hat, wird bald verschwinden. Was übrig bleibt, ist ein Billig-Kaufhaus unter freiem Himmel.

Noch ist die CDU dagegen, vielleicht nur, weil sie in den Bezirken derzeit in der Opposition ist. Hier kann man also nicht den aktuellen Lieblingschor dieses Sommers anstimmen, dessen Refrain lautet: „Merkel ist schuld“. Argumentiert wird mit Kostengründen. In einem Bezirk, heißt es, gebe es 138 Vollzeitstellen für die Marktregelung. Vielleicht würden es weniger auch tun. Ob ein Investor die sich auch leistet? Sicher nicht, wenn demnächst Märkte von Frankfurt oder London aus verwaltet, das heißt, kontrolliert werden. Spätestens dann wird man sagen: „Die Merkel ist schuld.“ Wann kommt Grillo?

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