Billig, willig und fleißig

Mindestlohn-Debatte Wenn die Lohnarbeit so transnational wird, wie es das Kapital schon lange ist

Lange Zeit wurden sie wohlwollend zur Kenntnis genommen, die zumeist polnischen Saisonarbeiter. Was aus deutschen Landen frisch auf den Tisch kommt, pflücken und schneiden sie in Zehn- oder Zwölf-Stunden-Schichten für die berüchtigten drei Euro pro Stunde. Das heimische Agro-Business, euphemistisch als "Bauern" bezeichnet, ist des Lobes voll über den pflegeleichten Charakter dieser billigen, willigen und fleißigen Arbeitskraft.

Neuerdings ist die zweifelhafte Idylle freilich in Frage gestellt. Zum einen möchte die deutsche Arbeitsverwaltung endlich den immer einmal wieder ins Spiel gebrachten Plan verwirklichen, ihre Langzeitarbeitslosen zur Fronarbeit auf die Felder zu schicken, um die Statistik zu schönen. Zwangsweise billig, aber nicht willig - das gefällt natürlich den Landwirten gar nicht. Zum anderen sind es inzwischen nicht mehr bloß die altbekannten Erntehelfer, die aus den EU-Beitrittsländern nach Westen strömen, um die vereinbarte Dienstleistungsfreiheit zu nutzen. Polnische, tschechische oder ungarische Billiglöhner haben in Schlachthöfen und Baukolonnen, an Supermarktkassen, als Busfahrer oder im Gastgewerbe viele tausend Arbeitskräfte verdrängt. Die Übergangsbestimmungen zum Schutz des westeuropäischen Arbeitsmarktes nach der EU-Osterweiterung werden durch die Gründung so genannter Ein-Mann-Betriebe umgangen.

Es ist die Krisenkonkurrenz der Lohnarbeit, die innerhalb der erweiterten EU so transnational wird wie das Kapital selbst. In ganz Osteuropa ist nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus eine derart große und nicht mehr sozialstaatlich gepufferte Massenarmut entstanden, dass sich fast alle für fast alles hergeben, um überleben zu können. Im Übrigen war die Osterweiterung keine Erweiterung des Euro-Währungsraums, das Wechselkursgefälle existiert weiter - ein Wettbewerbsvorteil der osteuropäischen Lohnarbeit, weil man für fünf Euro in Polen wesentlich mehr kaufen kann als hierzulande.

Nun denkt ausgerechnet Edmund Stoiber laut über ein Thema nach, das die Gewerkschaften schon lange diskutieren - den gesetzlichen Mindestlohn. Die Forderung ist allerdings zweischneidig, wenn der Mindestlohn zu weit unter den Tariflöhnen liegt. Die USA sind ein abschreckendes Beispiel dafür mit ihrem gesetzlichen Mindestlohn von umgerechnet 731 Euro bei einem wesentlich höheren Preisniveau. Ein derart "garantierter" Hungerlohn drückt das allgemeine Lohnniveau und sorgt jenseits des Atlantik für viel "beschäftigte Obdachlosigkeit".

Trotzdem sollte Stoiber, der natürlich nur an die bevorstehenden NRW-Wahlen denkt, beim Wort genommen werden; nur anders, als ihm lieb sein kann. Das Verlangen nach einem Mindestlohn hat den Vorteil, dass es die Abwehr von rassistischer und fremdenfeindlicher Hetze unterstützt. Vor allem jedoch muss - wenn eine solche Forderung nicht wie in den USA wirken soll - der Mindestlohn ein anständiges Leben auf dem historisch erreichten "moralischen Niveau" (Marx) der sozialen Reproduktion ermöglichen. Die von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) geforderten 1.500 Euro monatlich bei tariflich beschränkten Arbeitszeiten gehen schon in die richtige Richtung. Schließlich wird ein menschenwürdiger Mindestlohn mit Sicherheit nicht als Wahlkampfgeschenk aus den Händen der politischen Klasse zu empfangen sein. Er kann nur durch eine soziale Bewegung erkämpft werden, die realen Druck ausübt und sich nicht auf symbolische Manifestationen beschränkt. Wenn die Gewerkschaften in diesem Sinne über ihren Schatten springen und zu mobilisieren wagen, könnte der Kampf für einen angemessenen Mindestlohn jene soziale Widerstandslinie gegen Massenverarmung und Entzivilisierung markieren, nach der bislang vergeblich gesucht wird. Stoiber wird dann sicher nicht mehr dabei sein.


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Geschrieben von

Robert Kurz

Publizist und Journalist

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