Biokapitalismus und Askese

Drogen III Es mehren sich die Anzeichen, dass ohne Drogen keine allzu großen Werke geschrieben werden
Ausgabe 15/2016
Hemingways Werk ohne Alkohol? Was für eine Schnapsidee
Hemingways Werk ohne Alkohol? Was für eine Schnapsidee

Foto: Leemage/Imago

Nun auch noch Stuckrad-Barre. Der letzte prominente Druffi ist clean – und gibt prompt den Kritiker der Elche: Sucht sei „Vollspießertum“, sagte er in einem Interview zu seinem neuen Buch. Statt Koks zu schaufeln, macht er nun Dauerlauf, angeblich gleich zweimal am Tag (eine Dosis, die sich allerdings noch steigern ließe). Womit Benjamin von Stuckrad-Barre natürlich ganz auf der Höhe unserer Zeit ist, denn wo man sich einst dem Exzess hingab, da streben wir neuerdings nach exzessiver Ertüchtigung und reinigender Askese.

Stellen Sie sich nur mal vor, ein Raucherclub wie die Gruppe 47 träfe sich heute in einem dieser Öko-Resorts: Günter Grass ohne Pfeife! Böll und Johnson in der Yogajurte! Ja, der Biokapitalismus erzieht selbst noch den Schriftsteller zur Enthaltsamkeit – jenen Highflyer, der den Niederungen des Nützlichen wie des Nüchternen doch seit je entrückt war. Inzwischen gilt eben auch im Kulturbetrieb: Kick und Kater stören nur den Workflow. Kurzum, unter dem Diktat der Disziplin droht der wild und gefährlich lebende Dichter zu verschwinden – berauschende Literatur aber damit leider gleich mit. Denn ohne Selbstvergeudung ist kreativer Eigensinn nun mal selten zu haben.

Können Sie mir fünf amerikanische Autoren seit Edgar Allan Poe nennen, die nicht am Suff gestorben sind? Also sprach Sinclair Lewis, seinerseits voll austrainierter Alkoholiker und Nobelpreisträger. John Steinbeck immerhin blieb beim Festakt in Stockholm trocken. Andere wie Faulkner, Hemingway oder O’Neill peilten solche Durststrecken erst gar nicht an. Und apropos Poe: Unangenehm, wenn man zwar Trinker ist, aber das Zeug nicht verträgt; nur ein Absinth, und schon erschienen ihm jene Spukgestalten, wie wir sie aus seinen Schauergeschichten kennen. – Schreiben, so Hemingway, ist halt das Härteste, was es gibt.

Alkaloide

Die einsamen Kämpfe auf dem Papier, die Entbehrungen, die Selbstzweifel, wer würde da ein Trost- und Treibmittel verschmähen? Nach dem Wort von Joseph Roth: „Ich kann mich nicht im Literarischen kasteien, ohne im Körperlichen auszuschweifen.“ Auf seinen Sauftouren begleitete ihn gern Kollegin Keun; der Schnaps beflügelte keineswegs nur die Schriftsteller, der Rausch ist keine rein männliche Domäne, siehe Ingeborg Bachmann, siehe Marguerite Duras, siehe Dorothy Parker, siehe Françoise Sagan – allesamt vom Alkohol zerzaust.

Potente Gehirne stärken sich eben nicht durch Milch, sondern durch Alkaloide, befand Doktor Benn: „O Nacht! Ich nahm schon Kokain ...“ Und für William Seward Burroughs, den alten Fixer, war Junk bekanntlich kein Stoff, sondern eine Existenzweise. Am Ende begrub man ihn, wie er gelebt hatte, mit einem Joint und einem Tütchen Heroin in der Westentasche. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie das Tagebuch von Jean Cocteau. Darin protokolliert er seinen Entzug, scheußliche Sache. Sei’s drum, als Surrealist hielt er dem Gift die Treue: „Nicht vom Opium muss man genesen, sondern von der Intelligenz.“ Natürlich haben derlei Substanzen manches Leben arg verkürzt. Oder bös ruiniert. Man kann damit aber auch hundert Jahre alt werden. Ausgerechnet Ernst Jünger hat es vorgemacht und im Laufe seines Erdendaseins die ganze Apotheke durchprobiert: Äther, LSD, Meskalin, Cannabis. Diesen Erkundungen verdanken wir ein Masterpiece über die künstlichen Paradiese, den Essay Annäherungen.

Entscheidend aber bleibt, dass der Rausch die Fantasie aufwirbelt. Ob ein Georg Trakl ohne Morphin zu seinen nachtschönen Sprachbildern gefunden hätte? Oder gäbe es Hans Falladas Klassiker Der Trinker, wäre der Autor nicht selber einer gewesen? Und was würde uns der gewitzte Versfex Peter Rühmkorf bedeuten, hätte er nicht zeit seiner Lunge an der Hanftüte gezogen? – Angesichts dieses Erbes erscheinen die Nachgeborenen samt ihrer Hervorbringungen meist doch ziemlich dröge. Tja, wohin es kommt, wenn das Schreiben vor allem von Bionade und Latte Macchiato stimuliert wird, hatte schon der luzide Horaz erfasst: „Gedichte, die von Wassertrinkern geschrieben sind, können nicht lange Gefallen erregen.“

Michael Kohtes lebt als Autor und Literaturredakteur in Köln. Zuletzt erschien von ihm 365 Tage. Ansichten von K. (Greven-Verlag)

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