Bis 2020 muss es die Wende geben

Die Erderwärmung hat sich beschleunigt Nach einer gerade veröffentlichten Studie des Instituts für Klimafolgenforschung in Potsdam schmelzen die Gletscher in der Antarktis und in Grönland schneller als erwartet. Lässt sich die Klimawandel überhaupt noch eindämmen?

FREITAG: Die gerade vorlegte Studie des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung geht von einer schnelleren Erderwärmung aus, als ursprünglich gedacht. Woran liegt das?
UDO ERNST SIMONIS: Der Weltklimarat IPCC hatte bei seinem letzten Sachstandsbericht das Jahr 2004 als Basis, so dass es seither einfach eine Aktualisierung der Daten geben musste. Zum anderen weiß man jetzt einfach mehr über die Ozeane und die Wirkung der Aerosole, also der in der Luft befindlichen Schadpartikel. Alles in allem aber bleiben die Aussagen der Potsdamer Klimaforscher im Rahmen dessen, was man erwartet. Auch der IPCC ging von mindestens 1,1 Grad Celsius plus bis zu einer maximalen Erderwärmung von 6,4 Grad aus. Man bleibt innerhalb dieser Grenzen, wenn nun ein Temperaturanstieg von über zwei Grad Celsius prophezeit wird.

Wir reden über einen möglichen Anstieg mit Blick auf das gesamte 21. Jahrhundert.
Das besagen die Projektionen des IPCC.

Aber die Potsdamer Expertise lässt sich schon so verstehen, dass von einer Unaufhaltsamkeit des Klimawandels auszugehen ist?
Ja, weil die 1,1 Grad plus gar nicht mehr verhinderbar sind. Politisch relevant ist die inzwischen entstandene Einsicht, dass es über plus zwei Grad nicht hinausgehen darf, da ansonsten die Konsequenzen unabsehbar wären.

Greifen die bisher getroffenen klimapolitischen Maßnahmen nicht wie erhofft?
Es sollte jetzt stärker der Zeitraum in den Blick genommen werden, in dem die Treibhausgase reduziert werden müssen. Das Maximum der globalen Emissionen muss irgendwann zwischen 2015 und 2020 erreicht werden. Danach muss es nach unten gehen – und dies scheint jetzt gefährdet.

Sollte dann nicht ein Kyoto-II-Abkommen, über das noch verhandelt wird, striktere Reduktionsziele setzen als bisher vorgesehen?
Die Potsdamer Studie ist ohne jeden Zweifel eine Warnung an die Kopenhagener Vertragsstaaten-Konferenz 2009, die abschließende Verhandlungen zu Kyoto II führen soll. Zunächst gibt es im November noch die 14. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention in Poznan, auf der die Weichen so gestellt werden müssen, dass Kopenhagen mit einem Erfolg endet. Man darf sich nicht damit trösten, dass wir noch ein Jahr Zeit haben bis dahin. Der politische Druck im Dampfkessel muss hoch bleiben, sonst wird das nichts mit Kyoto II.

Wächst die Wahrscheinlichkeit, dass wegen des steigenden Meeresspiegels die Malediven zum Atlantis des 21. Jahrhunderts werden?
Wir hatten bisher in den IPCC-Reports relativ unsichere Angaben über die Schmelze des grönländischen wie auch des antarktischen Eisschildes. Die neue Studie aus Potsdam ist da genauer in ihren Aussagen über den so genannten Kipppunkt des Eisschilds. Sie sagt ganz klar, es geht schneller voran, als wir dachten. Bisher war die Weltklimarat sehr zurückhaltend und prognostizierte einen zwischen 18 und 59 Zentimetern steigenden Meeresspiegel. Und bei 59 Zentimetern wird es für die Malediven schon ernst, aber noch nicht dramatisch. Dramatisch wird es freilich, wenn man plötzlich von 1,25 Meter redet, wie das aus Potsdam zu hören ist.
Im Übrigen haben die Malediven schon ein Dutzend ihrer Inseln räumen müssen.

Wenn es einen Anstieg 1,25 Meter gibt, trifft es sicher auch andere Inseln.
Zum Beispiele Tuvalu im Pazifik, wo man bereits eine mögliche Evakuierung bei der australischen Regierung angemeldet ist.

Haben Sie den Eindruck, dass die Mentalität der politisch Verantwortlichen in den Industriestaaten auf der Höhe solcher Herausforderungen ist?
Ja, aber in völlig unerwarteter Weise. Wenn ich höre, dass unsere Regierung jetzt ernsthaft 500 Milliarden Euro für die Rettung der Banken bereitstellt, frage ich mich: Wann und wo trifft man auf eine vergleichbare politische Dramatik, wenn es um das Klima geht. Schon wieder werden die Prioritäten völlig anders gesetzt und die Klimapolitik hat das Nachsehen. Was passiert jetzt? Wir stabilisieren den Finanzkapitalismus, aber die großen lebenserhaltenden ökologischen Systeme geraten in den Hintergrund. Bei dem Geld, das verbrannt worden ist und den Banken nun faktisch ersetzt wird, bleibt doch immer die Frage, wer zahlt eigentlich die Rechnung? Es sind nicht nur wir Steuerzahler – es ist wahrscheinlich auch die Natur.


Das Gespräch führte Lutz Herden

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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