Veitstänze von Gipfel zu Gipfel – und das seit Wochen. Begleitet von halbherzigem Merkel-Gerede, saloppen Sarkozy-Sprüchen und ähnlichen Einlagen dreht sich die Karawane um sich selbst. Kein Wunder, dass es allen Beteiligten schwül wird. Luxemburgs Premier Juncker rügt das muddling through – zu deutsch „Durchwursteln“ – weil er weiß, dem Publikum gefällt das Spektakel nicht.
Mit den neuen Plänen vom Brüsseler Gipfel – von der Schuldenentlastung für Griechenland, der Banken-Rekapitalisierung bis zur „Hebelung“ des Rettungsfonds – könnte es nun auch denen an den Kragen gehen, die bisher zu den Krisengewinnern gehörten. Dazu zählen auch die deutschen, niederländischen, fr
ischen, französischen und britischen Wutbürger beziehungsweise die ihnen vorstehenden Eliten.Dass sie Profiteure der Krise sind, hören die Deutschen nicht gern. Und es stimmt ja: Gewonnen haben nur einige, die dafür umso kräftiger. Allen voran – der Staat und die Banker. Das zeigt sich auch am Beispiel Niederlande. Der kleine westeuropäische EU-Nettozahler, seit jeher ökonomisch im Windschatten des Nachbarn Deutschland segelnd, hat von Anfang an dirch die Euro-Krise profitiert. Und das nicht zu knapp. Zwischen Januar 2009 und Oktober 2011 hat der Haager Finanzminister 7,6 Milliarden Euro an Zinsen gespart, trotz der insgesamt steigenden Staatsverschuldung. Für zehnjährige Staatsanleihen zahlt der niederländische Staat heute gut ein Prozent weniger Zinsen als vor Ausbruch der Euro-Krise im März 2010. Auch hat bisher die Beteiligung an den Euro-Rettungsschirmen die Niederländer keinen Cent gekostet. Im Gegenteil, das Land verdient an den Zinsen, die Griechen, Iren und Portugiesen zahlen. Die Milliardengewinne für den Fiskus wachsen mit jedem Monat, den der Euro schlingert.Zinsen auf RekordtiefGleiches gilt für Deutschland. Finanzminister Schäuble kann sich so billig neu verschulden wie nie zuvor. Das liegt an der Riesennachfrage nach Bundesanleihen wegen der innereuropäischen Kapitalflucht, da die Anleger etwa den Großschuldner Griechenland meiden. Wie die deutsche Exportökonomie vom Euro hat somit der deutsche Staat von der Euro-Krise profitiert. Unternehmer und Banker, aber auch Häuslebauer haben ebenfalls etwas, solange die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen auf einem Rekordtief hält. Nur Normalverdiener und Niedriglöhner kommen auf wenig bis nichts.Freilich geht es jetzt – angesichts einer drohenden Kernschmelze in der Eurozone – um mehr als das Verteilen von Krisengewinnen. Mit den Brüsseler Entscheidungen soll vor allem eines erreicht werden: Zeitgewinn, um eine von Anfang an zu kleinteilige Anti-Krisenpolitik weiter betreiben zu können, bis zum nächsten Schluckauf der Märkte.Inzwischen hat dieses Missmanagement, für das besonders Deutschland und Frankreich verantwortlich zeichnen, die EU auch jenseits der Eurozone in Mitleidenschaft gezogen. Ausgerechnet auf der Insel, wo die wildesten Euro-Gegner hausen, sind beachtliche Kollateralschäden eingetreten. Premier David Cameron muss einen Aufstand der EU-Skeptiker im Unterhaus nieder bügeln. In Großbritannien will inzwischen eine große Mehrheit nichts mehr von Europa wissen.Zu spät, zu kleinMan konnte sich über Schwächen und Konstruktionsfehler dieses Staatenbundes und der Gemeinschaftswährung vorher ein Bild machen. Schon mit dem Vertrag von Maastricht (1992) und erst recht mit dem Vertrag von Lissabon (2007) ließen sich alle EU-Staaten auf Markt, Konkurrenz und Wettbewerbsfähigkeit als die allein zulässigen Kriterien rationaler Politik einschwören. Insofern ist nicht nur der Euro erodiert. In Verruf geriet das Modell eines von der internationalen Hochfinanz dominierten Kapitalismus, der nicht besser und nicht schlechter, nur eben ein wenig windschnittiger und postmoderner als andere Kapitalismus-Modelle vor ihm ausfällt. Mit einem institutionellen Rahmen versehen, der dazu nicht passt, ist die EU hin und her gerissenen zwischen Weltmächtigkeit und Kleinstaaterei. Wenn schon transnationaler Kapitalismus, dann richtig. Ohne Wirtschafts- und Fiskalunion ist eine Währungsunion auf Dauer nicht zu haben. Wer Fiskalunion sagt, meint damit mehr, als wir haben: ein bisschen geteilte Steuerhoheit, ein bisschen Umverteilung, ein bisschen transnationale Bürokratie.In jeder anständigen Föderation gibt es einen Finanzausgleich. Und das bedeutet: eine Transferunion. Die existert – verschämt und versteckt – seit langem auch in der EU, etwa bei der Agrarpolitik und Regionalförderung. Nur ist sie auch bei Staatsfinanzen unverzichtbar.Gemessen an den angelsächsischen Staaten sind die Euroländer – bis auf Griechenland und vielleicht Portugal – noch solvent. Pleitestaaten wie die USA und Großbritannien können bestehen, weil sie sich eine Zentralbank leisten, die der Regierung im Notfall ohne Rücksicht auf Verluste Kredit gibt und die Märkte mit Liquidität – sprich: billigen Krediten – überflutet. Mitten in der Krise, wo alles unter Überkapazitäten ächzt, hat das kaum inflationäre Folgen. Genau das brauchte Europa, und genau das bekommt Europa jetzt, denkt man an den gehebelten Rettungsfonds. Darüber hinaus wäre es an der Zeit, dass sich die EZB wie eine Zentralbank benimmt, auf deutsche Marotten pfeift. Wie die Federal Reserve (Fed) oder die Bank of England sollte sie europäische Konjunkturpolitik betreiben. Der gerade verabschiedete Präsident Jean-Claude Trichet hat damit angefangen. Kauft die EZB europäische Staatsanleihen, sind Eurobonds nur noch ein technisches Detail, aber eines mit Potenzial, ähnlich wie die US-Treasury-Bonds, mit denen die maroden USA noch immer die Finanzwelt beeindrucken und beherrschen.Aber weil sich keiner der Protagonisten auf den fast in Permanenz tagenden EU-Krisengipfeln mit der eigenen konservativen Klientel oder den Bürgern im eigenen Land anlegen will, bekommen wir ein Potpourri der halben und viertel Maßnahmen, zu spät, zu klein, zu kleinlich, um der Krise zu entkommen. Die bleibt uns erhalten, die Krisengewinner an den Finanzmärkten wird es freuen, die Bürger Europas haben das Nachsehen.