Bitcoin via Paypal: Angriff auf unsere kritische Infrastruktur
Krimis Kritische Infrastrukturen sind mehr denn je Orte des Risikos. Tom Hillenbrand, Andreas Brandhorst und Heiko von Tschischwitz erzählen in ihren Thrillern davon
Aktueller denn je sind die Thriller über Angriffe auf kritische Infrastrukturen von Tom Hillenbrand, Andreas Brandhorst und Heiko von Tschischwitz
Foto: Lauren DeCicca/Getty Images
Für den modernen Kriminalroman sind die Risiken und die Möglichkeiten moderner Infrastruktur ein beliebtes Sujet. Schon Ian Fleming beschreibt in seinen James-Bond-Romanen mit Spectre eine kriminelle Organisation, die es auf die kritische Infrastruktur moderner Gesellschaften abgesehen hat. Infrastrukturen sind also nur scheinbar Garanten für eine sichere Zukunft von Gemeinwesen. Es sind mehr denn je gesellschaftliche Orte des Risikos.
Es verwundert daher nicht, dass derzeit in vielen aktuellen Thrillern Attacken auf oder Manipulationen von Infrastrukturen ein beliebtes Sujet sind. Aus diesem Trend ergibt sich, dass auch der Aufbau von Infrastrukturen, etwa von alternativen Geldmärkten in Form privaten Geldes, zum Beispiel mit der Währung Bitcoin, oder von nicht ban
Bitcoin, oder von nicht bankbasierten Zahlungssystemen wie Paypal Thema wird.Insbesondere für das letzte Sujet liefert der „Wirecard-Skandal“ ab 2019 das Skript. Wirecard war ja ein Zahlungsdienstleister, dem es gelungen war, aus Schulden bei Banken, die durch den Zahlungsverkehr entstehen, wundersamerweise Gewinne zu machen. Das virtuelle Zahlungssystem erweist sich als Paradies für Geldwäsche jenseits staatlicher Regulierung. Und ein Jenseits des Staates wünschen sich ja nicht nur Anarchokapitalisten, sondern eben auch Kriminelle.Wagen wir es?Der trendbewusste Bestsellerautor Tom Hillenbrand erzählt in Montecrypto genau diese Geschichte. Der Bezug zu Wirecard ist unverkennbar. Die Hauptfigur ist ein Fin-Tech-Freak namens Gregory Hollister. Hollister ist die Inkarnation jener Anarchokapitalisten oder Ultralibertären, die jedweden Einfluss des Staates auf Elemente der Wirtschaftsinfrastruktur, wie etwa Währungen oder Zahlungssysteme, radikal ablehnen. Es geht um zwei Dinge in Hillenbrands Roman: einmal um die nicht staatlich oder durch Institutionen wie Zentralbanken kontrollierte Währung Bitcoin (die es ja wirklich gibt), und um ein Zahlungssystem namens „Juno“, das deutlich als literarische Simulation von Wirecard zu erkennen ist. Tom Hillenbrand gelingt mit Montecrypto ein höchst aktueller Thriller, der den Finanzkapitalismus und die ihm dienende Finanzindustrie (auch und besonders für Laien) rasant auf den Punkt bringt.Andreas Brandhorsts Das Bitcoin-Komplott lässt sich mit guten Gründen als Nachfolger von Hillenbrands Montecrypto lesen. Beide eint der leicht dystopische Charakter, sie spielen in der nahen Zukunft. Das Buch kombiniert die bekannten Stärken des Autors: intensive Recherche zum Thema und spannende Erzählweise. Das hat mit dem Thema zu tun, das Brandhorst in den Mittelpunkt stellt: Bitcoin, eine rein virtuelle Währung, die eine gigantische elektronische Infrastruktur benötigt. Bitcoin, so die anarchokapitalistischen Erfinder, ist eine Alternative zur zentralen Organisation von Währungssystemen, etwa durch Zentralbanken. Der Wirtschaftssoziologe Aaron Stahr hat in seinem fulminanten Buch Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft (Beck 2022) davon gesprochen, dass Erwartungen an Geldströme ähnlich funktionieren wie die Erwartung an Stromnetze: Beides muss funktionieren.Wenn die Finanzinfrastruktur nun aber, so kann man im Anschluss an Stahr sagen, vollkommen unsichtbar ist und die Institution der Zentralbank verschwindet, Geldflüsse nur noch Datenflüsse sind, dann eröffnet das natürlich erzählerisch erhebliche Möglichkeiten. Eine dieser erzählerischen Möglichkeiten macht sich Brandenhorst auf eingängige Art und Weise zunutze: die Verwandlung des Finanzromans in einen Konspirationsroman. Eine Gruppe, im Roman die „Sieben“ genannt, um den Investmentguru und Finanzmagnaten Francis Forsythe versucht, die Gelegenheit überschuldeter Staatshaushalte zu nutzen, um Bitcoin als Leitwährung durchzusetzen. Sie organisieren gemeinsam eine Attacke auf die Zentralbanken, die Garanten von Währungsstabilität, die durch die immens gestiegene Staatsverschuldung diesseits und jenseits des Atlantiks unter Druck geraten sind: „Geld war mächtiger als jedes Gesetz. Geld kaufte Gesetze und änderte sie.“Wer also über das Geld herrscht, herrscht über die Welt. Diese Verschwörung muss natürlich aufgeklärt werden: Nicht zufällig ist daher der Aufklärer in Brandhorsts Text Journalist, der „ein Buch über den Bitcoin schreibt“. Er ist somit die perfekte Figur des Ermittlers, der den Willen zur wahren Aufklärung repräsentiert, die von staatlicher und von finanzindustrieller Seite natürlich nicht gewünscht wird. Gleichzeitig nimmt der Roman einen Mythos der Bitcoin-Szene auf und schreibt ihn fort: Der heilige Gral der Bitcoinszene ist das sagenumwobene Wallet von Satoshi Nakamoto, dem Erfinder von Bitcoin. Hat man diese Börse in der Hand, so kann man die Welt der Finanzen zum Einsturz bringen. Wir haben es also mit einem finanzkapitalistischen Abenteuerroman zu tun, der Elemente des Geheimbundthrillers (Dan Brown!) mit Elementen des Finanzkrimis mischt.Auf eine ganze andere Art und Weise thematisiert Heiko von Tschischwitz in seinem Thriller Die Welt kippt das Thema Infrastruktur. Geht es bei Hillenbrand und Brandhorst um die Beherrschung oder Manipulation einer vorhandenen Infrastruktur, so geht es bei Tschischwitz um den Aufbau einer zukünftigen. Das fängt mit dem Thema seines großartigen Buches an, nämlich dem Klimawandel. Der Autor ist Unternehmer und Gründer von Lichtblick – also Akteur im Umbau der Energieinfrastruktur. Aber dass genau dieser Aufbau unsicher und risikoreich ist, ist das Thema des Romans. Konkret geht es um den Aufbau einer für die Beherrschung des Klimawandels notwendigen Infrastruktur.Zukunft wird errechnetZukunft ist heute etwas, was errechnet, was modelliert wird. In Tschischwitz’ Roman ist es ein gigantischer Quantencomputer, dessen Rechengeschwindigkeit alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Er modelliert die Zukunft und definiert die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Und auf den Klimawandel mit all seinen Herausforderungen für die Zukunft (Reduzierung der CO₂-Emissionen, Bindung des vorhandenen CO₂ durch Aufforstung und Aktivierung der Photosynthese, Verhinderung des Abschmelzens der Polkappen) muss in der unmittelbaren Gegenwart reagiert werden. Die Kräfte müssen gebündelt werden. Diese Kräfte bilden das Metier des sogenannten Geoengineerings. Grob formuliert, handelt es sich dabei um einen hochtechnologisierten Eingriff in die Natur, diesmal aber nicht zu Zwecken der Ausbeutung derselben, sondern zu ihrem Erhalt. Die Ingenieurwissenschaft erweist sich einmal mehr als Technologie der Naturbeherrschung.Der Roman Die Welt kippt erzählt nicht nur von der Möglichkeit der Katastrophe, die eintritt, wenn wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen. Er erzählt auch davon, dass die konsensorientierten und langwierigen Prozesse der Demokratie den Herausforderungen nicht gewachsen sein könnten. China, das im Roman etwas einseitig als der Ort zukunftweisender Klimatechnologien gepriesen wird, braucht diese langwierigen Prozesse nicht. Nicht nur die Welt kippt, sondern auch die Möglichkeiten der Demokratie, den Klimawandel zu beherrschen. Tschischwitz’ Roman ist somit auch ein Roman über die Grenzen der Demokratie. Das Thrillerhafte daran ist daher die Frage: Wagen wir es, diese Grenzen zu überschreiten?Thriller der besprochenen Art spielen mit unserem Vertrauen in eine funktionierende Infrastruktur oder machen deutlich, vor welchen Herausforderungen der Aufbau zukünftiger Infrastruktur steht. Sie zeigen uns auch gleichzeitig, wie vulnerabel und damit risikobehaftet die gegenwärtigen und zukünftigen sind. Sie spielen nicht nur mit unserem Vertrauen in die existierende oder aufzubauende Infrastruktur, sie erschüttern es. Sie sind keine Fan-Fiction für Anarchokapitalisten, Finanz-Techies oder Mitglieder von Extinction Rebellion. Sie warnen uns, indem sie Risiken aufzeigen, sie rütteln uns auf, weil wir jetzt handeln müssen. Insbesondere erschüttern sie das neoliberale Credo, dass die Privatisierung von Infrastrukturen, wie etwa die des Stromnetzes, diese Infrastruktur effizient und effektiv mache. Ganz im Gegenteil, sie macht sie angreifbarer. Marc Elsberg, dessen Thriller Blackout (Blanvalet) von 2012 ja als Gründungsdokument des Infrastrukturkrimis angesehen werden kann, erzählt die Zukunft der privatisierten Stromnetze in Europa als Katastrophe des Zusammenbruchs. Dieser Zusammenbruch der Stromnetze, die ja Teil der Daseinsvorsorge sind, wird durch den Angriff auf deren computertechnische Technologie initiiert. Und dass Kriege und Katastrophen die öffentliche Daseinsvorsorge bedrohen und digitale Sicherheitssysteme unter Druck setzen, weiß seit dem 24. Februar 2022 jedes Kind.Placeholder infobox-1
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