Bitte etwas mutiger

Kommentar Warum fehlt der Vereinigung von WASG und Linkspartei derzeit der Glamour?

Eigentlich hat man ja alles. Das politische Einkommen - sprich: die Wählerstimmen - liegt erfreulich stabil bei neun bis zehn Prozent. Man weiß gegenseitig, wie man funktioniert. Seit dem Kooperationsabkommen III geht keiner von beiden mehr so richtig fremd oder kandidiert gegen den anderen, und wenn es doch einer tut, wie in Berlin, versucht man nonchalant darüber hinweg zu gehen. Trotzdem ist die Luft im Moment raus. Was immer man dem Projekt neue linke Partei zugute halten mag: Sehr sexy ist es derzeit nicht. Das war im Herbst letzten Jahres anders. Es gab Krach, es gab Leidenschaft, es gab große Erwartungen, und es gab Wahlkampf. Es war eine schöne Zeit, damals. Nun gibt es immer wohlfeile Rezepte, wie dem eingerosteten Beziehungsleben wieder neuer Schwung verliehen werden könne. Swingen mit der Sozialdemokratie, sagen die einen. Mal ganz raus in die Selbstbesinnung, sagen die anderen. Hauptsache, wir machen nichts Falsches wie diese Privatisierungen, sagt Oskar.

Und dann gibt es da noch die Grünen, die sich nach acht Jahren Krieg und Sozialabbau ein Wochenende Zukunftskongress gönnen und wieder Begriffe wie "Grundeinkommen" auszusprechen lernen. Immerhin - auch wenn es schwer fällt, den Text eines Liedes zu unterdrücken, das zu den Grünen immer wieder passt: "Sie ist aktiv, denkt immer positiv, sie ist kreativ, dekorativ, sensitiv, sie lebt intensiv" (mit dem schönen Reim: "für die Art wie mich das ankotzt, gibt´s kein Adjektiv").

Was der Linken aktuell vor allem fehlt, ist visionäres Kapital. Das war die Hoffnung des Sommers 2005: die Linke als die Kraft, die der Tatsache politisch Ausdruck und Macht verleiht, dass es auch ein Leben nach dem Neoliberalismus gibt. Dafür aber muss man erst mal anerkennen, was der Neoliberalismus war und für manche Zeitgenossen noch ist: ein schlüssiges Angebot. Die Neoliberalen sind rückblickend die Einzigen, die weder vor der Globalisierung Angst hatten noch vor dem Individuum und auch nicht vor den neuen flexiblen Formen der Produktion.

Der Übergang zur globalen Netzwerkproduktion, die Flexibilisierung und Informationalisierung, die Explosion der Logistik und die neuen Formen individualisierter und global kollektiver Arbeit haben eine Produktivitätsdividende erbracht, die gewaltig ist. Sie ist krass ungerecht verteilt, sie ist in erheblichen Teilen nicht nachhaltig, aber sie hat auch Substanz. Heute sind daraus neue Möglichkeiten der Emanzipation und der Freiheit entstanden, die von den treibenden Interessengruppen des neoliberalen Regimes gefürchtet werden, die man ihnen entwinden muss und kann. Deshalb ist ein neues historisches Projekt fällig, und es wäre gut, wenn es ein linkes wäre.

Viele junge Menschen praktizieren schon heute in ihrem Lebensgefühl Aspekte einer künftigen Produktions- und Lebensweise. Sie nehmen emotional eine Welt vorweg, in der Information und Kommunikation frei, global und gratis sind; in der die vielfältigen Formen individueller Produktivität zumindest teilweise durch ein gesellschaftliches Grundeinkommen abgegolten werden könnten; in der Arbeit tendenziell den Charakter flexibler, selbstbestimmter Projekte annimmt; in der unterschiedliche Lebensmodelle gleichberechtigt wählbar und realisierbar sind; in der transnationale Mobilität selbstverständlich und durch globale soziale Rechte abgesichert ist; in der kollektive Institutionen wichtig werden, die weder privat noch staatlich sind, so wie man das von den NGOs kennt. Diese jüngere Generation wird bei keiner Partei und keinem Projekt bleiben, das dazu quer liegt.

Eine linke Kraft muss sagen können, wie das geht. Sie muss Vorschläge machen, wie globale Kapital-Mobilität von einer zerstörerischen Erpressungsmaschine wieder zu einer gesellschaftlich kontrollierten, sozial abgewogenen Rationalisierung der Produktion werden kann. Sie muss darauf bestehen, dass es heute wie auch in einer künftigen Welt Konflikte zwischen Hand- und Kopfarbeit, zwischen sozialen und industriellen, zwischen kreativen und materiellen, zwischen privaten und öffentlichen Arbeiten gibt - Konflikte, die im Geiste von Freiheit und Gleichheit ausgehandelt werden müssen.

Kommt so die Spannung wieder? Ich denke schon. Gestärkt und gedanklich reicher kann die Linke dann auch die anderen Parteien herausfordern - nicht nur als Hüterin sozialer Standards, sondern auch als Kraft, die eine machbare Vorstellung von einer besseren Welt anzubieten hat.

Christoph Spehr ist Sozialwissenschaftler und Buchautor


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