Bitte gendern

Geschlechter Die Parteien betrachten Chancengleichheit nach wie vor nicht als Querschnittsaufgabe

Es gibt in Deutschland mehr linke Frauen als linke Männer. Doch obwohl der Wahlkampf durch die Diskussionen um die Linkspartei geprägt ist, spielen Frauen und ihre Belange, ihre Zukunftsvorstellungen und ihre Sicht auf die Probleme eine untergeordnete Rolle. Dabei hatten Politikansätze wie Gender Mainstreaming, Chancengerechtigkeit und Frauenförderung in der Zeit der rot-grünen Regierung Konjunktur. Das war nicht das Verdienst dieser Regierung, sie hat nur europäisches Recht, oft mehr schlecht als recht und später als andere Länder (siehe "Antidiskriminierungsgesetz") umgesetzt.

Wie wenig dagegen die Umsetzung europäischer Chancengleichheitsstandards am Bewusstsein der Parteien tatsächlich kratzt, zeigen die Programme von SPD und Grünen. Chancengleichheit, Geschlechtergerechtigkeit, Frauenprobleme sind auf die jeweiligen Kapitel zu diesem Thema beschränkt und finden sich noch als Einsprengsel bei der Arbeitsmarktpolitik. Chancengleichheit wird zwar als Querschnittsaufgabe benannt, aber sie findet nicht als solche statt. Und die Linkspartei? "Ich wähle Linke nicht wegen, sondern trotz ihres Programms", ist der Ausspruch einer Kollegin, den ich gerne zitiere und der immer heftige Zustimmung meiner Gesprächspartnerinnen findet. Dabei geht es nicht nur um die Themen Chancengleichheit, Quotierung, Selbstbestimmungsrecht, die im Programmentwurf auf empörende Weise vernachlässigt werden, vom Anspruch, Geschlechtergerechtigkeit als Querschnittsaufgabe jeglicher Politik zu begreifen, ganz zu schweigen. Frauen beschränken ihre Ansprüche an Politik nämlich nicht auf "Frauenthemen". Befragungen von Wählerinnen zeigen, dass sie ihre spezifischen Probleme stärker als Männer auf gesellschaftliche Verhältnisse zurückführen und durchaus folgerichtig häufiger der Auffassung sind, diese seien veränderungsbedürftig.

Es ist Zeit, die Vorstellung aufzugeben, dass "Frauenpolitik" in einem gesonderten Absatz zu fassen sei, oder - etwas moderner - als Zusatz zu jedem Kapitel. Frauenpolitik meldet sich in allen Feldern zu Wort, formuliert Ziele und Visionen, fordert neue Herangehensweisen, nimmt Einfluss auf die Diskussionskultur, die Art der Entscheidungsfindung und die Wahrnehmungs- und Kommunikationsformen. In diesem Sinne birgt das Konzept des Gender Mainstreaming wirklich eine Revolution. Die Gender-Mainstreamig-Frage nach den Wirkungen von Politik auf Frauen und Männer und nach deren Interessen stellt den "sachorientierten" Ansatz und damit auch den an Sachzwängen orientierten Ansatz in Frage und den "menschenorientierten" in den Mittelpunkt. Welch kühner Gedanke! "Sachzwänge" würden durch "Menschenzwänge" ersetzt!

Stehen die "Menschenzwänge" theoretisch auf der Tagesordnung, so können sie praktisch nur durch die gesellschaftlichen Bewegungen durchgesetzt - materialisiert - werden. Für eine linke Partei stellt sich damit viel weniger die Frage, ob sie regierungsfähig wäre, als die, ob sie "bewegungsfähig" ist. Es gehört zur Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland und weltweit, dass sie eher als männerdominierte Zusammenhänge in der Lage war, Grenzen zu überwinden, Bündnisse und Netzwerke zu knüpfen. Das neue linke Subjekt, die neue linke Partei kann nicht allein der Linkspartei und der WASG und nicht allein den Männern überlassen werden. Die außerparlamentarischen Bewegungen und die Frauen sind für das Koordinatensystem eines neuen linken Subjektes unverzichtbar und richtungsweisend.


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