Bitte nicht spielen!

Eventkritik Auf der Berliner Spielzeugbörse sind die Eisenbahnexperten fast unter sich. Computerspiele hält man hier noch für Teufelszeug, Miniatur-SS-Männer dagegen nicht

In der Welt des Rolf-Dieter Hebeling sind fast alle Autos knallrote Sportwagen, die Züge fahren immer pünktlich durch idyllische Landschaften und die Frauen sind zerbrechlich, aber gesegnet mit einem makellosen Teint. Hebelings Welt ist etwas kleiner als die der meisten anderen Menschen, aber wenigstens ist sie maßstabsgetreu. Er selbst ist der Gulliver in diesem Miniaturkosmos, und gerade schlurft er hindurch und fachsimpelt mit den anderen Riesen.

„Am liebsten hab ich Blechspielzeug, das zwischen 1890 und 1910 hergestellt wurde“, sagt Hebeling, 63, stattlicher Bauch unter ausgeblichener Jeansweste. Er widmet sich seinem Hobby äußerst ernsthaft. Wenn er darüber redet, dann nur das Nötigste. Seit 1993 lädt Hebeling zur Spielzeugbörse in Berlin, in diesem Jahr erstmals in einer Halle der Berliner Messe, seine Frau macht die Kasse. Der Saal ist ein bisschen zu groß, es sind nicht viele gekommen – gedämpftes Murmeln, sonntägliches Schlendern, keine Musik, kein Showprogramm und kein Kindergeschrei.

Vor allem Männer mittleren Alters haben ihre Schätze auf Klapptischen aufgereiht, sie tragen Westen und Turnschuhe – und sie behandeln ihr Spielzeug mit großer Sorgfalt. Lokomotiven, Weichen und Ersatzräder sind säuberlich sortiert, blecherne Ferraris nach Baujahr geordnet. Es gibt Plastikkühe für die Pappmachéberge, daneben Stofftiere auf langen Regalmetern, Enten und Gänse zuerst, dann Bärchen, in hölzernen Kisten davor die Schlümpfe. Gemeinsames Merkmal von Ausstellern und Besuchern: Die Gürteltasche, mit ihr lässt sich die Ausrüstung besser ordnen, und bei der Spielzeugbörse liebt man Ordnung. Frauen sind nur wenige da, die meisten sammeln sich, ganz klassisch, in der Puppenecke.

Reise in die Vergangenheit

Die Erwachsenen bleiben unter sich auf ihrer Reise in die alte Bundesrepublik, das Land ihrer Kindheit, wo Glaubensfragen sich noch um die Spurbreite der Schienen „HO- oder I“ drehen und nicht um „Nintendo oder Sony“. Es ist eine Welt der Vitrinen, in der Spielzeug keinen Stecker hat, und wenn doch, dann hängt ein backsteinschwerer Transformatorklotz mit rotem Spannungsschalter daran. Eine Welt, in der Jungs mit Autos und Mädchen mit Puppen spielen.

Theoretisch. Denn Kinder sind Fremdkörper in dieser Welt aus vergilbtem Karton und blätterndem Lack, und die wenigen, die dennoch hier sind, verhalten sich brav, vor allem aber tun sie eines nicht: Spielen. „Ich helfe meinem Vater und verdiene mir ein bisschen was zum Taschengeld dazu“, sagt etwa Philipp Korber, ein rothaariger Teenie mit schlabbrigem Pulli. Für die Lokomotiven und Waggons, die sein Vater feilbietet, hat Philipp nichts übrig.

„Ich spiele lieber Strategiespiele am Computer oder mache Sport.“ 1.500 Euro – so viel kostet die Modell-Lok auf dem Tisch vor ihm – gäbe er lieber für eine Kletterausrüstung aus. „Die Sachen hier interessieren mich nicht“, sagt er. Außer Philipp ist noch eine Handvoll anderer Jungs gekommen, die meisten mit ihren Vätern – sie sagen alle das Gleiche.

Mit dem Aufstieg der Videospiele seit Anfang der 1990er Jahre verloren viele Kinder das Interesse an klassischem Spielzeug – zugunsten von Videospielen. Während die Ikone rollender Miniaturen-Züge, der Modellbahnbauer Märklin, im vergangenen Jahr Insolvenz anmeldete, hat der japanische Videospielhersteller Nintendo von seiner aktuellen Spielkonsole „Wii“ bislang über 20 Millionen Stück verkauft.

Derlei elektronisches Gerät, finden die meisten auf der Messe, tauge nichts und verdiene nicht einmal die Bezeichnung Spielzeug. „Computerspiele sind doch Schwachsinn“, knurrt Veranstalter Hebeling. Die Kleinen hätten noch den Schnuller im Mund und schon einen Gameboy in der Hand. So eigne man sich Mord- und Totschlagtechniken an, nicht aber, mit den Händen etwas Sinnvolles zu tun. Sind Miniaturzüge den pädagogisch wertvoller? Hebeling ist davon überzeugt.

Die Spielzeugbörse – eine Bastion solch sinnvollen Spielzeugs, allerdings nicht immer ganz politisch korrekt: Loks, Autos, aber auch Miniaturpanzer und waffenstarrende Uniformierte aller Epochen. Der stolze SS-Kavallerist „Dieter Herrmann“ beispielsweise wartet in seinem Pappkarton darauf, im Maßstab eins zu sechs an die Ostfront zu galoppieren.

Gutes Spielzeug, das ist hier aber vor allem eines: alt. Ware neueren Baujahrs verachtet Hebeling, Plastikguss aus China gebe es ja haufenweise und außerdem, findet er, „riechen neue Spielsachen auch nicht so gut.“ Sein Lieblingsstück: Der fliegende Hamburger, eine Miniaturlokomotive von Märklin, Spur 0, Maßstab eins zu 45, eine blau lackierte Preziose aus Blech, sie kostet 750 Euro. Das Modell stammt aus den 1930er Jahren, die Lok verband damals Berlin mit Hamburg. Einfach gebaut, von Hand lackiert. Zu kostbar, um es rauflustigen Jungs in die Hand zu drücken. Aber zum Spielen sei Spielzeug ohnehin nicht gedacht.

Sonntagsspielzeug

Evelyn Schadow sieht das genauso. Die 60-Jährige, weißblondes Haar, karierter Schal, stellt ihre Ware in jener Ecke der Messehalle aus, um die selbst die Gürteltaschenträger einen Bogen machen – die Abteilung für Puppen und Teddys. 500 Euro nimmt sie für eine rotbackige Fayence mit langen, dunklen Wimpern, „Sonntagsspielzeug“ sei das damals gewesen, in ihrer Kindheit. „Man hat einmal vorsichtig damit gespielt und sie dann wieder weggestellt.“

Dass wertvolles Spielzeug nicht in falsche, womöglich Kinderhände gerät, dafür sorgt Herr Gentsch. Seinen Vornamen nennt er nicht, Gentsch ist ein misstrauischer Mann, es gibt Langfinger, selbst hier. Gentsch, der Bundeswehr-Reservist trägt das Haar raspelkurz und eine sandfarbene Kampfuniform, dazu Armeestiefel. Im Maßstab eins zu sechs wäre Gentsch gewiss ein Verkaufschlager, in Originalgröße verkauft er Miniaturpanzer an Messebesucher. Und warnt vor Science-Fiction-Videospielen: „Kinder, die zu lange vor dem Computer hängen“, sagt der Spielzeugwächter im Tarnanzug, „verwechseln irgendwann die Fantasie mit der wirklichen Welt“.

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