In der einen Richtung: Wiesen, Felder, ein Wäldchen. Und keine Menschen. In der anderen Richtung: Eine von kleinen Geschäften gesäumte Straße. Und auch keine Menschen.
Denn wir sind hier auf dem Dorf, und hier wird nicht geschlendert oder spaziert, sondern gezielt gegangen. Meist zur im Ortskern gelegenen Bushaltestelle, die hauptsächlich von den Kindern und Jugendlichen genutzt wird, die morgens zum Unterricht in die nahegelegene Großstadt und an den Wochenenden zum Fußballspielen oder in die Discos fahren.
Die alten Leute und die unmotorisierten Hausfrauen haben dagegen den örtlichen Supermarkt zum Ziel. Dort wird die Kundschaft streng danach behandelt, ob sie zu den Alteingesessenen gehört oder nicht. Die Neu-Zugezogenen, meist in Frankfurt arb
in Frankfurt arbeitende Angehörige der IT-Branche, mag man nicht besonders, denn die haben nicht nur die Grundstückspreise und die Mieten drastisch steigen lassen, sondern mit ihren seltsamen Konsumgewohnheiten zusätzlich dafür gesorgt, dass die Gänge des Ladens noch enger geworden sind - die Light-Produkte, die unterschiedlichen Pasta-Sorten, die exotischen Gemüse und die teuren Rotweine fordern schließlich eine Menge Platz. "Wenn wer all die Computerleut erschieße tät", erklärte die Fleisch-Fach-Verkäuferin kürzlich in dem hochdeutschesken Idiom, das sie extra dann benutzt, wenn sie auch von den Nicht-Einhemischen verstanden werden will, "dann würde die Hälfte aller Häuser hier leer stehen".Spaziert und geschlendert würde dadurch jedoch nicht mehr, denn ein Auto und den Führerschein zu haben, gehört zu den Grundvoraussetzungen des Landlebens; die am Rande der benachbarten Großstadt angesiedelten Discounter sind genau so wenig zu Fuß nicht zu erreichen wie Kinos, Bücherreien, Sportvereine, Facharzt-Praxen.Entsprechend ist es auf dem Land mit der Ruhe, von der entnervte Großstädter so gern schwärmen, nicht weit her. Denn der Besitz eines eigenen Mopeds gehört hier zum Großwerden unabdingbar dazu, und das muss anscheinend ständig bewegt werden, sonst wird es krank. Also wrummt immer irgendein Teenie lautstark auf seinem Zweirad durch die Straßen, was immerhin sehr schön zu dem Geräusch passt, das Fahrzeuge produzieren, wenn sie den Inhalt einer tiefen Pfütze auf dem Trottoir verteilen. Auf Fußgänger nehmen deren Lenker nämlich absolut keine Rücksicht, kann man ja auch wirklich nicht ahnen, dass jemand so blöde ist, herumzulatschen, statt sicher und bequem zu fahren.Und doch, es geht, Schlendern durchs Dorf, jedenfalls dann, wenn man sich an den irritierten Blicken der Einheimischen nicht stört. Und ja, es gibt eine Menge zu sehen, wenn man erst einmal festgestellt hat, wie idiotisch dieses andere, dieses Stadtleben eigentlich war, das eben auch darin bestand, an Auslagen von Geschäften vorbei zu spazieren, die man niemals betreten wird, und von den sensationellen Unterhaltungsgeboten zu schwärmen, die man nicht einmal bei extremer Langeweile jemals zu nutzen auf die Idee käme.Das Freizeitangebot auf dem Dorf ist dagegen strikt bedarfsgerecht geplant, wie man mit einem Blick auf die überall hängenden grellbunten selbstkopierten Plakate rasch feststellt. Man sorgt selber für die Unterhaltung, nach der einem ist, die Freiwillige Feuerwehr bittet entsprechend zum Frühjahrsball, die kleine Siedlung der Informatiker zum Straßenfest, der Anglerverein zum Sonntags-Skat.Bemerkenswert auch das Bedürfnis, sich abzugrenzen. Im Gegensatz zu den aus viel Glas und offenen Grasflächen bestehenden Neubauten sind die Häuser der Alteingesessenen vor allem durch die sie umgebenden mannhohen Mauern gekennzeichnet, hinter denen Hunde wachen. So verkünden es jedenfalls die angebrachten Warnschilder. Wie in einer begehbaren Ausstellung kann man beim Spaziergang an den Mauern vorbei die Entwicklungsstufen dieser Tafeln nachvollziehen, die von der in geschwungener Fünfziger-Jahre-Schrift nüchtern verkündenden "Warnung vor dem Hunde!" über mittlerweile schon halb verblichene, ehemals vierfarbige Schäferhund-Köpfe, unter denen ein entschlossenes "Hier wache ich!" steht bis hin zum zweifellos aus einem städtischen Geschenkeshop stammenden neckischen "Hund frißt jeden 12. Besucher, der elfte ist gerade gegangen" reichen.Die Bewohner der weißen neuen Häuser verlassen sich dagegen lieber nicht auf bissige Viecher: Über sie wachen computergesteuerte Alarmanlagen, wie auf kleinen Metallschildern an den Türen zu lesen ist.Trotzdem haben die Neu- und die Altbürger des Dorfes wohl mehr gemeinsam, als sie denken. Denn überall auf den Bürgersteigen und in den Rinnsteinen liegen mit dem Konterfei von Roland Koch bedruckte Hochglanzpapiere, wie man sie als "Bitte nicht stören"-Schilder aus Hotels kennt. Die örtliche CDU hatte sie als Ermahnung zur Stimmabgabe in der Nacht vor dem Kommunal-Wahlsonntag an die Haustür-Knäufe gehängt. Dass sie unbeachtet im Straßenschmutz landen würden, hätte den eifrigen Lokalpolitikern durchaus klar sein müssen: Der Ort wählt traditionell SPD.