Black Friday?! Ich kann mir nicht mal Lebkuchen leisten

Meinung Waschmaschinen zum halben Preis, zehn Prozent auf Kaschmir-Pullover: Zum „Black Friday“ wimmelt es von Sonderangeboten. Für unsere Autorin ist das nichts. Sie ist armutsbetroffen
Viele Menschen können sich Geschenke zu Weihnachten nicht leisten. Da helfen auch keine Rabatte
Viele Menschen können sich Geschenke zu Weihnachten nicht leisten. Da helfen auch keine Rabatte

Foto: Imago/Pacific Press Agency

Bald ist wieder Weihnachten. Ich stehe also vor den weihnachtlich bunt ausgeleuchteten Schaufenstern. Sonderangebote, Black Week, Weihnachtsrabatt ... all das ist nicht für mich. Ich habe kein Geld.

Diese Vorweihnachtszeit wird schlimmer als die vorigen, denn ich bin armutsbetroffen. Ich lebe mit meiner kleinen Maus von einer Erwerbsminderungsrente auf Hartz-IV-, sorry: Bürgerhartz-Niveau. Ich habe Abitur, damit hätte ich mich eigentlich aus der Armut rauskämpfen können – dachte ich. Meine chronische Erkrankung machte mir einen Strich durch die Rechnung. Ich bin voll erwerbsgemindert, das heißt, ich KANN nicht arbeiten, selbst wenn ich es wollte, mein Körper und meine Psyche spielen nicht mit.

Auch Corona und der unmenschliche Krieg gegen die Ukraine belasten mich emotional, und die Inflation lässt die Lebensmittelpreise steigen, sodass Menschen wie ich schon am 20. des Monats am Ende des Geldes angekommen sind. Heute ist der 23. November. Und Black Week.

Ich spüre eine dumpfe Wut in mir aufsteigen, geboren aus der Verzweiflung, arm zu sein, und dann hasse ich Weihnachten. An mir laufen Menschen mit vollen Tüten voller Geschenke vorbei. Ich habe heute ein Wörterbuch für die Schule für meine Tochter in einer Buchhandlung abgeholt. Eine ältere Frau vor mir zahlte 99 Euro(!) – und ich dachte nur daran, wie viel Essen ich davon hätte kaufen können: 100 Euro! Ein Traum ...

Vorweihnachtszeit. Eigentlich mag ich sie. Ich hab mich so darauf gefreut, Lebkuchen zu kaufen. Lebkuchen, das war immer mein „Luxus“ vor Weihnachten, etwas, das ich mir gegönnt habe. Dieses Jahr nicht, dieses Jahr ist Inflation, das heißt für mich: Dieses Jahr sind schon Margarine und Brot Luxus. Sobald es im Herbst Lebkuchen gab, bin ich in den Supermarkt, sah die Preise – und bin wieder raus. 2,29 Euro für sechs Oblaten-Lebkuchen? 3,49 Euro für 150 Gramm Elisen-Lebkuchen? Für mich unbezahlbar.

Werde ich zu Weihnachten genug Geld haben? Ich weiß es nicht. Was, wenn die Preise weiter steigen? Derweil warte ich. Ich warte darauf, dass Weihnachten vorübergeht. Denn dann gibt es endlich die runtergesetzten Lebkuchen im Supermarkt. Im nächsten Jahr.

Janina Lütt lebt mit ihrer Tochter in Elmshorn und bestreitet ihren Lebensalltag mit Erwerbsminderungsrente auf Hartz-IV-Niveau. Auf Twitter berichtet sie unter #ichbinarmutsbetroffen über ihren Alltag, ihre Depression und ihre Armut. Der Hashtag wurde am 12. Mai 2022 von Anni W. ins Leben gerufen, die auf Twitter aus ihrem Leben als Hartz-IV-Bezieherin und Mutter von zwei Kindern erzählte. Ihr folgten viele weitere – eine bundesweite Initiative war geboren. Lesen Sie selbst: #ichbinarmutsbetroffen @armutsbetroffen

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Geschrieben von

Janina Lütt

Kolumnistin

Janina Lütt ist armutsbetroffen, sie bestreitet ihre Leben für sich und ihre Tochter mit Erwerbsminderungsrente auf Bürgergeld-Niveau. In ihrer regelmäßigen Kolumne auf freitag.de berichtet sie über den Alltag mit zu wenig Geld, über die Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen: @armutsbetroffen

Janina Lütt

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