Blankoscheck zum Durchregieren?

Frankreich Mit der ersten Runde der Parlamentswahl kann François Hollande zufrieden sein, auch wenn ihm die "Familien" in der eigenen Partei noch zu schaffen machen könnten
Ihrer Akklamation kann Hollande sich sicher sein: Martine Aubry und Jean-Marc Ayrault
Ihrer Akklamation kann Hollande sich sicher sein: Martine Aubry und Jean-Marc Ayrault

Foto: Fred Dufour/ AFP/ Getty Images

Der Parti Socialiste (PS) ist dabei, den Machtwechsel in Frankreich zu vollenden. Mit der Parlamentswahl werden Weichen gestellt. Nach Runde eins ist absehbar, dass François Hollande und der designierte Premierminister Jean-Marc Ayrault mit bequemer Mehrheit in der Nationalversammlung und im Senat werden walten können. Ein „Durchregieren“ dürfte dennoch schwierig werden.

Zwei Aspekte sprechen dagegen. Zum einen steht die V. Republik vor der Schicksalsfrage, wie sich ihre Institutionen künftig demokratisch legitimieren. Der rechtsextreme Front National (FN) verfügt nach wie vor über eine Wählerschaft von annähernd 15 Prozent. Das Mehrheitswahlrecht und der Pacte républicain zwischen den Sozialisten und der konservativen UMP verhindern bisher, dass es im zweiten Wahlgang zu Allianzen mit FN-Kandidaten kommt.

Es ist eine Frage der republikanischen Norm, jede Regierungsbeteiligung des FN prinzipiell abzulehnen. Andererseits bleibt es für eine Demokratie konfliktträchtig, wenn eine starke Minderheit von sechs Millionen Wählern – so viele waren es beim Präsidentenvotum im ­April – von parlamentarischer Präsenz fern gehalten wird, sei es durch das Wahlsystem oder Absprachen zwischen den Parteien. Hängt die Wahlbeteiligung von nur 57,2 Prozent auch damit zusammen?

Eifersüchtig und streitlustig

Eine Wahlrechtsreform, mit der die V. Republik auf eine demokratisch solidere Basis gestellt würde, ist seit 30 Jahren überfällig. François Mitterrand experimentierte einmal kurzzeitig mit einem Verhältniswahlrecht, kam aber schnell wieder davon ab, als ihm die Resultate nicht passten. Die Reform wurde annulliert, weil das Wahlvolk „falsch“ gewählt hatte. Nun ist entscheidend, ob das Thema wieder auf die Tagesordnung kommt.

Was einem Durchregieren gleichfalls im Wege stehen könnte, ist die Verfassung des Parti Socialiste. Mit ihren heute über 220.000 Mitgliedern zerfällt die Organisation in wenigstens sechs Courants (Strömungen), die sich gern als „Familien“ bezeichnen und auch so verhalten – nämlich eifersüchtig und streitlustig. Der Präsident und sein Kabinett werden einiges damit zu tun haben, Lager und Fraktionen auf Regierungskurs zu bringen und zu halten. Sobald es ans Eingemachte geht – etwa bei dem Erhalt der 35-Stunden-Woche – müssen Hollande und Ayrault mit Widerstand aus den eigenen Reihen rechnen. Den kann Martine Aubry entfachen, die als Arbeits- und Sozialministerin einst die 35-Stunden-Woche eingeführt hat, dafür kommt ebenso Arnaud Montebourg vom linken Courant Noveau Parti Socialiste in Frage. Auch Ségolène Royal, die Sprecherin des rechten Courant L’Espoir à Gauche, dürfte sich bemerkbar machen.

Hinzu kommen Ambitionen der Familienoberhäupter. ­Aubry hat sich bei der Regierungsbildung loyal verhalten und erklärt, sie wolle Ministerpräsidentin werden oder gar nichts. Sollte Ayrault ins Stolpern geraten, ist der Tochter Jacques Delors durchaus zuzutrauen, sich als neue Regierungschefin ins Spiel zu bringen. Hollande und Ayrault können mit ihren Mehrheiten relativ ruhig regieren – aber nur, solange sie Erfolg haben, den „Familien“ ihr Tafelsilber lassen und die Familienoberhäupter nicht brüskieren.

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