Bluten wir nicht?

Kommentar Libanon und der antiarabische Rassismus

Kaum kommt man aus dem Wochenende zurück, da spricht die Welt, respektive das deutsche Feuilleton, nicht mehr vom Libanonkrieg, der, kaum dass eine Waffenruhe vereinbart ist, ins zweite Glied rücken muss, sondern nur noch von Günter Grassens spätem Bekenntnis, als 17-Jähriger der Waffen-SS angehört zu haben. Zum Glück hat man als Schriftsteller das Recht, sich um das, was die Zeitungen gerade interessant finden, nicht scheren zu müssen. Entschuldigung also, aber ich war mit dem Thema der letzten Woche noch nicht ganz durch ...

Ein Gutteil der Berichterstattung über die Libanesen, die ich mitverfolgt habe, hat mir den Eindruck vermittelt, den einem manche Dokumentarfilme über seltsame Naturvölker mit abseitigen Praktiken aufdrängen: dass solche Populationen nämlich nichts mit uns zu tun haben und nach anderen Gesetzen funktionieren. Von diesem Eindruck des völlig Fremden ist es ein kleiner Schritt zum Befremdlichen. Da aber nur das, was man kennt und nachvollziehen kann, einen auch zu berühren vermag, wäre ich, würde ich es nicht zufällig aus eigener Anschauung besser wissen, beständig in dem vagen Gefühl bestätigt worden, es hier mit so andersgearteten Menschen zu tun zu haben, dass mir ihre Schmerzensschreie nicht nur gleichgültig sind, sondern dass ich sie gar nicht glaube.

Aus unserer westlichen Blicktradition heraus ist Israel nun mal, um Graham Greene zu verballhornen, "Unser Mann im Nahen Osten". Sie verhalten sich und sprechen wie unsereins. Die anderen funktionieren irgendwie anders: Erratisch, hysterisch, unberechenbar, wie die Wilden. An diesem Punkt ist aber, scheint mir, die Grenze zum Rassismus überschritten.

Es gibt im Westen zum Glück viele Wächter, die mahnend den Finger heben oder laut aufschreien, sobald sie eine öffentliche Äußerung entdecken, die antisemitisch ist. Ich habe in diesem Krieg das Gefühl, den Finger gegen einen antiarabischen Rassismus heben zu müssen, der darin besteht, implizit und unbewusst (hoffe ich) arabisches Leid nach einer anderen Elle zu messen als der allgemein menschlichen.

Den Vogel abgeschossen hat in dieser Hinsicht ein Interview, das ich am 5. August im Inforadio des RBB hörte. Ich habe mir den Namen der Journalistin, die die Fragen stellte, nicht gemerkt, er tut auch nichts zur Sache, ich bin überzeugt, sie hat die Frage, bei der ich aufschreien musste, nicht in böser Absicht gestellt.

Es ging um die Opfer unter der libanesischen Zivilbevölkerung bei den israelischen Bombardierungen im Süden des Landes. Die Journalistin entgegnete ihrem Gesprächspartner, einem Libanesen, wenn ich mich recht entsinne, der sich offenbar über die Höhe des Blutzolls empört hatte: "Israel hat doch die Zivilbevölkerung aufgefordert, aus ihren Häusern zu verschwinden. Warum sind dann so viele geblieben?"

Sie hat das nicht in einem aggressiven Ton gesagt, aber ein gewisser Vorwurf in ihrer Stimme war nicht zu überhören, auch ein gewisses Unverständnis über die merkwürdige, selbstmörderische Sturheit dieser Menschen: Da sagen ihnen die Israelis noch, sie sollen verschwinden, weil sie jetzt ihre Häuser in Schutt und Asche legen werden, und trotzdem spuren sie nicht. Seltsame Leute.

Ich glaube, ihr Interviewpartner wusste darauf gar nichts mehr zu erwidern, weder, dass es keinem Menschen leicht fällt, seine Existenz der Vernichtung zu überlassen, noch, welch unheimliche Arroganz in einer solchen letzten Warnung der feindlichen Macht liegt, die - ohne Kriegserklärung in dein Land eingedrungen - dir nun sagt, sie werde deine Wohnung und deine Stadt zerstören und du habest eine Stunde, um dich aus dem Staub zu machen.

Der Rassismus, den ich zu entdecken glaube, er liegt in der unschuldigen Selbstverständlichkeit, mit der diese Journalistin davon ausging, dass die Araber, wenn Israel pfeift, zu springen haben, weil es sich um nicht gleichwertige Menschen handelt. Was sollte man ihr entgegnen? Vielleicht diese leicht abgeänderten Zeilen aus Shakespeares Kaufmann von Venedig: "Hat nicht ein Araber Augen? Hat nicht ein Araber Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Christ? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?"

Michael Kleeberg, Schriftsteller


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