Boat People und Wertegemeinschaft

Kommentar Humanitäre Intervention

Gibt es Gründe aus Afghanistan zu fliehen? Die Frage muss eigentlich umgekehrt lauten: Welche Gründe gibt es, nicht aus Talebanistan zu fliehen? Mir fällt nur einer ein: Man(n) ist Koranschüler und gerade an der Macht. Doch das sind die wenigsten in diesem Land. Der Rest hält aus, irgendwie, oder aber flieht. Allein in Iran leben 1,4 Millionen Afghanen im Exil. Der von selbsterklärten Menschrechtsbewahrern gern als Paria geschmähte »Gottesstaat« trägt damit die Hauptlast eines Exodus, dessen Ursachen wir zu einem gehörigen Teil bei uns im Westen suchen dürfen. Historisch und aktuell.

Historisch, weil Afghanistan praktisch seit seiner Gründung ein Spielball europäischer - und später dann auch amerikanischer - Interessenpolitik war. Und aktuell, weil die afghanische Tragödie einen Großteil ihrer Wurzeln im Kalten Krieg und im Zusammenbruch des Ost-West-Konfliktes hat.

Die Mehrzahl der Flüchtlinge auf der Tampa kommt aus Afghanistan. Ja, sicher: Es gibt Schlepper und Schleuser, die am Elend der Boat People verdienen. Das ist zynisch genug. Aber was ist das für eine Regierung, die versucht, diesen Zynismus noch zu überbieten - nur, weil es Stimmen bringt, die Wahl entscheidend sein können? Und wie weit sind unsere Maßstäbe schon verschoben, wenn man dem norwegischen Kapitän am liebsten einen Orden für Zivilcourage verleihen möchte - obwohl der Mann nur das getan hat, was See- und Menschenrecht zwingend vorschreiben?

Dies ist nicht der Ort, über aufkeimende Fremdenfeindlichkeit in einem Land zu räsonieren, das sich vor Jahresfrist noch als weltoffener und toleranter Olympia-Gastgeber präsentiert hat. Man stelle sich statt dessen vor, die Tampa wäre ein deutsches Schiff und lese - quasi als kontrastierendes Begleitprogramm - Innenminister Schilys »Referentenentwurf« für ein neues Einwanderungsgesetz ... Vielleicht verstehen wir dann, warum die Garde unserer »humanitären Interventionisten« sich in so beredtes Schweigen hüllt. Oder sollten 438 schiffbrüchigen Flüchtlinge, die auf einer armseligen Korallenriff-Republik mit stillgelegter Phosphatmine »zwischengelagert« werden, einfach nicht genug kritische Masse sein, die eine Einmischung rechtfertigen?

Niemand verlangt, dass NATO und Bundeswehr morgen zu humanitären Kampfeinsätzen gegen das »Howard-Regime« in Canberra ausrücken sollten - weder mit noch ohne UN-Mandat. Aber die Allianz hält doch sonst so große Stücke darauf, nicht nur eine militärische Verteidigungs-, sondern darüber hinaus auch eine Wertegemeinschaft zu sein. Eine Gemeinschaft immerhin, die bereit ist zur Verteidigung eben dieser Werte anderenorts in den Krieg zu ziehen. Darf man da nicht wenigstens ein paar deutliche Worte an die australische Adresse erwarten - sozusagen eine verbale humanitäre Intervention?

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