Bob Dylans dunkles Meisterstück

USA Mitten in die Corona-Krise platzt ein neuer – wenngleich schon vor einer Weile komponierter – Song von Bob Dylan: Murder Most Foul
"Murder Most Foul" ist Bob Dylans Abgesang auf das 20. Jahrhundert
"Murder Most Foul" ist Bob Dylans Abgesang auf das 20. Jahrhundert

Foto: Kevin Winter/Getty Images for AFI

Es ist Hamlets Vater, der mit seinem Erscheinen als Geist, diesem wohl komplexesten Charakter in Shakespeares Panoptikum der Vielschichtigkeit, mitteilt, ermordet worden zu sein. Er benutzt dabei die schöne Steigerung für die Verwerflichkeit der Tat: “Murder Most Foul“; in der Schlegel/Tieckschen Übersetzung nicht wirklich treffend mit „schnödem Mord“ umschrieben. Hamlet fragt ungläubig: „Murder?“ der Geist bekräftigt:

„Murder most foul, as in the best it is;
But this most foul, strange and unnatural.“

Schon vor Jahren sang Bob Dylan von den „people“, die „crazy“ und den „times“, die „strange“ sind. Und nun platzt also dieser Song mitten in die konsulvischen Zuckungen einer sterbenden Welt hinein, deren Virusbefall nur die Spitze eines unermesslichen Eisberges aus Dysfunktion zu sein scheint.

„Murder Most Foul“, knapp 17 Minuten lang, dazu ein paar zugewandte Grüsse an die Fans und der Hinweis, das der Song schon vor einer Weile aufgenommen worden sei... Das Zitat ist nicht neu in der Pop-Welt. Neben einer Agathe-Christie Verfilmung mit Margaret Rutherford, und dem primitiven Song einer Metal Band, führt auch eine obskure Broschüre das Shakespeare Zitat im Titel. Eine Broschüre in der ein Stanley J. Marks über die Verschwörung der Kennedy Ermordung mutmaßt und 975 Fragen stellt, die er darin wohl auch zu beantworten meint.

Eingebetteter Medieninhalt

Hier springt Dylan auf den Zug. Für ihn manifestiert sich mit diesem Attentat ein grundsätzlicher Wendepunkt in der Geschichte des Landes. Und so breitet er einen lyrischen Teppich aus, auf dem er nicht weniger als das 20. Jahrhundert zu Grabe trägt. Ein Jahrhundert, das oft als das US Amerikanische Jahrhundert bezeichnet wird und das – nimmt man sich Dylans Zeilen zu Herzen – mit Kennedys Ermordung ein jähes Ende nimmt.

Spielt die Musik!

Mit der ihm eigenen Fähigkeit, mit wenigen Zeilen klare, zum Teil drastische Bilder aufscheinen zu lassen, wie flüchtige Geschichten, genährt von den „Ghosts of Electricity“ der elektronischen Medien, umreißt er das blutige Geschehen auf dem Rücksitz des Cadillacs in Dallas, driftet davon aber immer wieder in einen lyrischen Monolog ab. Die Beatles nehmen darin das traumatisierte Land an die Hand und führen es zwischen den blutigen Nachtmahr eines aus dem Schädel quellenden Gehirns und Stimmen, die hektisch auf einen König einreden, der noch gar nicht begreift, dass er gerade stirbt, zu Inseln des Trostes, die über den Jazz, den Rock n’Roll, Sounds von Song- und Filmtitel geradewegs ins verwundete Herz dieses Landes führen.

Das lyrische Ich oder wer immer hier am Erzählen ist, beschwört uns, diese Musik zu spielen, als würde nur dieses Spielen das geschundene Herz weiter schlagen lassen. Doch immer wieder drängt sich das Grauen hinein. Die dunklen Mächte, welche die Seele des Landes in den Orkus ziehen wollen. Die Sprache der Mobsder übernimmt. „It is, what it is and it’s murder most foul“. Fast scheint es, dass hier die Nahtoderfahrung des Ideals, aus dem dieses Land geboren wurde, beschrieben wird.

Um Leonard Cohen, Dylans älteren Bruder im Geiste, zu zitieren: „I’ve seen the future, brother: it is murder.“

Marc Ottiker ist Autor, Filemacher und Musiker

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