Bohei ums Tachelesreden

Sachlich richtig Literaturprofessor Erhard Schütz über die Feuilletons von Christa Winsloe und andere Kopfgenüsse
Ausgabe 35/2016

Als krankes Kind habe er ausgesehen wie der „Tod von Ippern“, zitiert Matthias Heine seine Mutter. Ich sah manchmal auch so aus, nur hieß es bei uns „Üppern“. Das kam vom „Tod von Ypern“. Und beide dachten wir offenbar an den Gaskrieg in Flandern 1916. Heine hat nun auf dem Umweg über Gott-fried Keller herausgefunden, dass der Tod von Ypern viel früher noch eine Statue von besonders graus-ligem Aussehen meinte. Ironie der Geschicht’: Sie ist bei der deutschen Zerstörung der Yperner Kathedrale mit zerstört worden.

Heines Exkursionen in deutsche Alt- und Neuschlagwörter, in Redensarten, in Herkünfte und Umwidmungen sind weit über sol-che Erinnerung hinaus ein Kopfgenuss. Wörter, diese kleinsten ver-schiebbaren Einheiten innerhalb eines Satzes – was alles wird ihnen angetan! Das den Buchtitel aufgeilende „geil“ zum Beispiel. Matthias Heine führt munter in die Zeit zurück, als noch nicht Geiz, sondern der Bock geil war. So geht Heine 100 Wörter durch, sehr pointiert und unterhaltsam. Es gelingtihm, über derart unterschiedliche Wörter wie Gutmensch, Hipster, Hurensohn, Krise, Mutti, Ossi oder Shitstorm ein komplexes Bild unserer Gegenwart und ihrer Geschichte entstehen zu lassen.

Wahrscheinlich müsste manchDeutschalternativling, wenn man seinen Wortschatz tüvte, um seine AfD-Schaft zittern. Jiddisch sprechende Juden gibt es, aus den bekannten Gründen, die einige Alternativische für „überbewertet“ halten, nicht mehr sehr viele. Doch steckt das Verteufelte im Detail. Sagen wir mal so: Wenn Journalistenschmocks in der Sauregurkenzeit einen Bohei ums Tacheles-reden machen, aber in den Aug-en der Scheeläugigen nur Geseire, Schmonzes oder Stuss herauskommt, worauf sie einen Rochus kriegen, dann sind sie aber so was von infiziert! Das nämlich ist, bis auf Journalisten, die ja im hundsgemeinen Volksverstand ohnehin von Haus aus Juden oder deren Knechte sind, alles jiddisch. Und vieles mehr, das Christoph Gutknecht in seinen Glossen der Jüdischen Allgemeinen Wochen-zeitung zusammengetragen hat. Diese sind überaus lehrreich-gelehrt, da kann man wirklich nicht mosern.

Mit der Lügenpresse, die naturgemäß auch bei Matthias Heine ihren Eintrag hat, machen wir hier kurzen Prozess. Wir raten stark zu einem differenzierteren Blick, den unsereiner selbstredend für sich beansprucht und den zu munitionieren das Buch des Leipziger Journalismusforschers Uwe Krüger bestens geeignet ist. Übrigens auch zur kritischen Selbstbefragung. Wie paternalistisch-didaktisch sind nicht besonders die, die im rotgrünschwarzen Hauptschnittmengenkonsens über korrekte Welt-offenheit, Multitoleranz und mainstreamenden Minderheitenschutz alarmistisch entdifferenzieren? Wie eingebunden sind sie selbst in diverse PR-Apparaturen der NGOs und Welterlöserkonzerne? So wird man den pöbelnden, plebsversierten Lügenbewehrten leider nicht Paroli bieten, sondern nur weitere Munition liefern. Gedankenlose Rechtschaffenheit erschafft rechte Bedenkenlosigkeit.

Christa Winsloe hatte sich nach ihrer Scheidung – wir befinden uns in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg – im bohemistischen München auf Tierskulpturen verlegt. Das lief gut, Winsloe schrieb aber auch. Sie hatte das nicht so zwingend nötig wie Gabriele Tergit, Irm-gard Keun oder Lili Grün. Sie nutzte es, um aus der Schule zu plaudern. Kunstfeuilletons. Ebenso solche aus dem Alltag, nicht nur dem mondänen, der ihr durchaus geläufig war. Aber auch für sie war es nicht selbstverständlich, als Frau über ein Auto zu gebieten. Ihre Auto-Biographie, die längere Titelgeschichte des Bands, ging 1933 auf die Erfahr-ungen der Vor-, Kriegs- und Nachkriegszeit ein, fast telegrammatisch, doch plastisch und packend.

Dafür zwei bemerkenswerte Belege: 1934 eine Erinnerung an die Inflationsjahre und 1935 ein Lob der USA, wo nicht als Exilierte sein zu müssen, sie als Privileg genoss. „Eine Amerikanerin muss schon eine Idiotin sein, eine völlig schlechte Mahlzeit zu servieren, wenn sie eine gute billig kaufen kann.“ Eine Freiheit freilich, auf der für sie erst die wahre Freiheit aufsitzen kann. Ehe sie die hätte genießen können, wurde sie 1944 in Frankreich von gewöhnlichen Verbrechern ermordet.

Info

Seit wann hat „geil“ nichts mehr mit Sex zu tun? 100 deutsche Wörter und ihre erstaunlichen Karrieren Matthias Heine Hoffmann und Campe 2016, 368 S., 16 €

Gauner, Großkotz, kesse Lola. Deutsch-jiddische Wortgeschichten Christoph Gutknecht Bebra 2016, 256 S., 14 €

Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen Uwe Krüger C. H. Beck 2016, 174 S., 14,95 €

Auto-Biographie und andere Feuilletons Christa Winsloe Aviva 2016, 272 S., 19,90 €

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