Bonapartismus à la Kurz

Österreich Ist die Regierung Kurz/Kogler schon am Ende? Eher nicht: Alle Affären prallen an der ÖVP ab
Ausgabe 12/2021
Noch kein Ende in Sicht, aber schon so manche Amtszeit war kürzer, als man dachte
Noch kein Ende in Sicht, aber schon so manche Amtszeit war kürzer, als man dachte

Foto: SEPA.Media/IMAGO

Ist die Koalition von ÖVP und Grünen, die Regierung Kurz/Kogler schon am Ende? Wahrscheinlich nicht, aber ausgeschlossen ist auch das Gegenteil nicht. Hinter den Kulissen fliegen die Fetzen. Die Situation ist angespannt, aber die grüne Leidensfähigkeit groß, schließlich genießt man es, auf der Regierungsbankzu sitzen. Da müssten sehr eskalierende Momente aufeinandertreffen, um die Koalition zu sprengen.

Das System Kurz lässt sich in Zeiten der Pandemie wie folgt beschreiben: Die Regierung beschließt etwas. Geht es gut, war es Kurz, geht es daneben, war es Gesundheitsminister Rudolf Anschober von den Grünen, oder es waren die Leute in Brüssel, die akkurat nicht mehr Impfstoff liefern wollen, als Österreich bestellt hat. Je nach öffentlicher Rezeption lädt der Kanzler dann zur Taufe oder betreibt Kindesweglegung. Wird etwa zu langsam geimpft, skandalisiert das der Hauptverantwortliche – und das ist nun mal der Kanzler – geradewegs so, als sei er in Opposition zur eigenen Regierung. Ein Höhepunkt der Machtdemonstration war es, als Sebastian Kurz jüngst seinem angeschlagenen Gesundheitsminister im Spital ausrichten ließ, welche Spitzenbeamte in seinem Ressort abzuberufen seien. Hätte man das nicht koalitionsintern klären können? Keineswegs, Kurz sucht und braucht das Publikum, um die Kritik an seiner Regierung in ein persönliches Surplus zu verwandeln. Düpieren ist die Devise. Schlechter Stil erscheint als Kompetenz und Führungsstärke. Auch das Schielen des Kanzlers Richtung SPÖ ist eher ein taktisches Spiel. Aber morgen kann es bereits mehr sein. Der Mann ist flexibel.

In puncto Message Control hat Kurz einiges auf Lager oder auf dem Kerbholz, je nachdem, wie man solche Fähigkeiten eben einschätzt. Es ist ein bonapartistisches Prinzip des Sich-über-die-Regierung-Stellens, das Kurz stets erfolgreich praktiziert. Willfährige Medien applaudieren: „Impfen muss Chefsache werden“, heißt es dann. Die Probleme sind damit keineswegs gelöst, aber es ist der Schein, der zählt.

Da mögen vor allem die ÖVP-Minister noch so unbeholfen wirken, das interessiert kaum. Der Basti wird’s schon richten. Letztendlich gibt es einen, der sich immer auskennt. Genau diesen Eindruck vermag Sebastian Kurz andauernd zu erwecken. Der Heiland weilt unter uns. Und das ist nicht bloß eine austriakische Provinzposse, in Europa wird dieses zu spät gekommene Heldenlied ebenso inszeniert. Von Bild bis Bolz geht man etwa in Deutschland davon aus, dass es hier auch so einen bräuchte.

Das ist mit ein Grund, warum alle Affären an der ÖVP zerschellen. Der jetzige Finanzminister Gernot Blümel, Kurz’ Intimus, wird wegen möglicher Korruption von der Staatsanwaltschaft genauso als Beschuldigter geführt wie der ehemalige Justizminister Wolfgang Brandstetter. Der war für einige Monate sogar Vizekanzler der Republik. Nur zwei prominente Beispiele, die von der ÖVP locker weggeschreddert werden. Dafür verteilt Kanzler Kurz Schelte an die Justiz und zeigt seine Interventions- wie Zensurgelüste. Hätte die Ökopartei eine ähnliche Skandalquote zu bieten, wäre sie schon auf zwei Prozent geschrumpft. Zwar sind die Umfragen für die Kanzlerpartei auch nicht mehr so gut wie vor einem halben Jahr, doch die wahren Leidtragenden sind die Grünen. Sie stürzen geradezu ab, sodass es nach aktuellem Stand keine Mehrheit mehr für Schwarz-Grün gibt. Die neue ÖVP ist auch eine Partnervernichtungsagentur.

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